mache mich dabei nur lächerlich!“
Einen kurzen Moment lang zog eine dunkle Wolke der niederschmetternden Ernüchterung durch sein Oberstübchen: „Diese attraktive Person musste ein Leben führen, das ich nicht annähernd, in meinen dreiundfünfzig Lebensjahren erfahren, noch gelebte habe! Und somit wäre eine anregende Diskussion, noch ein belebender Erfahrungsaustausch überflüssig und sicherlich auch äußerst einseitig gewesen“. Da waren sie wieder gewesen, diese Ängste und Bedenken, die ihm einen sorglosen Umgang mit fremden Menschen nahezu unmöglich machten.
Stattdessen stierte er auf Raps - Monokulturen, die am Fenster im Eiltempo vorbeizogen.
Seine Ungeschicklichkeit war wirklich legendär und kaum noch zu überbieten! Wie ein Mensch, ohne die geringste Sozialkompetenz ließ er die Unterhaltung einfach absterben – wegen ein paar unbewiesenen Befürchtungen! Ein kultivierter Bürger hätte Herrn K`s. Verhalten als eine grobe Respektlosigkeit betrachtet. „Sich einer attraktiven Dame gegenüber so unhöflich zu benehmen, sei nicht normal“. Doch für die Frau schien diese krankhafte Zurückhaltung nicht so dramatisch gewesen zu sein. Sie sah den Vorfall als einfaches, belangloses Gespräch, welches wegen mangelnder Argument, soeben beendet wurde. Herr K. dagegen bekam einen trockenen Hals und wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als das Ende dieser Bahnreise! Diese angenehme Art der Fortbewegung, die er so sehr herbeigesehnt und zu Fahrtbeginn noch lobend erwähnt hatte, wurde ihm plötzlich zu einer ungeheuren Last. Dabei waren es doch gerade die sozialen Kontakte, die ein Reise lebendig werden lassen. Der rege Austausch mit fremden Mensch erweitert den Horizont! Zudem war er von ihrer Gegenwart unheimlich angetan und fühlte sich wie ein Magnet von ihrer Attraktivität angezogen!
Verzweifelt suchte dieser Mann nach einem Thema, während er durch die Scheibe starrte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich die Dame weiterhin den vielen Artikeln der Tagespresse widmete.
Es brachte ihn auf und er ärgerte sich mächtig über sich selber. In dieser völlig entspannten Situationen das Gegenteil von dem getan zu haben, was eigentlich richtig gewesen wäre!
Ein paar einfache Sätze, nur um ein Gespräch in Gang zu halten! Das Autorenhirn mühte sich redlich, aber es bekam keine zündende Idee. Jede Sekunde die wortlos verstrich, erhöhte seinen seelischen Druck ungeheuer. Und Kilometer für Kilometer entwickelte sich die Bahnfahrt zu einem feurigen Höllenritt.
Wo es ihm an trefflichen Worten mangelte, glichen ständig kreisenden Gedanken seine Ungeschicklichkeit aus. Wieder und wieder schweiften seine Blicke an ihr vorbei in das Abteil, oder in eine andere, unbestimmte Richtung. Jedes Mal genoss der seltsame Charmeur ihre ansprechende Erscheinung – er suchte zudem völlig hilflos nach einem neuerlichen Anlass für einen Kontakt. Er stellte mit großem Erstaunen fest, dass diese Fremde nicht nur umgänglich, sondern offensichtlich ebenso verständnisvoll war. Sie machte den Eindruck, als hätte sie das absonderliche Verhalten K`s nicht besonders tragisch genommen. Immer wieder strich sein Blick an der Frau entlang. Ihm gefiel ihre sportlich - elegante Kleidung. Zudem, soweit vom ungeübten Auge eines seltsamen Autors zu erfassen, schien sie an allen Stellen des Körpers wundervoll proportioniert. Sie war die Art von Frau, die ganze Bibliotheken mit Lektüre füllte und dennoch niemals ganz treffend beschrieben werden konnte. Ihre Ausstrahlung blieb auf ewig unergründbar! Sie bestach keinesfalls durch makellose Schönheit und vollkommenem Körperbau. Es war ein Komposition aus dem Wesentlichen, was einen interessanten Menschen ausmacht – und das in seiner natürlichsten Form. Dabei empfand Herr K. die kleinen Gegensätze anziehender, als die üblichen Schönheitsideale, die sonst bei griffigen Beschreibungen von attraktiven, charismatischen Menschen verwendet werden.
Geblendet von solch einer Anmut, haderte er weiter mit sich und der Suche nach einer unverfänglichen Gelegenheit für eine sinnvolle, der Gegebenheit entsprechenden Bemerkung.
„Meine Helden, in vielen meiner Geschichten können es doch auch...Warum gelingt es mir jetzt nicht“, schrie er verzweifelt in sich hinein.
„Die Wirklichkeit ist deiner Helden Tod“, klang es nüchtern und dumpf zurück. „ Dir fehlt einfach der Mut zu einem gefährlichen Abenteuer... Dein Leben ist das Papier und die Worte die darauf geschrieben stehen. Dein Geschick ist deine Phantasie und deine erfolgreichste Waffe bleibt der Stift“, rief eine andere Stimme in ihm ernüchternd zu.
Jetzt wäre der rechte Moment gewesen sich zu erheben, den inneren Kampf aufzunehmen und seine Dämonen alle Lügen zu strafen! Aber er schwieg beharrlich weiter! Er nickte lediglich zustimmend. Und weil ihm wirklich der Mut fehlte, tröstete er sich mit der bequemen Ansicht: „Dieses Zusammentreffen hat sich vollkommen zufällig ergeben und es wird für meine Zukunft ohne weiteren Belang sein“! Zudem war es nur noch eine gute Stunde Fahrtzeit – dann wäre alles vorbei. Jeder der beiden ginge nach dem Ende der Bahnfahrt seiner Wege – und Herr K. würden dieser attraktiven Dame wahrscheinlich nie mehr begegnen!
Erleichtert schaute er aus dem Fenster und lächelte dabei zufrieden, so als hätte er einen grandiosen Einfall gehabt, der ihn von allen Sorgen in der nahen Zukunft befreit habe.
Während sich die kleinen Geister der Bequemlichkeit und lästigen Mutlosigkeit in ihren Ecken wieder einmal schamlos freuten und jubilierend Siegestänze aufführten, stieg das Gewissen von beiden unentdeckt empor und zog mit kalter, nüchterner Art durch Herrn K. hindurch. In unterkühlter, fast frostiger Atmosphäre, die auf den Autor sehr großen Eindruck machte, wiederholte es stets nur diese beiden Sätze:
„Du Narr, worüber freust du dich?... Willst du dieser Dame wirklich niemals mehr begegnen“?
Das zufriedene Gesicht des Autors, mit diesem erlösenden Lächeln verschwand bald darauf. Und den Lachfalten folgten lange, hässliche Sorgenfalten. Wirklich erstaunlich, Herr K. fand auf diese Fragen keine eindeutige Antwort. Es war einfach zum verzweifeln!
„Reisen sie oft mit der Bahn“?
Diese unerwartete Frage, verbunden mit dem warmen Blick aus ihren blauen Augen – und mit einem Mal war die Kälte in dem verschlossenen Autor vertrieben. Eine wohlige Wärme trat mit den übrigen Lebensgeistern zurück in sein Wesen.
„Nein, wenn ich ehrlich bin nicht sooft, wie ich es gern würde“, erwiderte er mit einer überraschenden Wendigkeit. Es schien plötzlich so, als wollte er diese Frau unbedingt wiedersehen, oder wenigstens den Rest der Reisezeit mit ihr in einem vergnüglichen Gespräch bleiben!
„Und wie ist es mit ihnen?...Reisen sie oft mit dem Zug“, gab er die Frage anschließend zurück – und dabei klang seine Stimme frisch und interessiert. Sie schüttelte den Kopf und ein leises „Nein“, klang aus ihrem Mund. Hierbei wirkte sie abwesend, während ihre Hände bewegungslos auf den Oberschenkeln ruhten. Schlagartig war die erfrischende, gute Laune aus ihrem Körper völlig entschwunden – das Verhalten wirkte kühl. Einige Atemzüge lang wirke der gesamte Körper vollkommen zurückgezogen und an einem völlig anderen Ort – als wäre ihr Geist auf einer kurzen Reise durch ihre Vergangenheit geflogen. Herr K. wurde von diesem unerklärlichen Verhalten völlig überrascht.
„Habe ich sie vielleicht mit der Frage verärgert“, quälte ihn dieser Vorwurf. Ratlos suchte er weiterhin nach den passenden Worten, aber er konnte die verschlossene Fremde nur ansehen. Wie sie so dasaß, völlig entrückt und zu keinem weiteren Wortwechsel fähig, spürte der verschrobene Autor eine starke Kraft, die ihn zu ihr hinzog. Er wollte sich neben sie setzten und einzig mit seiner Nähe trösten – vielleicht sogar mit seiner Hand berühren. In dieser Sekunde, als sie so weit entfernt schien, war sie ihm dennoch unheimlich nah. „Ist es etwa eine Seelenverwandtschaft, zu dieser fremden Frau“, jubelte er still. Diese traurig, hilflos wirkende Dame war ihm jetzt gerade unheimlich sympathisch. Ohne weitere Scheu und Angst ließ er die Zeit vergehen und genoss jede Sekunde davon. Als er seinen Entschluss, sich neben die Fremde zu setzten beherzt umsetzten wollte und genügend Mut hierfür aufgebracht hatte, verringerte der Zug deutlich seine Geschwindigkeit. Das Verkehrsmittel schien nur noch mit seiner Restenergie träger dahinzurollen. Nach wenigen Kilometern, auf der ebenen Strecke, reichte es nur noch für Schrittgeschwindigkeit.
„Nein, ich bin sonst mit meinem Auto unterwegs“, antwortete sie wie selbstverständlich, als sei die letzte Minute