Angela Zimmermann

Erlös mich, wenn du kannst


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Sie zu ihren Visionen Fragen? Da kann ich vielleicht gar nicht helfen“, sagt der Pfarrer ehrlich.

      „Nein, eigentlich nicht. Ich wollte gern etwas über das Haus und deren Vorbesitzer wissen. Denn irgendetwas ist da nicht so, wie es sein sollte“, versuche ich vorsichtig zu erklären.

      „Hat denn niemand mit Ihnen darüber gesprochen? Der Makler oder so?“, will er wissen und seine Miene verliert das Lächeln.

      „Da gab es keinen bestimmten Makler“, murmele ich.

      „Wie sind sie dann an das Haus gekommen?“, hakt er nach.

      „Ich habe mehrmals von dem Haus geträumt und dann hatten wir eines Tages einen Flyer im Briefkasten. Genau von diesem Haus. Ich hatte mich so gefreut und meine Maklerin, die uns schon einige Häuser angeboten hatte, hat dann alles organisiert, obwohl sie es nicht hätte machen müssen“, sage ich und sehe, wie der Pfarrer den Kopf schüttelt.

      „Sie haben Visionen. Sie träumen. Und nun sitzen Sie bei mir und wissen nichts von dem Haus“, sagt er nachdenklich, aber mehr zu sich selbst und langsam zweifele ich daran, dass er mir helfen kann.

      „Können Sie mir etwas über das Haus erzählen?“, frage ich trotzdem direkt.

      „Ich kann Ihnen nur das sagen, was hier alle wissen, oder hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird“, kommt von ihm und er holt tief Luft, bevor er weiter redet. „Da hat eine junge Frau gelebt. Sie soll angeblich eine Schwarze Witwe gewesen sein. Erst hat sie ihre drei Männer, mit zwei von ihnen war sie verheiratet, umgebracht und am Ende sich selbst.“

      Ich glaube nicht, was ich da höre und dann fallen mir die zwei markierten Stellen in der Bibel wieder ein. Ich greife nach dem Buch und schlage eine der Seiten auf. Ich schiebe es zu dem Pfarrer und er überfliegt das Geschriebene. Er selbst schlägt dann auch die weitere Seite auf und ich spüre, wie sein Atem schwer wird.

      „Wer hat denn die Stellen markiert?“, fragt er mich und scheut offensichtlich den Blickkontakt.

      „Ich weiß es nicht. Ich habe nie eine Bibel besessen und diese lag einfach so in meinem Haus“, sage ich leise und warte auf eine Reaktion von ihm.

      „Einfach so?“, schürzt er seine Lippen und zwinkert mich gleichzeitig an.

      „Ich war am arbeiten. Dann habe ich mich beobachtet gefühlt, obwohl ich allein zu Hause war. Als ich mich umdrehte, wippte mein Schaukelstuhl und dann lag die Bibel darauf. Klingt komisch, stimmt´s?“, antworte ich streng und das Lächeln ist wieder aus seinem Gesicht verschwunden.

      „Seltsam, ja. Aber wissen Sie, ich habe mit Engeln noch nichts zu tun gehabt. Ich will nicht sagen, dass es keine gibt, aber ich bin persönlich noch keinem begegnet“, entgegnet er mir und zuckt mit den Schultern.

      „Heißt das, Sie könnten sich vorstellen, dass wir nicht allein im Haus sind?“, frage ich und sehe ihn prüfend an.

      „Man kann nie wissen. Vielleicht kommen Verstorbene als Engel oder Geist wieder, wenn sie noch etwas zu erledigen haben. Ich habe aber leider keine Erfahrungen damit“, bekomme ich als Antwort und er lehnt sich zurück. Seine Mimik zeigt mir, dass es ihm nicht egal ist und in seinem Kopf durchaus arbeitet.

      „Die alte Dame vorhin. Sie hat doch etwas von > sie ist wieder da < gesagt. Hat es damit etwas zu tun? Ich meine mit dem Engel, oder der Frau, die sich damals umgebracht hat“, hake ich neugierig nach. Die ältere Dame hat in mir etwas gesehen und ich will wissen, was es ist.

      „Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Aber ich habe eine Idee. Ich bin ja nun noch nicht lange hier der Pfarrer und so kann ich auch nicht alles über meine Schäfchen wissen. Jedoch hat mein Vater, der vor mir hier gearbeitet hat, alles akribisch aufgeschrieben. Ihm ist nichts entgangen und jeder hier im Ort hat ihm auch alles anvertraut. Mich hat es auch gewundert, wie die Frau auf Sie reagiert hat und ich denke, da muss es eine Verbindung geben. Das bekommen wir aber nur heraus, wenn ich die alten Unterlagen meines Vaters durchgehe“, erklärt mir der Pfarrer.

      „Und wo sind diese Unterlagen?“

      „Hier im Archiv. Ich würde vorschlagen, dass Sie morgen noch einmal wiederkommen und ich suche bis dahin alles heraus. Aber eine Frage habe ich trotzdem noch“, er holt tief Luft und schaut mich intensiv an. „Die Visionen. Sie haben gesagt, dass sie jetzt anders sind. Wie haben Sie das gemeint?“

      „Na ja, ich konnte nicht mehr helfen, weil die Männer von denen ich die Visionen hatte, schon tot waren.“

      „Was für Männer? Beziehen sich die Visionen auf unseren Ort?“, fragt der Pfarrer jetzt leicht nervös.

      „Ja. Sie müssen in den letzten Wochen gestorben sein. Sie hatten alle drei Unfälle und bei allen war etwas komisch dabei.“

      „Wer waren sie?“, schluckt der Pfarrer schwer.

      „Der Fleischermeister, der Mann von Frau Büttner, sie ist auch die einzige, wo ich den Namen kenne und der kam bei einem Dachbrand um. Außerdem der Mann von meiner direkten Nachbarin, er war im Forst tätig. Er wurde von einem Baum erschlagen“, zähle ich auf und bei jeder weiteren Aufzählung, weicht mehr Farbe aus dem Gesicht des Pfarrers.

      „Das passierte alles nachdem bekannt wurde, dass das Haus verkauft worden ist“, murmelt der Pfarrer vor sich hin.

      „Was haben die Todesfälle mit unserem Haus zu tun?“, frage ich entsetzt, denn ich finde absolut keinen Zusammenhang.

      „Ich wollte nur sagen, dass einige Frauen Bedenken gezeigt haben und andere froh waren, dass da endlich wieder Leben einzieht.“

      „Aber vorhin die Frau hat auch gesagt, dass ich sie ins Verderben stürzen würde.“

      „Ich glaube, wir sollten dem allen auf den Grund gehen. Aber dazu müssen wir wissen, was damals passiert ist. Erst dann können wir Verbindungen herstellen“, sagt der Pfarrer, schließt meine Bibel und schiebt sie zu mir herüber. Dann steht er auf und zeigt damit, dass die Unterhaltung hiermit anscheinend beendet ist.

      Ich greife nach meiner Bibel, wieso eigentlich meine, die wurde mir ja aufgezwungen. Aber ich nehme sie trotzdem wieder mit und folge dem Pfarrer still zurück in die Kirche. Vor dem Altar bleibt er stehen und dreht sich zu mir um.

      „Passen Sie auf sich auf. Und haben Sie keine Angst, wenn Sie etwas Ungewöhnliches in ihrem Haus bemerken“, sagt der Pfarrer und hat ein erzwungenes Lächeln im Gesicht.

      „Leicht gesagt“, versuche ich locker zu bleiben. „Dann bis morgen“, lege ich noch nach und in dem Moment löscht ein spürbarer Windhauch alle Kerzen auf dem Altar.

      „Zieht es hier?“, rutscht mir heraus und der Blick vom Pfarrer geht ebenfalls zum Altar. Er zuckt merklich zusammen und mir ist augenblicklich klar, dass das wahrscheinlich nicht sein kann. Sind wir hier auch nicht allein? Ist da wirklich ein Engel? Und verfolgt er mich sogar? Was will er denn von mir?

      Erklärungen dafür könnten wir vielleicht morgen aus den Unterlagen erfahren. Ich hoffe nur, dass es mich wenigstens etwas weiter bringt.

      „Ich werde dann mal gehen“, sage ich und wünsche mir insgeheim, dass der Engel, wenn es einer sein sollte, gleich hier in der Kirche bleibt. Hier wäre ein besserer Platz für ihn. Am liebsten würde ich es herausschreien, aber bin mir immer noch nicht sicher, dass es so etwas überhaupt gibt.

      „Ja, bis morgen“, knirscht der Pfarrer durch seine Zähne und ich würde jetzt gern wissen, was er von all dem hält. Er hat doch einen Draht nach oben und müsste am besten damit umgehen können. Aber wenn ich ihn mir so anschaue, hat er am Ende mehr Angst als ich. Vielleicht auch, weil er so jung ist und ihm die Erfahrungen fehlen.

      Ich lasse ihn einfach vor dem Altar stehen, wo seine Augen immer noch an den gelöschten Kerzen hängen und verschwinde, so schnell wie möglich, aus der Kirche.

      Auf dem Weg zu unserem Haus ist niemand zu sehen. Mir kommt es vor, als wäre die kleine Stadt ausgestorben. Ich störe mich nicht daran, ganz im Gegenteil,