Angela Zimmermann

Erlös mich, wenn du kannst


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zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?

      Ich schließe die Augen und lasse die Worte auf mich wirken. Sie sind komisch geschrieben und so vermag ich nicht gleich zu erkennen, was damit gemeint ist. Mir ist bewusst, dass Bibel lesen schwer sein kann, aber so? Ich überlege nicht weiter, sondern schlage die zweite markierte Seite auf. Auch da sind wieder ein paar Zeilen angestrichen.

      Hebräer 13, 2:

      Gastfrei zu sein, vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.

      Um Gottes willen, was soll das denn heißen?

      Mir fällt das Buch fast aus den Händen und meine Augen durchsuchen, soweit es möglich ist, die Zimmer. Ich kann wieder nichts sehen, aber spüre, dass ich wirklich nicht allein bin.

      Was ist hier nur los? Wer könnte denn durch unser Haus schwirren? Will mir jemand nur Angst machen? Nein, das glaube ich nicht. Dann wären bestimmt schon andere Sachen passiert, die uns richtig in Panik versetzt hätten.

      Was soll ich jetzt tun? Nach demjenigen rufen? Aber nach wem denn eigentlich? Einem Geist? Oder einem Engel? Gibt es da einen Unterschied? Wer könnte mir das denn erklären? Amara? Sie hat gesagt, dass sie von jemanden blockiert wird und uns somit nicht weiterhelfen kann. Ist das dieser Engel? Sind diese Wesen dazu überhaupt im Stande? Und was vermögen sie dann noch alles anzurichten? Verdammt, wer ist in der Lage mir zu helfen?

      Bibel? Kirche? Natürlich, der Pfarrer!

      Ich lege das Buch auf den Couchtisch in das Wohnzimmer, schalte den Backofen aus, obwohl die Lasagne noch gar nicht fertig ist, laufe zurück und greife doch wieder nach der Bibel. Mit ihr verlasse ich hastig das Haus in Richtung Kirche. Meinen knurrenden Magen ignoriere ich nun zum zweiten Mal komplett. Ich laufe, so schnell meine Beine es ermöglichen, die Bibel an die Brust gedrückt und den Kopf gesenkt, damit ich ja niemanden in die Augen schauen muss. Wenn mir jemand entgegenkommt, wechsele ich die Straßenseite aus Angst vor irgendwelchen Berührungen und dann vielleicht auch wieder einer Vision.

      Kurze Zeit später stehe ich nun vor der großen Tür der Kirche. Ich brauche etwas Kraft, um sie aufdrücken zu können und husche hindurch, wobei sie sich schwerfällig hinter mir wieder schließt. Nach ein paar Minuten, in denen ich mich an das düstere Licht und die Kühle gewöhnt habe, laufen meine Beine langsam und ehrfürchtig auf den Altar zu. Ich bin nicht gläubig und bis heute nur sehr selten in einer Kirche gewesen. Beeindruckt von der Größe dieses Gotteshauses, bemerke ich nicht einmal, dass ich anscheinend nicht allein hier bin.

      Ich verbeuge mich vor dem Altar, als hätte ich das schon öfters gemacht und wäre das Normalste der Welt. Dann trete ich ein paar Schritte zurück, will mich auf die erste Bank setzen, um das alles erst einmal auf mich wirken zu lassen. Dabei fällt mein Blick auf eine ältere Dame, die einige Reihen weiter hinten sitzt und mich mit entsetzt aufgerissenen Augen anstarrt. Ich versuche noch sie anzulächeln, aber in diesen Moment steht sie auf und wird leichenblass. Sie hält sich mit ihren alten, vor Angst bebenden Händen an der Lehne der Vorderbank fest und schreit, ohne den Blick von mir zu wenden.

      „Sie soll gehen! Sie ist wieder da und wird uns alle ins Verderben stürzen“, kreischt sie los.

      Ihre Worte ersticken fast in ihrer Kehle und ich bekomme Angst, dass sie am Ende umfällt.

      Plötzlich packt mich der Pfarrer an den Schultern und schiebt mich zur Seite. Ich erschrecke, da ich ihn gar nicht habe kommen sehen. Er bittet mich, platz zu nehmen und die Dame möglichst nicht mehr anzusehen. Dem entspreche ich gern, denn der Frau ist das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben und ich weiß nicht warum. Anscheinend hat es mit mir zu tun, aber was sie gesagt hat, entzieht sich meinem Verständnis. Während der Pfarrer die Frau beruhigt und aus der Kirche hinausführt, schallen ihre Worte immer noch in meinem Kopf. Sie ist wieder da! Was denkt denn die Frau, wer ich bin? Ich bin doch das erste Mal hier und es ist absolut nicht möglich, dass sie mich kennt.

      Keine zwei Minuten später steht der Pfarrer wieder neben mir und sieht mich ernst an. Es ist ein erstaunlich junger Mann und ich könnte mir vorstellen, dass er noch nicht lange hier in der Kirche tätig ist. Ich sitze einfach da, den Schrecken des Gehörten noch in den Knochen und halte die Bibel verkrampft an meine Brust gepresst. Dazu schaue ich etwas ängstlich zu ihm auf.

      „Wer sind Sie denn?“, fragt er jetzt ruhig und nimmt neben mir platz. Seine Gesichtszüge werden weicher, wohl weil er merkt, dass mich ebenso die Angst gepackt hat.

      „Ich wohne seit einer Woche hier im Ort“, presse ich durch meine zusammengekniffenen Lippen und ich bin mir nicht sicher, ob sie zu verstehen sind. Zeitgleich streift mein Blick seine Augen, die auf einmal Wärme versprühen und mir anscheinend zeigen wollen, dass ich vor ihm keine Angst haben muss.

      „Sind Sie die neuen Besitzer des letzten Hauses in der Siedlung?“, lächelt er mich an und ich werde etwas lockerer.

      „Ja, das haben wir vor einem halben Jahr gekauft“, antworte ich und lasse gleichzeitig die Bibel in den Schoß sinken. Sie ist so schwer und meine Hände tun mir schon weh, weil ich sie so verkrampft festgehalten habe.

      „Warum laufen Sie denn mit einer Bibel durch die Gegend? Wir haben hier jede Menge davon und man muss wirklich nicht die eigene mitbringen“, schmunzelt er mich an.

      „Ich habe erhofft hier ein paar Antworten zu bekommen“, murmele ich und schaue verlegen zu Boden.

      „Dann müssen Sie die mir stellen. Wenn Sie nicht gerade eine Gabe haben mit unserem Herrn persönlich reden zu können, werden Sie sonst keine Antworten bekommen“, sagt er sicher und ich zucke bei seinen Worten zusammen. Wenn er wüsste! Natürlich habe ich eine Gabe, aber die nützt mir hier vor Gott überhaupt nichts.

      „Alles in Ordnung mit Ihnen? Oder habe ich etwas falsches gesagt?“, weicht er verlegen zurück, beobachtet mich jedoch sehr genau.

      „Na ja, wegen der Gabe“, beginne ich zu stottern und überlege, ob ich ihm eine Erklärung geben sollte. Aber wen denn sonst. Vielleicht versteht er mich und außerdem hat er ja auch so was wie Schweigepflicht. Also ist er verpflichtet, dafür zu sorgen, dass das von mir Gesagte, hier in der Kirche und bei ihm bleibt.

      „Das habe ich nicht so gemeint“, spricht er schnell und macht Anstalten aufzustehen.

      „Ich habe eine“, platze ich heraus und seine Augen fixieren mich nun erst recht. „Ich habe seit ich zehn Jahre alt war Visionen“, rede ich unbeirrt weiter.

      „Das ist ja interessant. Wir sollten nach hinten gehen und in Ruhe darüber reden. Das ist doch nicht alles, was Sie auf den Herzen haben?“, fragt er und ich nicke ihm schüchtern zu.

      Er steht auf und bittet mich, mit einer Geste ihm zu folgen. Mein Blick huscht noch einmal über die Bankreihen, aber wir sind allein. Warum können wir dann nicht gleich hier reden? Oder hat die Kirche überall Ohren? Ich frage jedoch nicht, sondern laufe ihm hinterher. Neben dem Altar ist eine Tür und die führt uns in ein kleines Hinterzimmer. Hier scheint der Pfarrer seinen Papierkram zu erledigen, denn auf dem Tisch liegen einige Ordner.

      „Setzen Sie sich doch bitte“, fordert er mich auf und dem komm ich nach. Schnell räumt er die Akten zusammen und lässt sie in einem Schrank verschwinden.

      Ich lege die Bibel auf den nun freien Tisch und atme tief durch. Wie soll ich ihm das alles erklären?

      „Was haben Sie denn für Fragen? Oder darf ich erst einmal fragen, was für Visionen Sie haben?“, beginnt er, nachdem er sich ebenfalls gesetzt hat.

      Ich schaue in sein Gesicht, was jetzt sehr freundlich aussieht. Seine Augen werden immer größer und zeigen mir so, dass er neugierig ist, auf das, was ich zu erzählen habe.

      „Die Visionen haben mir immer Unfälle gezeigt, die am nächsten Tag passieren sollten. Ich konnte mit Hilfe einiger Vertrauten den Betroffenen helfen. Ja, ich habe manchen sogar vor dem Tod bewahrt“, sage ich gerade heraus. Mit jedem Wort werde ich lockerer und der Pfarrer aufmerksamer.

      „Das ist