Angela Zimmermann

Erlös mich, wenn du kannst


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in diesem Moment noch nicht, aber es scheint eine schmerzende Erinnerung zu sein.

      „Na ja, unser Garten wird wohl auch bald so aussehen“, sage ich und will mich zum Gehen wenden.

      „Ach, Sie sind die Neuen in unserer Gemeinde. Sie haben da ein schönes Häuschen gekauft“, kommt von ihr und ich bemerke einen komisch klingenden Unterton.

      „Ja. Wir wohnen seit ein paar Tagen hier“, murmele ich und beobachte die Frau sehr intensiv, denn mir wird gleichzeitig etwas mulmig.

      „Dann auf eine gute Nachbarschaft. Ich bin Frau Büttner“, sagt sie und reicht mir die Hand.

      „Hallo, ich bin Frau Schmieder“, antworte ich, zögere aber, ihre Hand zu nehmen.

      Das tut sie stattdessen und ich breche fast gleichzeitig zusammen.

      Schon wieder machen sich die stechenden Schmerzen in meinem Kopf breit und ich suche nur noch nach einer Sitzgelegenheit. Zum Glück ist ein paar Schritte weiter eine Bushaltestelle und da steht auch eine Bank. Blitzschnell lasse ich mich auf ihr nieder und massiere meine pochenden Schläfen. Das nützt jedoch wenig und schon kommen die Bilder. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen.

      Gleichzeitig bemerke ich etwas verschwommen, wie sich Frau Büttner besorgt vor mich kniet und nach meinen Händen greift. Dadurch werden die Schmerzen noch intensiver und automatisch schließen sich meine Augen. Ich vermag es nicht zu verhindern und ihr ebenso nicht die Hände zu entziehen. So bin ich gezwungen, mir die Bilder anzusehen, ob ich will oder nicht.

      Ich sehe wieder einen Mann, der auf dem Boden entlang kriecht. Es ist ein Dielenboden und scheint etwas älter zu sein. Er ist von stechendem Qualm umgeben, der komischerweise sogar mir im Hals kratzt. Irgendwo brennt es und er kämpft sich mit letzter Kraft zu einer Klappe und rüttelt daran. Er ist anscheinend auf einem Dachboden und ich kann nur vermuten, dass es die Bodenluke ist, die nach unten ins Haus führt.

      So sehr er auch zieht und klopft, sie lässt sich nicht öffnen. Es dauert nicht lange und ihm verlassen die Kräfte und er sackt in sich zusammen. Das letzte Bild zeigt mir, wie er leblos vor der Luke liegen bleibt, die seine Rettung hätte sein können.

      Es kratzt in meinem Hals und ich muss husten. Dann öffne ich wieder meine Augen. Auch sie brennen, als hätte ich mich gerade selbst in diesem Qualm aufgehalten. Frau Büttner hält immer noch meine Hände und ich will sie ihr sofort entziehen, aber das ist nun nicht mehr nötig. Ich habe alles gesehen und glaube nicht, dass die Vision noch einmal aufflammt. Ein paar tiefe Atemzüge und das Kratzen im Hals lässt wieder nach. Dass ich jetzt die Visionen sogar körperlich mit durchlebe, ist auch etwas Neues. Was ist hier nur los? Wird es am Ende noch schlimmer? War es ein Fehler hierherzuziehen? Wurde ich in dem Traum über das Haus getäuscht? War es reine Absicht, dass wir in diesen Ort, in dieses Haus ziehen? Aber von wem?

      „Frau Schmieder, alles in Ordnung?“, fragt mich die sehr nett scheinende Frau zögerlich, ja fast ängstlich.

      „Es geht schon wieder. Ich habe ab und zu mal solche Attacken. Das ist Migräne“, lüge ich sie an, denn von meinen Visionen braucht sie nichts zu wissen. Keiner von hier sollte davon erfahren. Und sie brauchen es auch nicht, denn meine Hilfe brauchen sie offensichtlich nicht mehr.

      Frau Büttner setzt sich neben mich und nun sehe ich erst, dass sie vollkommen in schwarz gekleidet ist. Ihr trauriger Blick ist an mir gefesselt. Also kam auch hier, wie ich schon vermutet habe, die Vision zu spät. Warum kann ich das sehen? Was soll ich damit anfangen? Es macht mich wütend nicht helfen zu können, denn das war immer der Sinn dieser Visionen.

      „Frau Büttner kommen Sie bitte mal? Wir sollten noch einmal über die Dachschiefer reden“, unterbricht ein Mann meine Gedanken und ich schaue automatisch nach hinten. Das Dach wird gerade neu gedeckt und einer der Handwerker hat Frau Büttner gerufen.

      Vor dem Haus liegen mehrere verkohlte Balken und an der Fassade sind Wasserschäden zu erkennen. Ich darf mir jedoch nicht anmerken lassen, dass das, was ich da sehe, mit meiner angeblichen Migräne zusammenhängt.

      „Oh, was ist denn da passiert?“, frage ich deshalb anscheinend neugierig, wobei ich schon längst alles weiß, zumindest erahnen kann.

      „Der Dachstuhl hat gebrannt“, antwortet mir die Frau leise.

      „Um Himmels Willen, aber Hauptsache, das Haus ist nicht unbewohnbar“, flüstere ich und würde mich am liebsten davonschleichen. Einfach der unangenehmen Situation entfliehen. Mich hält jedoch etwas zurück.

      „Wenn ich hätte wählen können, hätte ich auf das Haus gern verzichtet. Aber nicht auf meinen Mann“, seufzt Frau Büttner neben mir und nun bin ich es, die nach ihren Händen greift.

      „Es tut mir so leid“, schlucke ich die Worte fast hinunter.

      „Er wollte nur eine Kleinigkeit reparieren“, kommt noch leiser von ihr.

      „Schon in Ordnung. Sie müssen mir nicht...“, beginne ich zu stottern, aber insgeheim steigt meine Neugierde auf das, was sie denkt zu wissen.

      „Er hat es nicht mehr bis zur Bodenluke geschafft. Der Rauch war zu stark“, sagt sie und die Bilder flackern wieder vor meinem inneren Auge auf.

      Er lag doch an der Luke, aber sie war verschlossen. Ich habe gesehen, wie er vergeblich versucht hat, sie zu öffnen. Das ist merkwürdig, mein Unterbewusstsein sagt mir jedoch, dass ich das für mich behalten sollte. Und wieder wird mir mulmig und ich spüre, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Ich hatte zwei Visionen kurz hintereinander und jedes Mal war meine Hilfe nicht mehr nötig. Gerade das war sonst immer meine Aufgabe. Ich habe mich stets gut und bestätigt gefühlt, wenn ich helfen konnte. Aber jetzt fühle ich mich richtig schlecht, weil ich gesehen habe wie die Männer sterben und gleichzeitig platzt fast mein Kopf von den vielen Fragen, die sich darin breitmachen.

      „Sie sollten zu dem Handwerker gehen. Der wollte doch mit Ihnen reden. Und ich muss auch nach Hause“, sage ich und stehe auf. Ich helfe ihr noch hoch und schon huscht sie durch das kleine Gartentürchen auf ihr Grundstück. Erst als sie im Haus verschwunden ist, mache ich mich auch auf den Weg.

      Die letzten hundert Meter gehe ich mit gesenktem Kopf und meine Schritte werden wieder immer schneller. Mein Innerstes will einfach nicht mehr, dass ich noch jemanden begegne und ich werde auch niemanden dazu die Gelegenheit bieten.

      Ein paar Minuten später schließe ich hastig die Haustür von innen und es kommt mir vor, als würde eine schwere Last von meinen Schultern fallen. Ich fühle mich hier sicher und vielleicht auch schon mehr zu Hause, wie es eigentlich sein sollte. Aber von der ersten Sekunde an fühlte es sich richtig und heimisch an und damit haben auch die Möbel zu tun, die ich alle unbedingt behalten wollte. Warum weiß ich ebenfalls bis heute nicht.

      Aber was ist mit der Stadt und den Leuten? Werde ich noch mehr von diesen Visionen haben, wenn ich jemanden begegne? Kann ich ihnen irgendwie aus dem Weg gehen? Aber wie sollte ich das anstellen? Es gibt allerlei Besorgungen und die erledigen sich nicht von selbst.

      Voll in den Gedanken gefangen lege ich das Päckchen vom Fleischer in den Kühlschrank und gehe in das Wohnzimmer. Augenblicklich werden meine Beine schwer und zwingen mich zum Hinzulegen. Kaum liege ich auf der Couch, fallen mir die Augen zu. Das Erlebte hat mich doch mehr mitgenommen, als ich mir vorgestellt habe, obwohl es eigentlich sonst erst hinterher richtig losgegangen ist. Ich musste immer alles organisieren und den Leuten Bescheid geben, damit den Menschen, meistens waren es Kinder, geholfen werden konnte. Jetzt ist aber alles schon vorbei und ich bin so geschafft und innerlich kaputt, was ich so noch nicht erlebt habe.

      Ich lasse mir die Vorfälle zum wiederholten mal durch den Kopf gehen und suche nach irgendwelchen Lösungen. Ich komme jedoch nicht weit und alles verschwimmt, bis es nur noch schwarz ist.

      „Schatz ich bin da“, höre ich Manuel und er reißt mich aus einem Zustand, den ich nicht als Schlaf zu benennen vermag.

      Ich bleibe liegen, weil mein Körper sich wie Blei anfühlt und die Augenlider sind ebenso schwer, dass ich sie nicht auf bekomme. Also warte ich einfach,