Angela Zimmermann

Erlös mich, wenn du kannst


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euch zu eurem Glück“, redet Amara nun wieder leise auf mich ein.

      „Jemand?“, piepse ich und fühle mich augenblicklich beobachtet. Gleichzeitig fällt mir ein, wie Amara sich hier umgesehen hat. Weiß sie doch mehr, als sie uns sagen will? Nein, das möchte ich einfach nicht glauben. Sie war immer offen, ehrlich und aufrichtig zu mir.

      „Stella, du darfst dich nicht verrückt machen lassen. Du wirst jeden Tag dem Geheimnis etwas näher kommen und ihr werdet es zusammen durchstehen. Ihr müsst nur daran denken, dass ihr hier sehr glücklich werden könnt“, versucht mich Amara zu beruhigen.

      „Und wenn wir das nicht schaffen?“, entgegne ich ihr.

      „Das kann ich mir nicht vorstellen. Du musst nur offen sein für das, was auf dich zukommt, auch wenn du es nicht glauben willst“, hält Amara dagegen.

      „Wie meinst du das denn wieder? Weißt du mehr als du uns sagen willst“, zische ich nun auch Amara an und bereue aber sofort mein Verhalten nicht unter Kontrolle zu haben.

      „Bleib ruhig“, sagt Manuel und greift nach meinen Händen.

      „Ich kann dir nur sagen, dass alles von diesem Haus ausgeht. Lass es auf dich zukommen. Es wird sich alles zum Guten wenden“, betont Amara noch einmal, aber mir fällt es schwer, mich damit abzufinden.

      „Dann ziehen wir eben wieder aus“, bricht es aus mir heraus und in dem Moment schlägt die Terrassentür zu, die ich offengelassen habe. Amara zuckt zusammen und schaut mürrisch in die Richtung der Tür.

      „Was ist hier los?“, stottere ich und starre ebenfalls dahin.

      „Es wird wohl nichts bringen wieder auszuziehen. Es wird dich immer wieder einholen und so wird es besser sein, du nimmst diese Aufgabe jetzt an“, flüstert Amara, steht auf und hat wohl im Sinn, auf dem schnellsten Weg von hier zu verschwinden.

      „Uns will jemand hier festhalten. Kannst du mir nicht helfen?“, schaue ich sie entsetzt und flehend zugleich an, aber sie schüttelt nur mit dem Kopf.

      „Nein, ich darf anscheinend nicht und ich könnte es auch nicht. Eins ist aber sicher, du bist nie in Gefahr. Dir wird nichts passieren, du sollst nur etwas in Ordnung bringen. Was es ist, kann ich dir jedoch nicht sagen, ich weiß es wirklich nicht“, kommt von Amara und sie zieht mich in ihre Arme.

      „Ich werde dir helfen. Du bist nicht allein, egal wer oder was hier ist“, sagt Manuel im Hintergrund und seiner Hilfe kann ich mir absolut sicher sein. Wird sie jedoch reichen? Darf er mir überhaupt zur Seite stehen? Betrifft es allein mich und er wird auch blockiert. Dann ist er am Ende vielleicht ebenso außer Stande mir zu helfen.

      „Du schaffst das. Du musst versuchen dich abzulenken“, murmelt Amara ganz nahe an meinem Ohr und reißt mich so aus den Gedanken, die wieder anfangen zu kreisen.

      „Wie soll ich das denn machen?“

      „Was ist eigentlich mir deiner neuen Schmuckkollektion?“, fällt Amara im nächsten Moment ein und bewegt sich immer weiter zur Tür. Sie will einfach nur noch weg, was ich jedoch gar nicht mehr so richtig mitbekomme. Dank ihr habe ich plötzlich etwas ganz andres im Sinn. Die Schmuckstücke, die ich schon lange entwerfen und kreieren wollte.

      „Dazu bin ich noch gar nicht gekommen“, gebe ich nachdenklich, aber ehrlich zu.

      „Na, dann hast du doch etwas zu tun. Mach dich an die Arbeit und lasse die düsteren Gedanken hinter dir“, lächelt Amara aufrichtig.

      „Du hast Recht. Ich werde mich in die Arbeit stürzen. Bestellungen gibt es bestimmt auch schon wieder“, schmunzele ich zurück und öffne Amara die Tür, vor der wir schon längst stehen.

      Ich winke Amara noch einmal zu und dann sind auf einem Mal die Bedenken wegen des Hauses und was so auf mich zukommen könnte wie weggeblasen und in meinem Kopf gehe ich schon alles durch, was die neue Kollektion betrifft. Das wird sehr viel Arbeit und eigentlich bin ich darüber froh, denn das wird mich wohl wirklich ablenken.

      Amara hat mir noch einmal gesagt, dass ich jeder Zeit anrufen kann, auch wenn kaum Möglichkeiten bestehen, mir weiterzuhelfen. Aber ein beruhigendes Telefonat vermag schon Wunder zu bewirken.

      Ich schließe die Tür und Manuels Arme schlingen sich um meinen Körper. Ich lasse es zu und falle regelrecht an seine Brust.

      „Wir schaffen das schon, egal wer oder was da ist“, flüstert er mir so leise ins Ohr, dass es niemand anders hören kann.

      „Hm“, kommt nur von mir, zu mehr bin ich nicht fähig.

      Der Gedanke, dass sich irgendetwas hier im Haus befindet, was unser Leben beeinflusst, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich werde es herausfinden und versuchen, mich dem entgegenzustellen, aber es ist schon angsteinflößend, wenn man nicht weiß, was alles auf einen zukommen könnte.

      

       Kapitel 6

      Manuel ist heute sehr früh in die Schule und seit dem sitze ich in meinem Arbeitszimmer. Als Erstes habe ich die Bestellungen abgearbeitet und bemerkt, dass ich fast keine Vorräte mehr habe, um diese zu bedienen. Ich sollte mich nun voll in die Arbeit stürzen, wobei die neue Kollektion jetzt noch etwas warten muss. So vergehen die Stunden wie im Fluge. Erst als sich mein Magen bemerkbar macht, schaue ich auf die Uhr. Es ist schon nach zwölf und so räume ich den Arbeitstisch auf, denn ich habe genug geschafft und kann mich nun doch, nachdem ich etwas gegessen habe, um die Erweiterung meiner Kollektion kümmern. Ich lege die neuen Steine schon einmal auf eine weiße Unterlage und bei dem Anblick vergesse ich darüber den Hunger. Ich bleibe sitzen und meine Hände arbeiten von ganz allein weiter.

      Zwei Stunden später, nach absoluter konzentrierter Arbeit, merke ich, wie Unruhe in mir aufsteigt. Ich fühle mich beobachtet und es kommt mir vor, als würde die Luft zum Atmen im Raum immer geringer. Langsam drehe ich mich um und meine Augen suchen das Zimmer ab. Im ersten Moment kann ich nichts entdecken, bis ich im Augenwinkel den Schaukelstuhl schwingen sehe. Mein Blick bleibt an ihm hängen und augenblicklich steht er wieder still. Habe ich mir das eingebildet? Nein! Ich habe es genau gesehen. Ich stehe auf und öffne das Fenster, um frischen Sauerstoff hereinzulassen. Nach ein paar tiefen Zügen will ich hinunter in die Küche gehen. Der Magen schmerzt schon fast, weil ich den Hunger übergangen habe.

      Aber so weit kommt es nicht. Meine Beine führen mich automatisch auf den Schaukelstuhl zu. Kurz davor bleiben sie stehen und was ich da sehe, überschreitet mein Verständnis. Über dem Stuhl hängt wie immer ein Schaffell und darauf liegt ein Buch. Nicht irgendein Buch, nein, eine Bibel. Wie kommt die denn hier her? Ich habe noch nie eine besessen. Schnell drehe ich mich im Kreis und überzeuge mich davon, dass ich wirklich allein bin. Allein? Und wer hat dann das Buch auf den Stuhl gelegt? Ich husche zur Tür und schaue die Treppe hinunter.

      „Manuel? Bist du da?“, rufe ich, bekomme jedoch keine Antwort.

      Ich will hinuntergehen, aber irgendetwas zwingt mich zurück in mein Arbeitszimmer. Wie von jemand Fremden geführt, nehme ich das Buch in die Hand und mir fallen sogleich zwei Klebezettel auf, die an der Seite herausschauen und anscheinend bestimmte Abschnitte des Buches markieren sollen.

      Etwas unwillig nehme ich die Bibel und gehe nun endlich nach unten. Sie landet erst einmal auf der Arbeitsplatte in der Küche. Sie nicht aus dem Auge lassend, suche ich im Kühlschrank nach etwas, was meinen Hunger stillen könnte. Ich werde fündig und schiebe eine kleine Lasagne in die Backröhre. Ich stelle die Uhr ein und so lange habe ich jetzt auch Zeit, um in die Bibel hineinzuschauen. Das erste Mal in meinem Leben habe ich solch ein Buch in den Händen.

      Ich schlage eine der markierten Seiten auf und sofort fällt mir eine angestrichene Stelle auf. Es ist nicht viel, aber ich muss trotzdem mein Gehirn erst einmal auf die Schreibweise einstellen. Die Bibel ist in alter deutscher Schrift geschrieben, die ich einst von meiner Oma ein wenig gelernt habe. So fällt es mir nicht allzu schwer, die Worte zu entziffern.