Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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Nötigste seiner inneren Gefühlswelt auf seinem Gesichte zum Vorschein kommen ließ. Auch während des Weges zu unserer Herberge sprach Salek nicht ein einziges Wort, was man, wenn ich es recht bedenke, durchaus als eine Ungehörigkeit bezeichnen könnte. Da er aber so eng vertraut mit dem Herrn Papste und sein Camerlengo war, wagte ich nicht, ihn meiner Kritik zu unterziehen, und schwieg ebenfalls, denn ich wollte nicht schon in der ersten Stunde unserer Gesandtschaft Misstöne und Feindseligkeit aufkommen lassen. Der Auftrag, den zu erfüllen wir vom Kaiser geschickt worden waren, erforderte von mir in höchstem Maße diplomatisches Geschick und hing nicht ganz unerheblich von dem äußeren Rahmen ab, den zu schaffen wir vermochten, um mit dem obersten Bischof und Allgemeinen Papste ins Vernehmen zu kommen. Dieser unheilige Moment, das empfanden sicherlich nicht nur der gute Landward und meine bescheidene Niedrigkeit so, sondern wohl auch mein braver Schüler, erschien uns gänzlich ungeeignet, ein Anliegen, gleich welcher inneren Art und welcher äußeren Gestalt, vorzutragen und zu einem erfolgreichen Abschluss führen zu können.

      Der Franco ging drei Schritte hinter uns, ebenfalls schweigsam. Als Salek uns zur Pforte eines beträchtlichen Anwesens geführt hatte, klopfte er einen schweren Messingknauf dreimal gegen die Tür und verneigte sich dann, immer noch ehern schweigend, vor uns, um auf dem gleichen Wege, den wir gekommen waren, zu seinem Herrn zurückzukehren.

      Der Tageslauf war indes noch nicht so weit vorangeschritten, dass wir die Absicht hatten, uns zur Ruhe zu betten. Im Gegenteil: Unsere Reise war weit weniger beschwerlich und ermüdend gewesen als befürchtet, und so sprachen wir mit dem Hausherrn des Anwesens, einem vornehmen römischen Adligen namens Stephanus de Imiza, und seinem jüngeren Bruder Rikhardus. Stephanus zeigte überaus große Liebenswürdigkeit, als ich ihm versicherte, dass wir in Gesandtschaftsdingen unterwegs waren, und außerdem großes Interesse an seinem Weinlager offenbarte. Ich erklärte ihm auf sein Nachfragen, während wir im angenehm kühlen Kellergewölbe unter seinem Haus köstlichen Nektar tranken, dass uns an nichts mehr gelegen war, als den unseligen Krieg im Norden zu beenden, und dass wir unseren Teil dazu beitragen wollten, wenn der Herr in seiner unendlichen Gnade uns darin beistehen wolle.

      Stephanus war ein gebildeter Mann mit Mut zum offenen Wort, wenn es sich geziemte. Ich gestehe, dass mir diese Eigenart sehr imponierte und ich sie auch gern an mir gehabt hätte, doch zweifle ich daran, dass jemand wie ich, der aber sein Herz auf offener Zunge trüge, gleichsam ein guter Diplomat und Gesandter sein könne. Ist die Kunst der Diplomatie nicht immer und zuallererst auch die Kunst des Täuschens und Verbergens, frage ich? Wie dem auch sei, Stephanus und sein nicht minder gebildeter Bruder Rikhardus, der für Speisen und Tanz sorgte, indem er eine Schar bezaubernder Jungfrauen aufbot, die sich ganz um unser leibliches Wohl sorgten und auch dem Auge ein ums andere Mal einen besonderen Schmaus darboten, hatten ihre eigene, wohl durchdachte Sicht auf die Dinge.

      Wir ließen uns bei Wein und lieblicher Musik auf einem Diwan im schönsten Raum seines Hauses nieder und er sprach zu uns: „Es kommt mir vor, als wenn der Teufel den Schöpfer hasst, wenn ich sehe, wie Papst Johannes den heiligsten Kaiser, seinen Erretter aus den Händen Berengars und Adalberts, verabscheut und hintergeht. Vom geliebten Kaiser wissen wir, dass er erkennt und tut und liebt, was Gottes ist. Er schützt die geistlichen und weltlichen Dinge mit seinem Wissen und seinem Schwerte. Aber Papst Johannes ist all diesem Feind. Er verschenkt ungerührt, was nicht seins ist, und er nimmt, wo und wie es ihm beliebt. Und ich sage Euch, verehrter Bischof Liutprand und verehrter Bischof Landward, das ist beileibe kein Geheimnis! Das Volk weiß längst über alles Bescheid.“

      Ich blickte wohl gar zu ungläubig, so dass mein Gegenüber sich genötigt sah, diesen letzten Satz und einige weitere zum Beweis heranzuführen. Der gute Franco, der neben mir auf einem weniger bequemen Kissen hockte, schien sich indes für das Gerede der Erwachsenen nicht allzu sehr zu interessieren. Er wickelte unablässig eine dünne goldene Schnur um seine Finger, um sie kurz darauf wieder abzuspulen. Seine Blicke galten mehr den Jungfrauen und ihrem manchmal frivolen Gebaren, so dass ich ihn mit strengem Gebot ermahnen musste, sich in seinem Interesse ein wenig zurückzunehmen. Ich ließ ihm einen Teller mit Obst und einen Krug Bier bringen, damit er sich auf diese Art etwas amüsieren und ein wenig Zerstreuung finden konnte.

      Sodann fuhr Stephanus fort: „Wie man zuletzt hörte, war Johannes für die junge Witwe eines Dienstmannes, den er zuvor aus ganz nichtigen Gründen ermorden ließ, in blinder Leidenschaft entbrannt. Er verfolgte die arme Frau über viele Städte hinweg und ließ ihr goldene Kreuze und Kelche, welche doch eigentlich dem unantastbaren Schatze des Heiligen Petrus zugehören, als Geschenk zukommen. Und noch etwas: Die Frau Stephana, seine Geliebte, verlor bei der Abtreibung einer von ihm empfangenen Leibesfrucht vor kurzem das Leben! Bedenkt nur, edle Bischöfe: Der Lateranensische Palast, einst der Wohnort heiliger Männer, ist jetzt der Tummelplatz unzüchtiger Weiber! Denn dort haust als sein Weib die unzüchtige Schwester einer anderen Beischläferin, genannt Stephania.“

      Erneut wandte ich mich zu meinem Schüler um, der sich bei der Erwähnung der Weiber im Lateranensischen Palast wohl ebenso an unseren kürzlichen Besuch erinnert gefühlt haben dürfte wie ich. Unsere Blicke kreuzten sich für einen Moment vielsagend. Stephanus brachte noch weitere Beispiele der Verrufenheit und Lasterhaftigkeit, denen sich der Papst mit jedem neuen Jahr seiner Amtszeit immer offener und verschwenderischer hingab. Er berichtete ebenso von grauenhaften Taten, die der Papst noch vor wenigen Tagen an Ehefrauen und Witwen vollbringen ließ, deren Männern er auf die eine oder andere Art Gewalt und Tod angetan hatte, um sie gefügig zu machen. Mich erschauerte das Gehörte derart, dass ich nicht einmal in der Lage war, es mir in meinem inneren Bilde vorzustellen.

      „Der Tod herrscht in den Kirchen!“, fuhr er in Eifer entbrannt fort. „Allerorten stürzen ihre Dächer ein. Uns ängstigt das morsche Gebälk, wie es knarrt und knirscht. Das Regenwasser kommt nicht etwa tropfenweise, sondern wie ein Platzregen auf die geheiligten Altäre hernieder! Er behindert uns, die wir viel zu bitten haben in diesen Zeiten und zwingt uns, das Haus des Herrn so schnell wie möglich wieder zu verlassen.“

      Stephanus hatte sich mit der Zeit und dem Wein so in Rage geredet, dass es ihm schwerfiel, einen anderen Sinn zu finden. Er hatte es denn auch verstanden, mir einen guten Eindruck zu vermitteln, warum zwischen dem Herrn Papste und dem Heiligen Kaiser eine solche Feindschaft herrschte wie in der Natur zwischen Wolf und Lamm. Noch am Ostertag des Jahres 962 hatte der Papst Johannes XII. in schönster Einhelligkeit mit dem Kaiser dessen Krönung vollzogen. Die beiden Männer waren trotz des großen Altersunterschiedes von beinahe dreißig Jahren durch eine enge Freundschaft verbunden. Sie war aber nur von kurzer Dauer. Ich verstand, dass der ungeheure Machthunger des Kaisers Otto und seine immer wieder aufflammenden Herrschaftsansprüche in der Provinz Capua und im Benevent6), welche jedoch dem oströmischen Reiche des mächtigen Kaisers Nikephoros untertan waren, den Papst verdrießlich machten und ihn nun umso mehr um seine eigene Position fürchten ließen. Um sich die Feindschaft des Kaisers ungestraft erlauben zu können, machte er sich den mächtigen Berengar von Ivrea und dessen gierigen Sohn Adalbert zum Vormund, zum Beschützer und Verbündeten.

      Kaiser Otto, der von dem unerwarteten Kurswechsel des noch jungen Papstes zunächst überrascht war, brachte schon kurz darauf väterliches Verständnis für ihn auf: Er sei noch ein Kind, sagte er zu mir, er werde leicht durch das Beispiel guter Männer zu bessern sein. Und er hoffe noch, fügte er hinzu, dass jener sich durch einen Tadel in Ehren und freimütige Ermahnung mühelos von diesen argen Dingen freimacht.

      Doch schon bald waren die Prioritäten für den Kaiser anders gesetzt. Vor der Hand forderte die Reihenfolge, den untreuen Berengar aus den Bergen zu vertreiben, da er sich noch in der Feste San Leo hielt, dann erst wollte er dem Herrn Papste mit väterlicher Ermahnung zureden. Wenn nicht aus freien Stücken, so fügte er dem Gesagten hinzu, so wird der Papst doch aus Scham sich in einen vollkommenen Mann verwandeln. Und wenn er so vielleicht gezwungenermaßen bessere Sitten annimmt, so wird er sich schämen, sie wieder abzulegen. Ich stimmte dem Erhabenen Kaiser zu und machte mich, wie oben beschrieben, mit dem Bischof Landward und den anderen auf den Weg nach Rom, um zu sehen, was wir für ihn ausrichten konnten.

      Als die Stunde des nächsten Tages nahte, in der wir erneut vor den Papst treten sollten, um unsere Gesandtschaft zu erfüllen, wurden wir vom Diener Salek direkt vor der Herberge in Empfang genommen. Der