Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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als Salek kaum das Tor passiert hatte, aber so laut, dass nicht nur ich es hören konnte.

      Natürlich wusste ich sofort, was diese Einladung des Papstes zu bedeuten hatte. Mir war während unserer Audienz nicht verborgen geblieben, welche begehrlichen Blicke er auf meinen jungen Schüler richtete. Und ich gestehe auch, dass dies kein Gedanke war, der mich in irgendeiner Weise beruhigen konnte. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass Franco hinter mir im Türrahmen stand.

      „Meister?“, fragte er mit sanfter Miene, nachdem ich die Tür geschlossen hatte. „Ihr seht sehr besorgt aus. Was hat der Camerlengo von Euch gewollt?“

      Mit einer Geste gebot ich ihm, Platz zu nehmen und versuchte indes, meine Gedanken zu ordnen. Franco war ein guter Junge. Er tat, wie ihm geheißen und wartete geduldig, was ich zu sagen hätte. Aus den Augenwinkeln musterte ich ihn aufmerksam und fragte mich, wie viel von dem kurzen Gespräch er wohl mitbekommen hatte. Sollte ich ihn zu seinem Schutze belügen, ihn gar verstecken? Konnte ich ihn denn überhaupt beschützen? Vor dem Papste? Vor meinem obersten und heiligsten Dienstherrn? Nein. So entschloss ich mich, nichts dergleichen zu tun. Stattdessen wollte ich ihm reinen Wein einschenken und setzte mich behutsam zu ihm.

      „Der Heilige Vater will Dich sehen, Franco. Heute Abend schon“, sagte ich mit einiger Betrübnis und beobachtete, wie er es aufnehmen würde.

      Franco jedoch sah keineswegs unglücklich aus.

      „Aber ist das denn kein Grund zum Jubel, Meister? Der Papst ist doch sehr mächtig und stark. Ist es denn nicht gut, wenn wir ihn zu unserem Freunde haben können?“

      „Nun ja, mein guter Franco. Das wäre wohl durchaus ein guter Grund zum Jubel. Nur leider glaube ich nicht, dass wir aus dieser Beziehung, wie ich es einmal nennen möchte, irgendeinen Vorteil werden ziehen können. Meine Erfahrung sagt mir, dass er Dich nicht eingeladen hat, um Dich nach Deiner Meinung oder einem besonders schwierigen Ratschluss zu fragen, wie es unter Freunden recht schicklich wäre.“

      „Meister, Ihr sprecht davon, als wolltet Ihr mich nicht begleiten?“

      „Ja, Du hast recht gehört, Franco. Der Papst hat seine Einladung nur an Dich gerichtet. Weder ich noch der Landward werden Dich dorthin begleiten können.“

      „Wünscht er denn nicht, Euren Rat zu hören?“

      „Oh, nein. Nicht dieser Papst! Für das, was er vorhat, wäre mein Ratschluss nur hinderlich.“

      „Das verstehe ich nicht, Meister.“

      Ich stöhnte leise, wusste aber keine passende Erwiderung.

      Franco lief ein paar Schritte in der Kammer auf und ab. Seine Miene hellte sich plötzlich auf. Er schien nun ob dieser Nachrichten recht freudig erregt zu sein und einer ehrenvollen Aufgabe entgegenzusehen.

      „Ich kann sicherlich nicht so gut argumentieren und disputieren wie Ihr, verehrter Bischof Liutprand“, sagte er, „aber ich will gern meinen Teil, so gut ich kann, leisten, wenn Ihr es wünscht.“

      Er hatte wirklich keine Ahnung.

      Ich forderte ihn auf, sich wieder zu mir zu setzen und legte meine Hand behutsam auf seine Schulter. „Und Du hast keine Vorstellung, weshalb der Herr Papst nach Dir geschickt haben könnte?“, vergewisserte ich mich.

      Franco verneinte arglos, was die Aufgabe für mich nicht eben leichter werden ließ.

      „Wie Du sicherlich vernommen hast“, begann ich, „ist er den weltlichen Dingen weit weniger abgeneigt, als er sollte. Er betreibt die Hurerei und allerlei sündigen Frevel in den Gemächern des Lateranensischen Palastes. Seine Begierden sind manchmal wider die Natur, musst Du wissen. Man sagt, er treibt es nach Art der Hunde und hat ungehörigen Verkehr.“

      „Wie meint Ihr das, Meister?“

      Ich zögerte gewiss etwas zulange und es war mir eine abscheuliche Qual, dem armen Jungen all dies in den Einzelheiten beschreiben zu müssen, glaubte aber, in diesem Falle keine andere Wahl zu haben, damit er wisse, worauf er sich einließ, wenn er der Einladung des Papstes Folge leistete. Und dass er genau dies tun musste, stand außer Zweifel.

      „Wir Männer des Glaubens“, erklärte ich deshalb umständlich, „haben die Enthaltsamkeit und die Zügelung unserer Begierden und Lüste zu unserem hohen Ideal erhoben. Wie Du weißt, steht für uns die Liebe zu Gott und die völlige Hingabe im Glauben an ihn weit höher als die profane Befriedigung von Lustgefühl und Triebhaftigkeit. Deshalb haben wir der gemeinen Fleischeslust und auch dem Institut der Ehe abgeschworen. Aus gutem Grund also. Denn wir verstehen die Fleischeslust als Folge des Verlustes der paradiesischen Unschuld. Überdies steht in der Bibel geschrieben, dass der Beischlaf mit dem Weibe allein der Zeugung dienen solle. ‚Seid fruchtbar und vermehret euch!’ steht dort, womit gemeint ist, dass der Beischlaf mit dem Weibe ohne eine Ehe wider die Natur ist und ein Zeichen von Triebhaftigkeit und Gottlosigkeit. Verstehst Du das?“

      Franco nickte verständnisvoll, so als könne er spüren, welche Nöte mir dieses Gespräch innerlich bereitete.

      „Nun hat der Herr Papst, wie es offensichtlich ist, eine andere Meinung. Er schert sich nicht um sein Seelenheil, versündigt sich gegen den Herrn und gegen das Fleisch. Er schart lasterhafte Weiber um sich, treibt Sodomie und schlimmere Dinge, von denen ich hier nicht sprechen kann.“

      „Aber dann droht doch mir keinerlei Gefahr, Meister Liuzo! Ich bin kein Weib!“

      „Oh, mein armer Junge“, klagte ich. „Wie kann ich Dir nur begreiflich machen, welches Schicksal Dich erwartet, wo Du doch selbst von den einfachsten Dingen nichts weißt?“

      Franco jedoch schien immer noch ohne jede Sorge. Anstatt sich selbst in höchstem Maße zu beunruhigen, versuchte er, mir die Furcht zu nehmen.

      „Ängstigt Euch nicht um mich, Meister Liuzo“, sagte er. „Ich werde sorgsam darauf achten, nicht der Sünde, wie Ihr sie mir beschrieben habt, zu verfallen.“

      Ohnmächtig stöhnte ich auf. Was konnte ich nur tun, um das kommende Unheil abzuwenden? Die Stunde nahte, zu der Franco sich bereithalten sollte, und ich wusste keinen Weg, wie ich es hätte verhindern können noch wie ich ihm die Gefahr, in die er sich offenen Herzens begab, hätte verständlich machen können.

      In der vierten Abendstunde stand der Salek, wie angekündigt, vor dem großen Tore und erwartete den Jungen, der in jenes orangefarbene Gewand gehüllt war. Immer noch hatte ich den Eindruck, dass der gute Franco nicht wusste, was ihn im Lateranensischen Palast erwartete. Ein beinahe glücklich zu nennendes Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er sich zu mir umdrehte und mir zudem aufmunternd zuwinkte. Ich indes machte mir die größten Sorgen. Ich konnte und wollte nicht zulassen, dass er in seinen jungen Jahren schon zur Verderbtheit, zur Triebhaftigkeit und zu Schlimmerem hingerissen wurde. Meine Aufgabe, die ich seinem Vater feierlich in die Hand versprochen hatte, war, ihn zu beschützen, auf sein Seelenheil Acht zu geben und ihn nach besten Möglichkeiten auszubilden. Keinesfalls wollte ich auch nur eines davon auf eine so schändliche und unwerte Art preisgeben. Ich war fest entschlossen zu verhindern, was zu verhindern war.

      Als Salek und Franco außer Sichtweite waren, schlüpfte ich in meine besten Sandalen und folgte ihnen. Ich musste sie nicht sehen, um zu wissen, welchen Weg sie nahmen. Salek wählte immer den kürzesten und direkten Weg, denjenigen, der ohne Umschweife zum Ziele führte. Ich entschied mich deshalb für einen anderen, der zwar mit einiger Verzögerung, aber ebenso sicher zum Palast führte. Auf die Verspätung mochte es in diesem Falle nicht ankommen, dessen war ich gewiss, weil der erste Teil dieser unheiligen Gesellschaft ganz sicher ein ausgiebiges Mahl bei Wein und Tanz sein würde. Und dieses beneficium sollte Franco ruhig und in Freuden genießen können.

      Als ich den päpstlichen Palast erreichte, war bereits die Dämmerung über die Stadt hereingebrochen. Aus einer seitlichen Gasse kommend, nahm ich die breite Straße zum großen Portale und wurde zu meinem beträchtlichen Erstaunen von der Palastwache schroff abgewiesen, noch bevor ich etwas zu meinem Begehr sagen konnte. Beinahe