Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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konnte kaum glauben, was ich da hörte. Hatte er mich einen assassine, einen Mörder genannt? Ich weiß auch heute nicht einmal zu sagen, welche der beiden Aussagen dieses dummen und unbelehrbaren Jungen mich mehr aus der Fassung warf? Er sagte, dass er einen Freund verloren habe. Hieße das, der Papst sei sein Freund gewesen und nun tot und ich hätte ihn auf dem Gewissen? Ich mochte das nicht glauben, aber andererseits erinnerte ich mich, die Spitze der Lanze in ebensolcher Absicht auf seine Brust gesetzt zu haben. Aber dann kam ich nicht weiter. Der Faden war gänzlich abgerissen.

      Mich einen Meuchelmörder zu nennen war eine empfindliche Ungezogenheit! Mich, den Cremoneser Bischof von des Kaisers Gnaden, seinen sorgenvollen Beschützer und liebevollen Lehrmeister?

      Doch die erste Frage interessierte mich weitaus brennender und ich musste es jetzt wissen.

      „Ist der Papst tot? Habe ich ihn getötet?“, fragte ich, ohne weiter auf seine Beleidigung einzugehen.

      „Tot? Nein! Der Papst hat Euer Attentat gottlob unverletzt überstanden. Was für ein Assassin seid Ihr, wenn Ihr das nicht wisst?“

      Ich bekreuzigte mich und rief: „Der Herr ist mein Zeuge! Ich bin kein Mörder, Franco! Nicht einmal anrühren wollte ich den Papst! Kein Haar wollte ich ihm krümmen! Bei Gott, er sollte nur Dich in Frieden ziehen lassen!“

      Franco antwortete nicht mehr.

      Vermutlich glaubte er mir keines meiner Worte und war bitterböse über die Wendung, die ich herbeigeführt hatte. Es gelang mir auch in den darauffolgenden Stunden nicht, ihn von meinen guten Absichten zu überzeugen, und schließlich gab ich es dann auf.

      „Mein armer Junge! Was haben diese Teufel nur aus Dir gemacht?“, flüsterte ich entmutigt und bekreuzigte mich inniglich. Fortan schwiegen wir in unserem Kerkerloch, was den ungemütlichen Aufenthalt für mich noch um einiges unerträglicher werden ließ. Da sich das tiefe Dunkel des Raumes auch nach vielen langen Stunden (ich habe sie nicht zählen können) nicht lichtete, konnte ich nun für gewiss nehmen, dass man uns in einen Keller ohne Fenster gesperrt hatte.

      Ich nutzte also die Zeit, um den Raum mit Schritten zu vermessen, wie ich es längst geplant hatte. Bei dieser Prozedur fand ich auch eine halbhohe Öffnung, die von einer beschlagenen Tür verschlossen war. Es schien der einzige Zugang zu sein. Auch hatten die Wände keine Nägel, wie sie für Fackeln oder Öllampen gebraucht würden. Ich war außerordentlich beunruhigt, je mehr ich über unseren Aufenthaltsort herausfand.

      Nach einigen weiteren Stunden öffnete sich plötzlich und ohne Ankündigung die kleine Türe und eine Stimme befahl uns, herauszukommen. Im blendenden Schein einer Pechfackel stand der Diener Salek. Grimmig und wortkarg wie immer trat er auf mich zu.

      „Ihr seid frei. Beide. Geht!“, sagte er, drehte auf dem Absatz um und stapfte davon. Da wir den Weg nach draußen nicht kannten, folgten wir ihm, so gut es ging.

      Später erfuhr ich, dass unsere Kerkerhaft beinahe zwei Tage gedauert hatte und wir unsere schnelle Befreiung dem festen und ausdrücklichen Einspruche unseres geliebten und gelobten Kaisers selbst zu verdanken hatten. Wir waren durstig und ausgehungert wie kaum je zuvor, aber am Leben.

      Dem Herrgott sei Dank!

      3. Kapitel

      Der große Kaiser Otto und seine Gemahlin Kaiserin Adelheid waren mit einer gewaltigen Streitmacht nach Italien gekommen, sodass es ihnen möglich war, sie ohne Besorgnis hälftig aufzuspalten und damit an zwei Orten gleichzeitig aufzutreten. Einen Teil seiner Truppen ließ der Kaiser in Rom zurück, wobei er sorgsam darauf bedacht war, die Belastungen für die Stadt durch Unterhalt und Plünderungen so gering wie möglich zu halten. Das meiste Volk Roms pries ihn dafür in hohen Worten, ein anderer, viel kleinerer Teil hatte auch daran wieder etwas zu meckern, beschimpfte und bespuckte die Soldaten auf das Übelste und trat sie mit den Füßen, bis sie sich auf ihre Art wehrten und zurückschlugen.

      Es war sehr unruhig in diesen Zeiten. Schnell konnte man in einen Tumult geraten, ganz ohne eigenes Verschulden.

      Währenddessen gelang es dem Kaiser mit der anderen Hälfte der Armee, die Bergfeste San Leo einzunehmen und den Berengar samt seiner gierigen Frau Willa gefangen zu nehmen. Dies sollte ein Glückstag für alle Bewohner des Reiches sein, bedeutete die lebendige Festsetzung der Rebellen doch nicht nur das Ende des unseligen Krieges, sondern auch einen guten Ausgangspunkt, um den mächtigen Freunden des Königs mit Vernunft und Augenmaß Verhandlungen über die Zukunft Italiens anzubieten.

      Kaiser Otto und Kaiserin Adelheid waren sich nach Gottes Willen durchaus im Klaren darüber, dass der Frieden nur so lange hielt, wie sie selbst hier vor Ort waren, wenn es ihnen nicht gleichzeitig gelang, die wichtigsten Machtpositionen südlich der Alpenberge mit loyal gestimmten Anhängern zu besetzen. Dass diese nur aus den Reihen der lothringischen oder italischen Herrscherfamilie kommen konnten, wagte niemand in Zweifel zu ziehen. Kaiserin Adelheid sollte hierbei als Witwe des verstorbenen Königs Lothar II. und damit Erbin des italischen Thrones eine besondere Rolle spielen.

      Allein Berengars und Willas aufrührerischer Sohn Adalbert von Ivrea ließ sich nicht einfangen. Er versteckte sich allerorten, tauchte hier und da auf (man sah ihn auf Korsika und Sardinien ebenso wie in der Ebene des Eridanus9) und in Rom) und scharte beständig neue Truppen um sich, mit denen er Unruhen anstiftete und das römische Volk gegen den Besetzer, wie er den großen und gerechten Kaiser nannte, aufhetzte.

      Auf Bitten der römischen Bischöfe und des Volkes von Rom, welche den unwürdigen Papst Johannes XII. nicht länger ungestraft sehen wollten, versammelte sich in den Nonen des Novembers in der Kirche des Heiligen Petrus eine große Anzahl heiliger Männer und hoher Herren der Stadt in Gegenwart des Erhabenen Kaisers. Meine geringe Niedrigkeit selbst zählte zu den Versammelten, woraufhin ich mit gutem Wissen sagen kann, dass sich an die vierzig Bischöfe und Erzbischöfe, viele Dutzende ehrwürdiger und heiliger Brüder aus allen Teilen Italiens und des Reiches, auch die vornehmste Spitze des römischen Adels mit Demetrius Meliosi, Crescentius Caballi marmorei und weiteren ehrenwerten Herren, hier eingefunden hatten.

      Der Patriarch Ingelfred von Aquileja, den eine in Rom plötzlich ausgebrochene Krankheit ergriffen hatte, sandte als seinen Statthalter den Diakon Rudolf, und ich musste mich nach einem kurzen Gespräch mit dem Diakon ernsthaft um den ehrwürdigen Ingelfred sorgen.

      Ich sah viele der mir bestens vertrauten Brüder, so die Erzbischöfe Waldpert von Mailand, Petrus von Ravenna und aus Sachsen den Adeltac, überdies die Bischöfe von Parma, Reggio, Pisa, Siena, Florenz, Pistoia, Camerino, Spoleto, alle Bischöfe aus dem römischen Sprengel, dann die von Gallese, Civita Castellana, Alatri und Orte, von Trevi und Terracina, Forum Clodii und Ferentino, den Landward von Minda und den Otger von Spira. Viele weitere Namen und Orte könnte ich aufzählen, Kardinäle und Anwälte, Werkmeister, Vorsteher und Schatzmeister. Sie alle stehen für heilige und ehrwürdige Männer, die in dieser schwierigen Stunde nach Rom gekommen waren, um miteinander und mit dem Heiligen Kaiser zu beratschlagen. Der Gemeine Petrus Imperiola, Anführer der römischen Miliz, war mit einer gehörigen Abteilung seiner besten Männer ebenfalls zugegen. Besonders bemerken möchte ich aber die Anwesenheit des ehrwürdigen Herrn Leo von der päpstlichen Kanzlei, der mir stets ein besonders guter und loyaler Freund war.

      Mein braver Schüler Franco war von der Heiligkeit und dem Glanze der vielen hohen Herren so bewegt und gerührt, dass er ihnen staunend und mit offenem Munde folgte, bis ich ihn zurückrief und ihm einen Platz, am Rande schräg hinter mir, zuwies. Dort setzte er sich artig und konnte seinen Blick nicht vom Kaiser wenden.

      Ich hatte die ehrenvolle Aufgabe, die Worte des Kaisers, die er in seiner sächsischen Sprache sagte, an die Versammlung zu übersetzen und ebenso zurück, was die Versammlung dem Kaiser zu sagen hatte.

      Als all diese werten Herren nun ihre Plätze genommen hatten und auf ein Zeichen des Heiligen Kaisers in größte Stille fielen, begann er, indem er sich feierlich erhob.

      „Wäre es nicht diesem großen Moment angemessen, wenn der Herr Papst bei dieser herrlichen und Heiligen Versammlung zugegen wäre?“, fragte er in die Versammlung.

      Ein