Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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Dich denn danach?“

      Franco nickte unsicher.

      Ich hatte es mir schon gedacht.

      „Dein Schicksal liegt nicht in Deinen Händen, mein lieber Franco“, sagte ich in väterlichem Ton und legte meine Hand behutsam auf seinen Arm. „Der Herr allein weist uns unseren Weg und Du tätest gut daran, im Gebete immer wieder zu erforschen, welches Schicksal der Herr Dir offenbart, und weniger Zeit und Muße darauf verschwenden, Deine eigenen Gedanken zu erforschen und zu verfolgen.“

      Noch am gleichen Tage sandte ich einen Boten aus, unterwies ihn in vielerlei Dinge, die unterwegs und am Ziele zu beachten waren, hieß ihn, die schöne Herberge der Brüder Imiza aufzusuchen, und übergab ihm neben den herzlichen Grüßen, die ich in einen Brief diktierte, eine ansehnliche Anzahl schöner und wertvoller Dinge als Gastgeschenke, auf dass er mit einer ähnlich ansehnlichen Menge an Neuigkeiten zurückkommen möge, heil und unversehrt und binnen sieben Tagen.

      Mir selbst war um diese Zeit nicht sehr wohl zumute. Eine lästige Entzündung der Gelenke plagte mich auf die schlimmste Art, sodass ich an manchen Tagen nur schwer aufkam. Ich dankte Gott und meinem braven Schüler Franco dafür, dass wir nicht selbst aufgebrochen waren. Auf diese Weise konnten mir meine Diener warme Wickel und heiße Kräuterbäder bereiten und damit meinen beträchtlichen Schmerzen doch etwas Linderung verschaffen. Noch während wir auf die Wiederkehr sowohl unseres als auch des päpstlichen Boten warteten, durchquerte eine große Abteilung des kaiserlichen Heeres die Stadt und mein Bistum. Wie es in schlechten Zeiten üblich war, benahmen sich die Soldaten ungehörig gegenüber jedermann und plünderten, vergewaltigten und nahmen sich, was ihnen vor die Hände fiel.

      Franco, der nun bereits in sein vierzehntes Jahr hineinwuchs, war bei mir in sicherer Obhut, konnte ich mich doch bei Bedarf der freundschaftlichen Verbundenheit zu seiner kaiserlichen Majestät, die er mir in seiner unendlichen Gnade mit einem Schutzbrief auswies, rühmen. Ihm drohte keinerlei Gefahr, solange er sich meinen Anweisungen fügte. Es hielt den Jungen jedoch nicht lange hinter dem offenen Fenster meines Palastes, als er sah, wie die Soldaten breitbeinig und lauthals lachend durch die Straßen zogen und den Frauen und Mädchen, die es nicht geschafft hatten, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, an die Röcke gingen. Irgendetwas zog ihn hinaus auf die Straße und lange konnte ich ihn davon nicht abhalten. Vielleicht reizte ihn in seinem jugendlichen Übermut die Gefahr oder die Macht, die eine solch gewaltige Ansammlung starker und vor nichts zurückschreckender Männer und ihrer gefährlich aussehenden Waffen auslöste.

      Es fiel mir schwer, ihm aus der Ferne zuzusehen, weil ich um sein Leben und seine Gesundheit fürchtete. Nun, heute weiß ich, dass meine Sorge schon damals völlig unbegründet gewesen war. Franco, mit viel schmaleren Schultern und eher wie ein frommes Mönchlein als wie ein Krieger aussehend, mischte sich unter die Raufbolde, als kämen sie aus demselben Hause. Er scherzte mit den wüsten Männern auf die gemeinste und lauteste Art und übte sich gar mit dem gröbsten und rissigsten unter ihnen im Schwerterkampf, wohl gemerkt nicht mit einem aus weichem Holze, sondern aus Metall. Ich konnte kaum glauben, was sich meinen Augen darbot. Durch ihn erfuhr ich, dass die Soldaten auf dem Weg nach Süden, also nach Rom, waren und dort die rechtmäßigen Belagerer verstärken und aufmuntern sollten. Sie hatten vom Kaiser den heiligen Auftrag angenommen, mit dem ungezogenen Benedictus und den anderen Aufrührern in den Händen zurückzukommen.

      Unser Bote, den wir nach Ablauf von sieben Tagen sehnlichst erwarteten, blieb aus. Auch nach weiteren sieben Tagen war noch keine Spur von ihm zu sehen und wir befürchteten das Schlimmste. Bei allem Ungemach, welches wir ihm möglicherweise mit unserer Botschaft bereitet hatten, priesen wir uns andererseits glücklich und weise, nicht selbst nach Rom aufgebrochen zu sein. Nur Gott allein weiß, was aus uns geworden wäre. Auch der Bote des ehrwürdigen Leo ließ lange auf sich warten, bis wir letztlich auch sein Erwarten aufgaben und uns in meine kleine Hauskapelle zurückzogen, um für ihn zu beten. Erst viel später sollten wir herausfinden, dass er wohlauf war und nur durch unglückliche Umstände gezwungen war, einen anderen Rückweg zu wählen, als von mir erhofft. Der Herr in seiner unendlichen Gnade meinte es ganz offenbar gut mit ihm, als er ihn beschützte und auf den rechten Weg leitete, auch wenn dieser nicht durch meine schöne lombardische Heimat führte. Als wir ihn im Herbst am Königshofe in Pavia wiedertrafen, entschuldigte er sich mit größter Liebenswürdigkeit und Aufrichtigkeit und bot an, während wir zusammen speisten und guten spanischen Wein genossen, alles Ungesagte nachzuholen, dessen wir allerdings wegen vieler anderer freudvoller Ereignisse nicht mehr bedurften, wie ich nun zu erzählen habe.

      Was wir bis dahin erfahren hatten, lautete wie folgt: Als die Römer nach vier Wochen durch den Hunger und die Belagerung immer weiter in die Enge getrieben wurden, ergaben sie sich dem frommen Kaiser in größter Demut am Abend vor dem Fest des Täufers12). Mit gebührender Ehrerbietung übergaben die Römer den Gotteslästerer und meineidigen Benedictus seiner kaiserlichen Hoheit. Alsdann wurde der rechtmäßige und Höchst ehrwürdige Papst Leo wieder in sein Amt gesetzt, dem Benedictus aber nahm man alle Insignien ab, Leo selbst schnitt das Pallium entzwei, sein Stab ward zerbrochen, seine übrigen Kleider zerrissen. Es hätte nicht viel gefehlt und Benedictus wäre sofort an Ort und Stelle zum Tode verurteilt oder einfach so dahingemeuchelt worden. Mein päpstlicher Freund, der altehrwürdige Leo, war so außer sich vor Zorn, dass er beinahe allem zugestimmt hätte, was die wankelmütigen Römer an Ideen zur Wiedergutmachung und Strafung forderten.

      Nur dem persönlichen Einspruch des Kaisers ist es zu verdanken, dass ihm ein Rest Würde und sein ganzes Leben gelassen wurde. Otto verfügte, dass dem Benedictus alle kirchlichen Weihen abgenommen würden, bis auf die eines Diakons. Weiter verfügte er, dass Benedictus nunmehr auf ewig in die entlegenste Provinz des Reiches in die Verbannung gehen solle. Alsbald darauf erklärte sich der fromme Adaldag, Erzbischof von Hammaburg am nördlichen Meer, bereit, ihn mitzunehmen und bis an das Ende seiner Tage dort zu behalten. Dem Vorschlag Adaldags stimmte der Kaiser zu.

      Nachdem nun die italischen Verhältnisse weitgehend geordnet waren und die Anzahl der Boten aus Franken und Sachsen sich mehrte, die anfragten, wann denn das Heilige Kaiserpaar beabsichtige, wieder in sein Reich nördlich der Alpen zurückzukehren, beschlossen die kaiserlichen Hoheiten, noch die Weihnachtstage am Hofe in Pavia zu verbringen und sodann mit ihrem gesamten weltlichen und geistlichen Gefolge und den Gefangenen die Rückreise anzutreten. So fügte es sich glücklich, dass des Kaisers Zug nach Norden auch durch Cremona führte, was mir Gelegenheit gab, ihn mit seiner Erhabenen Gattin Adelheid und seinen engsten Vertrauten in meinen bischöflichen Palast einzuladen, während sein Heer und der ganze übrige Hofstaat vor den Toren der Stadt ein gewaltiges Zeltlager aufschlugen.

      Sofort ließ ich eintausend Scheffel gutes Korn zu Brot backen, zehn Ochsen, zwanzig Fässer Wein und ebenso viel Bier nach draußen bringen, um den braven Soldaten einen angenehmen Aufenthalt zu wünschen und auch, um sie von Plünderungen wie beim ersten Durchzuge nach Rom abzuhalten. Den hohen Herren, die nicht zum Kreise meiner Gäste zählten und draußen bleiben mussten, übergab ich selbst wertvolle Festkleider, die sie, da sie in der Fremde wohl nicht so oft beschenkt worden waren, mit größter Dankbarkeit und weinenden Augen annahmen. Auch entsandte ich einige Dirnen aus der Stadt hinaus, damit sie sich ein Geschäft machen konnten, was sie auch taten, aber dies sei von mir nur am Rande erwähnt, und ich tat es nur der frommen und lieblichen Kaiserin zuliebe, die mich gleich nach ihrer Ankunft mit einem entsprechenden Ansinnen ersuchte.

      Wir speisten in gar festlicher Runde. Ich ließ auftafeln und herrichten, was der Keller und das Lager hergaben, hatte meine Wenigkeit, dies sei in aller Bescheidenheit gesagt, doch selten die Gelegenheit, so hochherrschaftliche, glorreiche und erhabene Besucher zu bewirten und zu unterhalten. Um den Geist und das Auge meiner Gäste zusätzlich zu erfreuen, ließ ich Spiele und vielerlei Vertreib vorführen. Eines derselben möchte ich kurz erwähnen, weil es der frommen Kaiserin anscheinend besonderes Vergnügen bereitete und mich auf wunderbare Weise ihrer und somit auch der Gunst ihres Gatten versicherte. Es trat ein Mann auf, der auf seiner Stirn ohne Beihilfe der Hände eine hölzerne Stange trug, die an die sechs oder sieben Ellen lang gewesen sein mochte und an welcher eine weitere Stange quer angebracht war. Es wurden danach zwei Knaben hereingeführt, die an der Stange hinaufkletterten und oben allerlei Kunststücke vollführten. Dann kamen