Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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Haus, meine Sippe und Familie ohne alle Ursache mit so vielen Pfeilen der Lüge, mit räuberischen Erpressungen und gottlosen Ränken verfolgt, dass weder die Zunge es aussprechen noch die Feder es aufschreiben kann. Schon mein Rücken sträubt sich wie der eines räudigen Hundes, wenn ich nur daran denken muss. Darum soll ihnen dieses Buch eine Vergeltung sein! Zur Vergeltung für die mir zugefügten Leiden will ich ihre Gottlosigkeit den gegenwärtigen und zukünftigen Menschen aufdecken.

      Und ebenso wird dieses Buch auch den heiligen und glücklichen Männern, denen ich wärmsten Dank schulde, eine Vergeltung sein für die Wohltaten, die sie mir erwiesen haben. So schließt sich der Kreis, den ich am Beginn aufgeschlagen habe, mit einem wohlfeinen Schlusse, der jedem genau das vergilt, was ihm gebührt.

      Kurz vor unserer Abreise erreichte mich in Pavia ein Brief meines Freundes Widukind von Corvey, in welchem er mir mit reichen Worten die glückhafte Ankunft des erleuchteten Kaiserpaares nach mehr als dreijähriger Abwesenheit in Franken schilderte und wie sie feierlich nach Wormatia geleitet wurden. Bei glanzvollen Festen in Ingilenheim und in Colonia stieß auch die westfränkische Königin Gerberga mit ihren Söhnen König Ludwig und König Karl sowie ihren Töchtern hinzu. Weiter kamen der Bruder des Erhabenen Kaisers Otto, Erzbischof Brun, seine Söhne König Otto und Erzbischof Wilhelm, die hohen Herzöge aus dem ganzen Reiche mit ihren Familien und die frommen Erzbischöfe aus Hammaburg, Treveris und Remorum nebst vielen Bischöfen, Grafen und anderen vornehmen Herren von geistlichem oder weltlichem Stande. Er schrieb mit so großartiger Begeisterung, dass nie zuvor ein Ort auf der Welt jemals durch solchen Glanz und Ruhm der an ihm versammelten Menschen jeglichen Standes, Alters und Ranges erstrahlte. Der Glanz ginge vor allem vom vollständig versammelten Königshaus aus, welches sich hier im Lichte des kaiserlichen Ranges präsentierte.

      Aber auch die Kriegsbeute, so schrieb Widukind weiter, sorgte für nicht geringen kaiserlichen Glanz, als sie dem versammelten Hofe und allen Gästen in einer angemessenen Prozession, die einen ganzen Tag andauerte, vorgeführt wurde. Der abgesetzte Papst Benedictus, der nach Hammaburg gehen sollte, und das nach Babenberch verbannte italische Königspaar Berengar und Willa waren gar prächtige Ausdrücke der kaiserlichen Machtfülle und gleichzeitig seiner über alle Maßen ruhmreichen Weisheit und Barmherzigkeit.

      Mit großer Vorfreude und Erwartung, so will ich gerne zugeben, machten wir uns nach den Ostertagen des Jahres 966 auf den Weg nach Norden. Unsere Reisegesellschaft bestand neben Bischof Liutprand von Cremona (meiner eigenen bescheidenen Person), meinem lieben Franco, aus dem ein stattlicher Bursche geworden war, und den beiden Diakonen, die für mich Schreibarbeiten erledigten, aus zwei Dienern und aus nicht weniger als sechs Reittieren. Dazu gab man uns eine kleine bewaffnete Abteilung, die uns bis zur italischen Grenze begleiten und vor Angriffen durch versprengte Reste von Berengars und Adalberts Anhängern, die sich immer noch in den Bergen um den Lago Maggiore herumtrieben, beschützen sollten. Danach, so sicherte man uns zu, seien wir auf sicherem Boden und hätten von diesen Halunken und ihren Hundsgesellen nichts mehr zu befürchten.

      Gottlob entgingen wir auf geschickte Weise jeglicher Auseinandersetzung und gelangten wohlbehalten bis zur Grenze. Jedoch verlor ich durch ein tragisches Unglück Eco, einen der beiden jungen Diakone, der von einem der Maultiere getreten wurde und wenig später verstarb, noch bevor wir an Hilfe gelangen konnten. Wir beteten in einem nahegelegenen Kloster um seine Seele und übergaben den Brüdern dort seine sterbliche Hülle, damit sie sich um alles Weitere kümmern konnten.

      Alsbald verlor ich auch den anderen Diakon, Tomas genannt. Ich schickte ihn mit den Bewaffneten zurück nach Pavia, weil er voll von Furcht und nicht mehr bereit war, weiter zu gehen oder gar zu reiten. Es schien, als könnte er mit seinem angstvollen Gerede alle anstecken und die ganze Gesellschaft zum Einsturze bringen. Der junge Tomas fürchtete, selbst durch einen geheimen Bergzauber verflucht zu sein und dass die Maultiere es auch auf ihn abgesehen hätten und er somit bald zu Tode käme. Im Traume hatte er sich auf grausamste Weise leiden und bluten sehen und war ganz sicher, sein letzter Seufzer stünde nun unmittelbar bevor. Auch mein gutes Zureden und die Austreibung der Dämonen, die ich ihm vor unserer Trennung als Zuspruch und auch als Zeichen meines guten Willens gewährte, halfen nichts.

      Danach aber verlief unsere Reise ganz ohne Schwierigkeiten und wir kamen jeden Tag ein gutes Stück voran, teils geritten, aber wo es die Wege nicht erlaubten, auf den Füßen. Ganz am Ende der Berge, als wir alle schon nicht mehr damit rechneten, zeigte sich Gott in seiner gerechten Größe noch einmal deutlich für uns, indem er das Maultier, welches meinem lieben Diakon Eco den Todesstoß versetzt hatte, mit einem ebensolchen Stoß in einen tiefen Abgrund beförderte, wo es am Boden aufschlug und nur noch ein leises Quäken von sich gab, bevor es sein Leben für immer aushauchte. Ich dankte dem Herrn in einem Gebet dafür, dass er es so entschieden hatte.

      Etwas nördlich der schönen Stadt Basilea, es mochte auf halbem Wege nach Argentoratum gewesen sein, bestieg unsere Gesellschaft am großen Fluss Rhenus ein Segelschiff mit ungewöhnlich flachem Boden, welches an beiden Seiten über große hölzerne Tafeln verfügte, welche uns, wie der Schiffsmeister mir sagte, für eine festere Reise nützlich sein sollten. Ich gestehe, dass ich mir anfangs ein wenig Sorgen um unsere Sicherheit machte, insbesondere natürlich, weil ich es bisher versäumt hatte, meinen Schüler Franco in der Kunst des Schwimmens im Wasser zu unterrichten.

      Wir reisten jedoch nicht allein auf dem Schiff. Mit uns unterwegs waren zwei Kaufleute aus dem Burgundischen, die auf dem weiten Wege nach Brema im Norden waren. Sie trugen trotz des angenehmen und warmen Wetters, welches der Herrgott uns dieser Tage bescherte, lange schwarze Mäntel und ebensolche Hauben aus einem glänzenden Stoff, den ich zuvor schon einmal am Hofe Kaiser Konstantins VII. Porphyrogennetos gesehen zu haben glaubte. Sie nannten ihn damals Syde oder Seide und er war allerorten sehr teuer und nur schwer zu beschaffen gewesen. Ich bekundete natürlich großes Interesse an dem glänzenden Tuche und man riet mir, mich an eine der aus dem Osten zurückkehrenden Handelskarawanen zu halten, die, beladen mit Stoffballen aller Art, meist in den Tagen nach dem Vollmond in Colonia einzutreffen pflegten. Man sagte mir auch, dass es sich bei dem feinen Tuche wohl um ein Gespinst von niederem Gewürm, Raupen und Käfern, handeln solle, was ich allerdings für einfältig erachte und eher dem menschlichen Hang zur Flunkerei geschuldet sehe. Wie hätten derart einfache Kreaturen jemals etwas so Großes, voll von göttlicher Schönheit und Erhabenheit, herstellen können?

      Wegen der dann folgenden aufregenden Ereignisse und wegen meiner überstürzten Abreise aus Konstantinopel verfolgte ich meine Absichten jedoch nicht weiter. Nun, da ich im Angesicht dieser beiden edlen Herren die ganze Prächtigkeit und Eleganz des Seidentuches bewundern konnte, nahm ich mir vor, die nächste Gelegenheit besser zu nutzen. Zu meinem größeren Erstaunen praktizierten sie noch eine andere, sehr ungewöhnliche Manier. Sie rieben ihre Hände viermal täglich mit einer Lotion ein, die gar lieblich nach Lavendel und Honig duftete. Auch den Hals und die Schläfen betupften sie immer wieder mit dieser Lotion, was wohl die Luft um sie herum, wie es mir schien, frei von Fliegen und Schnaken hielt. Die Kaufleute unterhielten sich die ganze Zeit über sehr gewandt über allerlei geschäftliche Angelegenheiten, von denen ich, wie mir auffiel, erstaunlich wenig verstand.

      Unterwegs mussten wir zweimal auf ein anderes Schiff umsteigen, um Stromschnellen und andere im Flusse lauernde Gefahren zu umgehen. Ein heftiges Gewitter hielt uns zudem länger als nötig in einem Lotsenhause fest, denn die burgundischen Kaufleute bestanden streng und unnachgiebig darauf, der Weiterreise erst zuzustimmen, nachdem all ihre Kleidung bis auf den letzten Faden und Knopf getrocknet war. Dem Schiffsmeister war es ganz recht so, mich jedoch begann schon damals ein leichter Zahnschmerz zu peinigen. Dennoch fügten wir uns dem Willen der übrigen Reisegesellschaft und fuhren erst am nächsten Morgen weiter. Als wir dann um die Mittagstunde ganz in der Nähe des Klosters Wicenburg ein neues Schiff bestiegen, welches ebenso flach und breit gebaut war wie das erste, bemerkte ich am Westufer des Stromes eine Gruppe Männer in ärmlichen Kleidern. Von gemeinen Bauern unterschieden sie sich ganz erheblich, nicht nur durch ihre Reittiere (es mochten kleine Pferde gewesen sein), sondern auch durch ihr Verhalten. Sie deuteten mit den Armen zu uns hinüber und schimpften, als hätten wir sie einstweilen in ihrem Frieden gestört. Ich schwöre bei der Heiligen Jungfrau Maria, wir haben uns aber nichts dergleichen zuschulden kommen lassen, sondern immer die gehörigen Abstände eingehalten, wie uns auch der Schiffsmeister