Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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Maul zu spucken und ihm mit den Worten ‚Nimm das Übel mit!’ allen Schmerz zu übertragen. Dieses war dreimal zu wiederholen und dann jeden Tag weiter, solange die Schmerzen nicht fort sind. Und es hat immer gute Wirkung getan.“

      So riet er mir, ebenfalls in diesem Sinne zu verfahren, und ich hoffte und betete, dass er recht haben möge. Und wenn es half, die Last des Schmerzes etwas leichter zu ertragen, wollte ich schon zufrieden sein, auch wenn grüne Teichfrösche in dieser Gegend vielleicht nicht eben leicht zu beschaffen waren. Wir würden die gemeinen Bauern in einem nahegelegenen Dorfe danach fragen müssen.

      Eine Stunde, bevor die Dunkelheit hereinbrach, hieß uns der Schiffsmeister an Land gehen, weil er sein vorbestimmtes Ziel erreicht hatte. Die Stelle zum Anlanden bestand aus nicht viel mehr als einem kleinen Steg, der wie ein Dorn in den Fluss ragte und einen gar gebrechlichen Eindruck machte. Der Steg lag auf der linken Seite des Ufers, etwas weiter voraus auf der rechten Seite erblickte ich eine Feste, die auf einem felsigen Vorsprunge erbaut war und den Fluss zwang, einen großen Bogen drum herum zu machen. Sie wirkte recht bedrohlich, ganz aus grauem Stein erbaut, und es lagen mindestens siebzig Ellen Fels zwischen dem Fluss und dem ersten gehauenen Stein. Auf einer der oberen Zinnen des wehrhaften Turmes entdeckte Franco zwei Wachen mit Helmen, für meine schwächer werdenden Augen waren sie bereits viel zu klein geworden. Aus diesem Grunde war ich ganz froh, dass die Feste auf der anderen Seite lag. Wir würden es dem Fluss gleichtun und einen großen Bogen um sie herummachen.

      Der Schiffsmeister wollte seinem Gehilfen an Land gerade eine Leine für den Steg zuwerfen, als plötzlich die fünf Reiter mit ihren kleinwüchsigen Pferden und lautem Gebrüll um die Ecke geritten kamen, als hätten sie nur darauf gewartet, dass wir uns dem diesseitigen Ufer näherten. Dem Schiffsmeister fuhr der Schreck in die Glieder, und nicht nur ihm, sondern auch mir, als ich die gespannten Bögen bei zweien von ihnen sah. Der Gehilfe wurde von einem krummen Pfeil ins Bein getroffen und stürzte sogleich ins Wasser. Ich weiß nicht, ob er es absichtlich tat, um sein Leben zu retten, oder unabsichtlich, weshalb er dann wohl untergegangen und dem Tode geweiht wäre. Da ich nun aber viel zu sehr mit mir selbst und meinem eigenen Überleben beschäftigt war, konnte ich sein Schicksal nicht weiterverfolgen.

      Der Schiffsmeister scherte sich ebenfalls nicht um den Gehilfen. Er drehte schleunigst ab und brachte schnell zwei Bootslängen zwischen uns und das Ufer. Die berittenen Männer schossen unterdessen immer weitere Pfeile auf uns ab, vor denen wir uns hinter dem niedrigen Schanzkleide des Schiffes zu verbergen suchten. Einer der burgundischen Kaufleute fiel plötzlich vornüber auf den hölzernen Boden und erstarb, von einem Pfeil mitten durch den Hals getroffen, vor unseren Augen. Oh, war dies ein schrecklicher Augenblick, mit ansehen zu müssen, wie jemand unschuldig und von solch boshafter Tücke getroffen dahinschied! Die Männer auf ihren Pferden jubelten, als sie bemerkten, dass sie einen der Unsrigen voll erwischt hatten.

      Aber es kam noch schlimmer, als sie begannen, uns mit brennenden Pfeilen zu beschießen. Schon die ersten beiden Pfeile setzten das Segel in Brand. Die von diesem sogleich herunterfallenden Fetzen entzündeten wie eine Fackel wiederum das Pechwerg, mit welchem das Schiff gegen das Wasser abgedichtet war. Bald stand das halbe Boot in lodernden Flammen und die Maultiere im Heck wurden sehr unruhig. Eines der Tiere schlug wild um sich und drohte, die anderen zu verletzen, während es vergeblich versuchte, sich von der Last auf seinem Rücken zu befreien. Franco stürzte, umhagelt von brennenden Pfeilen, auf die Tiere zu und befreite sie, eines nach dem anderen, von ihren Taschen, um sie sodann mit kräftigem Anschube ins Wasser zu stoßen. Zunächst erschrak ich gehörig, aber dann gefiel mir sein Plan, denn wir konnten in guter Hoffnung davon ausgehen, dass einige der Tiere es schwimmend zum Ufer schaffen würden und wir sie dann wieder einfangen könnten.

      Die Tasche, in welcher sich mein Buch und die restlichen Aufzeichnungen befanden, lag mit zerschnittenen Riemen in der Nähe. Ich hatte nicht viel Mühe, sie zu mir heranzuziehen. Sodann band ich sie fest um meinen Körper, um sie nur ja nicht zu verlieren, sollte ich mich schwimmend aus meiner jetzigen Lage befreien müssen.

      Pilegrinus von Batavis saß jämmerlich und mit eingezogenem Kopfe in einer Ecke, aber auf der falschen Seite des Schanzkleides, nämlich der, in welcher beständig grobe Pfeile einschlugen.

      Ich rief ihn zu mir herüber und als er, auf allen Vieren kriechend und seine Pergamente vor sich herschiebend, bei mir ankam, gestand er mir, dass er nicht schwimmen könne und entsetzliche Angst hätte. Nun, ich versprach auf mein Ehrenwort, ihn wenn nötig zu retten und bei Gesundheit an Land zu bringen, was ihn aber erstaunlicherweise weniger zu beruhigen vermochte, als ich gehofft hatte. Nunmehr klammerte er sich umso fester an mich, auf dass ich mein Versprechen an ihm einlöse.

      Es dauerte nicht lange, dann war es so weit. Der Schiffsmeister lag von einem Pfeil schwer getroffen auf dem Boden. Unser Schiff bekam gehörige Schlagseite, weil sich nun alle diesseits hinter dem schützenden Schanzkleide versteckten und das Gegengewicht von den Maultieren auf der anderen Seite fehlte. Es sank immer tiefer ein und so blieb uns bald nicht viel mehr, als für ein gutes Ende zu Gott zu beten und uns ins Wasser fallen zu lassen. Pilegrinus, der noch fester als zuvor an mir festhielt, plumpste im selben Augenblick ins Wasser und begann sofort, wild mit den Armen zu rudern, was ihn für einen kurzen Moment von mir loslöste. Er schrie und bettelte um Hilfe. Auch seine Pergamente hatte er in Todesangst fallengelassen. Ich befahl ihm, ruhig zu sein und auf die Rollen achtzugeben. Doch er konnte sie schon nicht mehr erreichen. Kaum, dass er versuchte, den Arm nach ihnen auszustrecken, machte er angstvoll kehrt zu mir zurück und ließ mich fortan nicht mehr los.

      Ich schwamm, so gut es mir möglich war, in Richtung Ufer davon, aber der gute Pilegrinus war ein zu schwerer Klotz an meinem Schoße. In aller Eile unterwies ich ihn, wie er das Schwimmen mit den Beinen vollziehen konnte, und als er sich daran gewöhnt hatte, hieß ich ihn, mit den Armen ebenso zu verfahren. Ich weiß nicht, wie lange wir auf diese Weise mit recht geringem Erfolge hin und her ruderten, aber wir erreichten irgendwann wohlbehalten das Ufer der rechten Seite, die uns im Angesicht der brutalen und gottlosen Räuber am anderen Ufer als die sicherere Seite erschien. Wir keuchten und bebten wie ein Blasebalg, aber wir waren am Leben. Franco, der bereits zwei der Maultiere eingefangen und eine unserer Taschen gerettet hatte, erwartete uns und half mir und dem Bruder Pilegrinus an Land.

      Ich blickte an mir hinunter und fand, Gott sei Dank, die Tasche mit meinen Dokumenten unversehrt gegurtet. Was hätte ich nur ohne sie tun sollen? Vom anderen Ufer klangen entsetzliche Geräusche zu uns hinüber. Die Räuber stürzten sich auf den burgundischen Kaufmann, der sich völlig erschöpft an den Steg klammerte und um Gnade winselte. Sie zerrten ihn aus dem Wasser, prügelten ihn mit den Fäusten und versuchten, ihm seinen Geldbeutel zu entreißen. Als er sich trotzig weigerte, ihn herauszugeben, schlugen sie ihm unversehens die Hand ab, die den Beutel hielt. Voller Grauen wandten wir uns ab, Bruder Pilegrinus verkrampfte sich ängstlich in meinem Reiseumhang und betete inständig.

      „Was werden sie erst mit uns tun?“, jammerte er fortwährend, und es nutzte auch nichts, wenn ich ihm erklärte, dass zwischen uns ein großer Strom lag, den zu überqueren die Räuber ohne Weiteres nicht in der Lage waren.

      Lediglich Franco wandte sich nicht ab, sondern beobachtete aufmerksam das grausige Geschehen auf der anderen Flussseite. So sah er, wie sie dem Kaufmann seine sämtlichen Kleider entrissen, ihm seinen Schmuck abnahmen und so lange und so grob auf ihn einschlugen, dass er sich nicht mehr wehren konnte und nur noch still am Boden lag. Sodann stießen sie ihn ins Wasser und machten sich johlend und jauchzend über ihre Beute her, welche sie sogleich unter sich aufteilten. Den völlig durchnässten schwarzen Seidenmantel warf sich der Anführer über die Schulter. Dann schwangen sich die Räuber, immer noch laut johlend, auf ihre Reittiere und galoppierten, wie vom Teufel selbst befohlen, nach Südwesten davon.

      Franco sah ihnen hinterher, bis sie zwischen den Hügeln verschwanden.

      Dann wandte er sich wieder mir und meinem Begleiter zu.

      „Wo sind die kaiserlichen Urkunden, verehrter Meister Pilegrinus?“, fragte er unsicher, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie nicht mit angelandet worden waren.

      Pilegrinus entschuldigte sich wortreich, dass er sie habe fahren lassen müssen, aber Franco hatte schon keine Zeit mehr, seinen umständlichen