Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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letzten Wagen mit dem reumütigen Sünder und falschen Papst Benedictus zog, verweilte mein junger Schüler auffallend lange vor dem zweiten Wagen. Aus der Entfernung konnte ich sehen, wie eines der Mädchen die Hand nach ihm ausstreckte, um etwas von ihm entgegenzunehmen. Der Hauptmann schickte sofort einen seiner bewaffneten Mannen, um dies zu unterbinden, aber es konnte nichts gefunden werden, was es hätte sein können, was das Mädchen wohl unter ihren Kleidern verbarg und nicht hergeben wollte.

      Als ich den ehemaligen Bischof und jetzigen Diakon Benedictus sah, mit nichts weiter als etwas dünnem Stroh ausgestattet und gar betrübt an das eiserne Gitter seines Wagens gelehnt, konnte er mir fast leidtun. Er war müde, sah hungrig und geplagt aus. An ihm war keine Spur mehr von dem Manne, den ich während der Heiligen Römischen Synode in hellem Glanz und reicher Glorie erlebt hatte. Das gerechte Urteil, welches ihn für sein schändliches und gotteslästerliches Tun getroffen hatte, mochte ihm wohl sein Leben gerettet haben, sein Geist jedoch war gebrochen. Mir war nun nicht nach einer Unterhaltung zumute, aber ich sah dem Benedictus an, wie sehr er sich nach einem wohlgefälligen Gespräch bei einem Becher Wein und gutem Essen sehnte. Auch die Aussicht auf das, wie man hört, recht kalte Klima im Norden (er verließ das sonnige Italien und ging mit Erzbischof Adaldag nach Hammaburg) vermochte seiner armen Seele keinen Trost zu spenden.

      Als der Zeitpunkt der Abreise nahte, war ich einerseits betrübt und andererseits froh. Die Gunst des Kaiserpaares stellte einen unschätzbaren Wert dar, dessen wahres Ausmaß ich zu jenem Tage noch gar nicht abzuschätzen gewusst habe. Auch war es mir mit Gottes Hilfe gelungen, die Soldaten des kaiserlichen Heeres drei Tage lang von Beutezügen und Plünderungen in der Stadt abzuhalten. Die Cremoneser Bürger, deren Häuser und Läden dem großen Heerlager am nächsten zugewandt waren, klagten nur gering oder priesen öffentlich sogar die Weisheit und Freigiebigkeit meiner bescheidenen Person, was ich mit nicht geringer Genugtuung und Freude aufnahm.

      Franco stand wieder bei den Mädchen und tuschelte heimlich mit ihnen. Ich hatte wohl allen Grund, mir ernste Sorgen um den Jungen zu machen. Noch mehr Sorge allerdings bereitete mir, dass das italische Königreich mit jedem Tage und mit jeder Meile, die der Kaiser sich von Rom entfernte, unsicherer und anfälliger für neuen Zwist und Streit wurde. Der unselige aufrührerische Adalbert war noch nicht gefangen und der ehrwürdige Leo auf dem Stuhle Petri wohl nicht stark genug, um sich allein, ohne des Kaisers Schutzmacht, gegen die Römer und ihre Vasallen aus dem Norden wie aus dem Süden zu verteidigen.

      Zum Abschiede lud mich der Heilige Kaiser ein, im nächsten Jahr sein willkommener Gast am sächsischen Hofe zu sein. Ich solle zu ihm reisen, wann immer es meine Gesundheit erlaube, und so lange bleiben, wie es mir Freude und meiner Seele Labsal war. Bei dieser Gelegenheit wolle er mir dann eine erneute Gesandtschaft übertragen, die, wie er es ausdrückte, in besonderem Maße Vertrauen, Erfahrenheit und diplomatisches Geschick erforderte. Ich verneigte mich so tief und so demütig, wie es meine angeschlagene Gesundheit damals zuließ, dankte ihm für die Gnade seiner Gunst und versprach, alles in meinen bescheidenen Kräften Stehende zu tun, um ihn, den allerhöchsten Heiligen Kaiser und seine höchst geliebte und Heilige Gemahlin Kaiserin Adelheid in jeglicher Hinsicht zufriedenzustellen.

      Außerdem entbot er sich, mir ab sofort eine monatliche Apanage in nicht unbeträchtlicher Höhe zu gewähren, was ich mit höchster Freude annahm. Als einzige Gegenleistung sollte ich lediglich für ihn fortsetzen, was ich sowieso schon mit größtem Vergnügen und manchmal wohl auch zum Zeitvertreibe tat: Schreiben! Nichts war mir lieber als dies und dazu, wenn es auch noch aufs Beste bezahlt wurde.

      Mein Herz jubelte!

      4. Kapitel

      Den ganzen Winter über plagten mich erneut böse Schmerzen in den Gelenken, die sich auch durch Bäder und Wickel nicht recht lindern ließen. Auf vielfaches Anraten von Francos Lehrmeister, den mein braver Schüler regelmäßig ohne mein Wissen in meine körperlichen Beschwerlichkeiten und Nöte einweihte, begaben wir uns daraufhin auf den mühevollen Weg an den Königshof nach Pavia. Dort weilte zu jener Zeit einer der bekanntesten Heiler und Kräuterkundigen, der edle und ehrwürdige Benedictinerpater Matthias von Gernrode. Schon in den ersten Wochen seines Aufenthaltes am Hofe verbreitete sich die Kunde über seine wundersamen Heilkünste bis nach Rom und gar viele Kranke und Schmerzgeplagte strebten zu ihm. So drang sein Ruf auch nach Cremona und eine rege Reisetätigkeit in den Norden setzte ein. Wir selbst kamen im Frühjahr 965 Anno Domini dort an und bezogen Quartier im Hause meines Vaters, welches lange Zeit leer stand und mehr als genug Platz bot für meine Gäste, die Dienerschaft, zwei junge Diakone und einige Gehilfen, die ich für die allfälligen Schreibarbeiten und Beurkundungen mit mir führte.

      Schon am zweiten Tage nach unserer Ankunft besuchte mich Bruder Matthias in meinem dortigen Palaste und prüfte, kaum, dass er eingetreten war, den Geruch in allen Räumen. Sofort, noch bevor er mich einer ersten Diagnose unterziehen wollte, gab er meinen Dienern Anweisungen, welche Pflanzen im Hause erlaubt seien und welches Öl sie zum Brennen benutzen sollten. Bruder Matthias war zu meinem größten Erstaunen ein noch junger Mann, er mochte kaum zwei Dutzend Winter erlebt haben. Ich gebe zu, trotz seiner Jugend war ich ungemein angetan von seiner Kenntnis der Dinge und ihren inneren Zusammenhängen. Auch Franco, der ihn unablässig beobachtete und darauf bedacht war, Matthias auf das Beste zufriedenzustellen, erging es so.

      Sogleich unterstellte ich mich seiner weithin bekannten und oft gepriesenen Methode der Diätetik und gab meiner Dienerschaft Anweisungen, alles genauestens einzuhalten, was immer der ehrwürdige Bruder Matthias ihnen auftrug. Er lehrte mich und meinen Schüler in den folgenden Tagen und Wochen, während wir im Garten oft und gar trefflich disputierten, den richtigen Umgang mit der Luft, dem Wasser, der Wärme und dem Licht, er hieß mich, lange Spaziergänge an der frischen Luft zu unternehmen, er unterwies mich, auf die gute Ernährung zu achten und den richtigen Wechsel von Schlafen und Wachen einzuhalten, und neben vielen anderen nützlichen Dingen lehrte er mich auch, meine nicht geringen Affekte und Emotionen besser zu beherrschen. Er war ein großartiger, bescheidener und doch in seinem Wesen unnachgiebiger Lehrmeister und ich bereitete ihm zum Danke jede erdenkliche Freude, die ihm anzunehmen gestattet war. Noch heute danke ich dem geliebten Pater für jedweden Ratschlag, den er mir gab, und preise den Herrn im Himmel für seine Güte und Weisheit, mich in meiner Not zu ihm geleitet zu haben. Seit jenen Tagen am italischen Hofe in Pavia bin ich von den meisten meiner schlimmen Leiden wie durch ein göttliches Wunder geheilt und niemals wieder befallen worden. Leider aber nicht von allen, wie ich später noch zu berichten haben werde.

      Der Herbst setzte in jenem Jahr schon recht früh ein und brachte eisigen Regen und Sturm. Für eine lange Reise über die Berge der Alpen, die den Süden vom Norden des Reiches trennten, bedurfte es aber nicht nur des warmen Wetters, sondern auch einer gewissen Vorbereitung. In Schnee und Kälte über die Berge zu gelangen war auch mit guter und warmer Kleidung, wie die Normannen, von denen man jetzt allerorten hörte, sie trugen, nicht gut möglich. So beschlossen wir, den Winter in Italien abzuwarten und unsere dem Heiligen Kaiser versprochene Reise nach Sachsen erst im Frühjahr zu beginnen, wenn der Schnee in den Bergen taute und die Wege nach Norden wieder freigab.

      Um vor den gestrengen Augen unseres Allergnädigsten Kaiserpaares in geziemender Bescheidenheit und mit ehrbarem Fleiß bestehen zu können, nutzte ich die verbliebene Zeit bis zum ersten Vogelzug gen Norden mit der umfassenden Niederschrift der wichtigen und berichtenswerten Ereignisse aus Italien, Griechenland, Franken und Sachsen sowie aus dem Rest des Reiches. Hierzu bediente ich mich jeder Kunde, jedes berittenen Boten und jedes durchziehenden Spielmannes, derer ich am Hofe ansichtig werden konnte, und sandte meinen ehrbaren Amtsbrüdern in allen Teilen des Reiches zwei Dutzend Briefe, auf dass sie mir mit ihrem Wissen und ihrem Ratschlage bei meiner Aufgabe zur Hilfe kommen wollten.

      Das Christusfest und den Silvestertag begingen wir mit großen Festen am Hofe zu Pavia.

      In den Kalenden des März hatte ich die Arbeit an meiner schönen Chronik, zunächst bis zur Rückgabe Veronas an König Hugo13), abgeschlossen. Über den Namen, den ich meinem Buche gab, mag die Nachwelt nicht gering überrascht sein. Wozu, fragt man sich vielleicht in späterer Zeit, nennt man es Liber Antapodosis14), wo es doch die Taten großer Männer beschreiben soll. Die Antwort darauf ist, dass ich die Taten des Tyrannen Berengar und seines