Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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von allem immer nur ein Viertel, ganz gleich, wie viel von jedem ein jeder hat. Man nennt dies Tax oder Steuer. Und man mag es glauben oder nicht, bevor es bei Hofe ankommt, geht es durch so viele gierige Hände, dass uns kaum mehr bleibt, als uns der ganze Hofstaat und das Heer kostet. Aber“, der Kaiser machte eine kurze Pause, in der er den Blick prüfend über seine ebenfalls anwesenden engsten Berater und Vertrauten gleiten ließ, „wir werden über Deinen Vorschlag dennoch nachdenken. Er klingt uns gar nicht so übel. Denn bei wem mehr zu holen ist, da sollte man bei Gott auch mehr holen.“

      Daraufhin reichte er dem Franco die Münze und sagte: „Nun nimm selbst diesen Solidus als Geschenk von uns, zum Zeichen unserer Gunst für Dich und Deinen lieben, hoch verehrten Meister Liuzo. Er möge Dir mit Gottes Hilfe Glück bringen und Dich beschützen, wenn es einmal arg um Dich steht.“

      Franco verbeugte sich artig und betrachtete mit großer Freude das kaiserliche Geschenk, welches in seiner Hand mit dem goldenen Ring um die Wette glänzte. Als der Kaiser dies sah, beugte er sich leicht nach vorn und sprach mit gedämpfter Stimme zu Franco:

      „Einen schönen Ring trägst Du da. Zeig ihn mir her!“

      Franco stockte einen Moment und sah erwartungsvoll zu mir hinüber. Ich nickte ihm aufmunternd zu.

      Mit sichtbarem Widerstreben schob Franco seine rechte Hand nach vorn, aber nicht weit genug, damit der Kaiser selbst sie erreichen konnte.

      „Du musst den Ring abnehmen, um ihn dem hohen Kaiser zu zeigen“, raunte ich.

      Franco schüttelte den Kopf.

      „Das kann ich nicht“, antwortete er leise und zog die Hand zurück. Ich ahnte natürlich, welche Sorge ihn quälte und beeilte mich, ihm mit gutem Rat zur Seite zu stehen.

      „Nimm etwas Seife dazu! Die wird den Ring lösen“, sagte ich mit gütigem Lächeln.

      Aber Franco regte sich nicht. Fast schien es, als hätte er mich nicht verstanden.

      „Was ist, mein Junge? Du musst tun, was der Kaiser von Dir wünscht!“

      Wieder schüttelte er den Kopf, heftiger als zuvor.

      „Ich kann den Ring nicht abnehmen. Er ist ein Geschenk meines Vaters.“

      „Ja, und?“, erwiderte ich.

      „Ich habe einen heiligen Eid an seinem Sterbebett geleistet, ihn niemals abzunehmen.“

      Damit zog er seine Hand ganz zurück und wandte sich vom Kaiser ab.

      Bumm! Ich war wie vor den Kopf geschlagen!

      Hatte mein lieber Schüler Franco das wirklich gesagt oder träumte ich dies alles nur? Eine solche Beleidigung dem hohen Kaiserpaare gegenüber hatte ich zuvor noch nicht erlebt! Und ich hätte dies auch nie erwartet, nicht hier und nicht heute, es sei denn, von einem Feind, einem Todgeweihten oder in einem Irrenhaus.

      „Franco!“, stöhnte ich in ohnmächtigem Entsetzen. „Bist Du nicht bei Verstand? Was tust Du nur? Du beleidigst …“

      „Nein, nein, mein lieber Liuzo“, hob der Kaiser an, ohne auf meine Entschuldigung zu warten. „Müht Euch nicht, den Jungen zu erklären. Ich denke, ich habe schon verstanden, was er mir sagen will. Es scheint, sein Vater bedeutet ihm eine ganze Menge, so wie mir meiner und Euch Euer Vater sicher sehr viel bedeutet. Daran ist nichts Verwerfliches! Im Gegenteil! Eines jeden Mannes Vater sollte dies zu höchster Ehre gereichen. Und deshalb sage ich: Es ist schon in guter Ordnung so. Lasst es nur weiter so sein, lieber Bischof!“

      Dennoch, nach dieser größten aller möglichen Beleidigungen meines geliebten Kaisers war ich lange Zeit nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Alles in mir schien durcheinander zu geraten. Mein Herz raste. Mein Magen krampfte zusammen, als hätte ich saures Obst gegessen. Und auch mein Zahnweh machte sich an einer Stelle bemerkbar, wo ich es doch schon längst vergessen glaubte.

      Dann wandte sich der gütige Kaiser wieder an den Jungen und sagte:

      „Du musst keine Angst haben, braver Junge. Ich weiß sehr gut, wie es um Dich bestellt ist.“

      Und während er sich langsam aus seinem Stuhl erhob, deutete er auf die Hand mit dem Ring. „Pass’ nur gut auf, dass man ihn Dir nicht eines Tages stiehlt! Es wäre doch zu schade um ein Stück von solch hohem Wert. Und nun, meine lieben Leute, lasst uns aufbrechen!“

      Die kaiserlichen Berater, es waren vier an der Zahl, allesamt sehr würdevoll und in kostbare, aufwändig bestickte purpurne Gewänder gekleidet, nickten ehrerbietig. Unter ihnen war übrigens, dies soll hier nicht unerwähnt bleiben, der preiswürdige und hochgelehrte Widukind von Corvey, der mir ein guter Freund war und mit dem ich viele wunderbare Stunden gemeinsamen Disputs über die sächsischen und fränkischen Häuser verbracht hatte, wenn wir uns auch über die universale Rolle des Römischen Papststuhles niemals einigen konnten. Er, ein Sachse von adeligem Stande, begleitete den Kaiser und seine Gemahlin während ihrer Italienreise und war, wie auch meine geringe Person in aller Bescheidenheit sagen darf, ein Meister der Autographie und Geschichtsschreiber.

      Am Tage der Abreise des herrschaftlichen Zuges bekamen Franco und ich zum ersten Mal die drei Wagen mit den Gefangenen zu sehen, die bisher abseits und unter dem strengen Schutze eines Hauptmannes standen. Die beiden vorderen waren von drei Seiten mit weißem Linnen verhangen, der dritte Wagen hingegen ließ keine Seite offen. Der Kaiser selbst führte mich über den Hof, um mir ein Bild über das Ausmaß seines glorreichen Erfolgs und ebenso seiner Gnade und seines Großmuts zu geben.

      Die Gefangenen waren nicht etwa gekettet an Händen und Füßen, bei Wasser und Hirsebrei darbend, und dem Tode näher als dem Leben. Nein, ganz das Gegenteil war der Fall. Ich sah den Berengar und seine unheimliche Gattin Willa, frei beweglich und in einem durchaus bequemen Wagen reisend, neben einer Schale mit frischen Trauben auf einem Stapel Tuche und Teppiche sitzend.

      Der Unhold musterte mich mit gar bösem Blicke, kannten wir uns doch aus guten wie aus schlechten Tagen bei Hofe in Pavia. Bis heute kann ich ihm nicht gut verzeihen, was er meinen Nächsten und mir nach meiner glücklichen Rückkehr von einer gefährlichen Gesandtschaft nach Konstantinopel angetan hatte. Nur mit Gottes Hilfe und Eingebung hatte ich mein nacktes Leben auf ein griechisches Schiff retten können, welches dann als einziges im Sturme nicht versank, sondern mich am Ende wohlbehalten nach Ancona brachte, wo ich todkrank zusammenbrach und von wo mich gute Freunde nach Hause geleiteten.

      Als ich von den erlittenen Strapazen einigermaßen genesen war, begab ich mich sogleich an den Hof nach Pavia. Dabei führte ich gegen meinen Herrn Berengar nichts weiter im Schilde, als die rechtmäßige Erstattung meiner nicht unbeträchtlichen Kosten, die ich ihm verauslagt hatte, einzufordern. Auch die während der Reise erlittenen Verluste an all meinen persönlichen Sachen durfte ich ihm gegenüber nicht unerwähnt lassen.

      Der unheilige Bösewicht jedoch, getrieben von seinem geizigen und missgünstigen Eheweib, ließ mich an Händen und Füßen anbinden, hinauswerfen und demütigen. Im Hofe meines bescheidenen Hauses ließ er hundert Fuhren Esel- und Schweinemist abladen und dreizehn Tage lang das Tor so absperren, dass wir es nicht hinausschaffen konnten. Der üble Gestank begleitete uns so entsetzlich lange, dass wir uns eines Nachts aus unserem eigenen Hause wie Diebe davonstehlen mussten, um woanders ein besseres Quartier zu finden. Ich nehme ihm das bis zum heutigen Tage sehr übel.

      Nun also sahen wir uns wieder und standen uns Auge in Auge gegenüber. Ich konnte meine Schadenfreude wohl nur schlecht verstecken und Frau Willa tat, was sie am besten konnte, nämlich mich keines einzigen Blickes zu würdigen. Im zweiten Wagen, nicht ganz so streng bewacht, aber ebenfalls mit einem Stapel kunstvoller Teppiche ausgelegt, reisten die beiden jungen Töchter des Berengar, mit Namen Oda und Rosvith. Gleichwohl sie dem Wuchse und ihrer Natur nach noch Kinder waren, sollten auch sie im Auftrage der kaiserlichen Versammlung zur Verbannung nach Babenberch geschickt werden. Kaiserin Adelheid selbst hatte sich in allerhöchster Gnade erboten, für die Mädchen zu sorgen und es ihnen auch nicht an der notwendigen Erziehung fehlen zu lassen, was der Kaiser wohlwollend, aber dennoch verwundert zur Kenntnis