Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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er es einrichten konnte, noch einmal zu besuchen und Zeit für ein Gespräch mitzubringen. Der Todesfall des Johannes hatte sich schon in den zweiten Nonen des Mai ereignet, wie ich aus dem Brief erfuhr, und man redete insgeheim davon, dass er von einem gehörnten Ehemanne beim Verkehr überrascht und hernach erschlagen worden sei11). So endete dann also der Sohn des einst ruhmvollen römischen Princeps Alberich und Enkel der selbsternannten Senatrix Marozia als Opfer seiner eigenen Zügellosigkeit. Aber nicht nur das, er war wohl auch das Opfer des Widerspruchs, in welchem er sich als Erbfürst von Rom und gleichzeitig als Römischer Papst befand. Seine unreife Jugend, seine edle Abkunft von jenem großen Römergeschlecht und sein tragischer innerer Zwiespalt könnten ihm leisen Anspruch auf ein milderndes Urteil vor dem Allmächtigen Herrn gegeben haben.

      Ich ließ die Nachricht vom Tode des Johannes von einem Diener sogleich an Franco überbringen, obwohl ich gern selbst gesehen hätte, wie er es aufnimmt. Diesen indirekten Weg wählte ich nur aus dem einen Grunde, um nicht alte Wunden in ihm wieder aufzureißen. Franco und ich hatten seit dem Ende unserer kurzen Kerkerhaft nicht mehr über die erschrecklichen Vorgänge im Lateranensischen Palast gesprochen. Auch war ich mir nicht sicher, welches Gefühl er dem Johannes gegenüber damals noch hegte.

      Sei es, wie es sei, sagte ich mir und dankte dem Herrn im Gebet für seine unendliche Weisheit und Gnade und dafür, dass er dem unheiligen Treiben dieses Halunken ein so versöhnliches Ende gesetzt und ihn aus der Welt geschafft hatte.

      Ich für meinen Teil hoffte, der Johannes möge in der Hölle schmoren.

      Nun, da sich der Mai dem Ende zuneigte, setzte ich einen Brief an meinen Freund Leo auf, der nunmehr ganz unbestritten der Oberste Bischof Roms und Allgemeiner Papst war. Ich dankte ihm in herzlichen Worten für seine stets interessanten und höchst erfreulichen Neuigkeiten, auch um ihn anzuspornen, davon noch mehr zu tun. Mit diesem Briefe in der Hand wollte ich warten, bis der päpstliche Bote sein gegebenes Versprechen einlöste und auf dem Rückweg bei mir einkehrte.

      Es ergab sich aber anders.

      In den dritten Iden des Junis klopfte erneut ein päpstlicher Bote an meine Pforte. Er brachte neue Kunde aus Rom, diesmal nicht in einem Briefe, sondern als Botschaft, die er aus dem freien Gedächtnis heraus vortrug. Was ich nun hören musste, beunruhigte mich zutiefst: Die Römer hatten sich ein weiteres Mal gegen die kaiserliche Hoheit aufgelehnt und den rechtmäßigen und ehrwürdigen Papst Leo, den sie nun doch nicht mehr haben wollten, vertrieben. Dass sie ihn überhaupt am Leben ließen und mit einer Handvoll Gefolgsleute die Flucht zum Kaiser nach Pavia ermöglichten, verdankte er wohl nur seinem zuvor untadeligen und selbstlosen Auftreten, mit welchem er die römischen Geiseln aus der Hand des gerechten Kaisers, der sie ohne Not hergab, befreit hatte. Einige Römer erinnerten sich in ergebener Dankbarkeit daran und sprachen sich vor dem versammelten Volke für ihn aus.

      Da nun der Apostolische Stuhl vakant war, hatten sie einen ihrer Getreuen auserwählt, um ihn zum Obersten Bischof und Allgemeinen Papste zu weihen. Der, den sie für würdig hielten, war noch wenige Monate zuvor ein treuer Diener und Gefolgsmann des Kaisers und des wahren Papstes Leo. Es war der Kardinaldiakon Benedictus, den sie zwar in Furcht vor der Ankunft des Kaisers, aber keineswegs eingedenk ihres geleisteten Eides ordinierten und auf den Stuhl des Apostelfürsten Petrus setzten. Es war der gleiche Benedictus, der inmitten der Heiligen Synode mit seinem klugen und gewissenhaften Benehmen für Bewunderung und Aufsehen gesorgt hatte und der sich in den barbarischen Wirren Roms den seltenen Titel eines Grammaticus erworben hatte.

      Die in mehrere Fraktionen zerstrittenen Römer warteten damit nur ganze sieben Tage lang, kaum lang genug, um die vorgeschriebene Einwilligung einzuholen, was sie aber auch gar nicht vorhatten. Als aber der Kaiser davon hörte, rückte er, erbost von so viel ehrloser Tücke, mit seinem Heer nach Rom und sperrte es von allen Seiten ab, damit auch kein Ausweg offenbliebe. Der oben genannte Benedictus, zwar ehrenwert im Geiste, doch fälschlich Papst genannt, wandte sich nun ganz und gar vom Kaiser ab. Er ermunterte das Volk von Rom, noch lange durchzuhalten, er bedrohte den Kaiser und stellte sich gar selbst mit großem Hochmut auf die Mauer, wie es zuvor der Johannes getan hatte und wie es sich für einen heiligen Mann so hohen Ranges nicht geziemt.

      Ich dankte dem Boten für seinen ausführlichen Bericht, wenngleich ich unschlüssig war, wie weit ich ihm Vertrauen und Glauben schenken konnte. War er nicht auch ein Mann des Benedictus, der sich vielleicht nur im gerechten Glauben ein eigenes Urteil gebildet hatte? War er nicht vom falschen Papste in die Reise geschickt worden, um die hohen und heiligen Männer des Reiches über den Machtwechsel in Rom zu unterrichten und von ihnen Wohlwollen und Vernunft zu erwerben oder gar einzufordern?

      Nachdem er fortgeritten war, ging ich zu Franco, um ihm die Neuigkeiten mitzuteilen und ihn auf unsere bevorstehende Abreise nach Rom vorzubereiten.

      Franco, der gerade in der schönen Kunst der Himmelsgeometrie unterwiesen wurde, nahm die Entwicklungen in Rom mit Gelassenheit und ohne jede äußere Rührung auf, viel weniger, als ich erwartet hatte. Er interessierte sich gar nicht für den ehrwürdigen Leo, sondern nur noch für den Benedictus, und wollte wissen, welcher Freunde und Unterstützer sich dieser bediente. Da mir nun auf diese Weise deutlich gemacht wurde, dass ich weder das eine noch das andere zu beantworten wusste, betrübte es mich umso mehr und ich hatte es eilig, ohne Verweil selbst nach Rom zu fahren, um mich mit den besten Auskünften und Berichten zu versorgen.

      Jedoch brachte mich Franco auf einen Gedanken, der mir angesichts der schwierigen Lage in Rom nicht übel erschien. Warum, so fragte er mich, wollten wir uns selbst den nicht unerheblichen Gefahren einer Reise und einer ungewissen Aufnahme in Rom aussetzen, wo es doch so viel einfacher wäre, einen klugen und vorsichtigen Manne dorthin zu entsenden und ihn die fraglichen Nachforschungen in unserem Sinne anstellen zu lassen. In der Tat war es so, dass wir nicht wussten, was den Benedictus und den römischen Adel zu dieser Stunde umtrieb, warum sie sich nun schon wieder gegen den Kaiser auflehnten und ihn sogar mit der Absetzung des rechtmäßigen Papstes und der Wahl eines neuen auf die gröbste Art brüskierten.

      „Kann sich der Benedictus denn einfach so zum Allgemeinen Papste machen lassen?“, fragte Franco, als wir gemeinsam bei Tische saßen.

      „Nun“, sagte ich zögerlich, „das kann er wohl. Er wird gewählt von den Seinen, wenn er würdig ist und erhält hernach die Weihe.“

      „Aber wenn er nun keiner ist, der würdig wäre?“

      „Ach, mein lieber Franco, das ist wirklich eine gute Frage und ein Dilemma zugleich. Man nennt ihn den Grammaticus, ein Titel, dessen sich noch nicht viele Männer rühmen durften. Jener Benedictus ist in der Tat ein des hohen Amtes würdiger Mann. Denn Gott ließe nicht zu, dass jemand, der nicht würdig ist, auf den Stuhl Petri gelangte.“

      „Aber habt Ihr denn nicht der Synode selbst gesagt, dass der Papst Johannes dieses hohen Amtes nicht würdig sei und abgesetzt gehöre?“

      Ja, ich wusste, dass er seine Fragen mit einiger Berechtigung stellte. Dennoch, da Gott nicht irrte, musste es eine andere Erklärung geben, die, wie ich leider zugeben muss, ich meinem Schüler nicht geben konnte.

      „Manchmal, mein lieber Franco“, erwiderte ich deshalb, „sind die Wege, die der Herr uns gehen lässt, im Nebel verborgen und voller Geheimnisse. Dies allerdings sollte uns jedoch kein noch so niederer Grund sein, an seiner Weisheit und an seinem großen Plane zu zweifeln.“

      Eine Weile schwiegen wir. Ich wollte mich gerade erheben, als Franco sich räusperte.

      „Meister Liuzo, gestattet Ihr mir noch eine Frage?“

      Ich nickte ihm mit freundlicher Aufforderung zu, obwohl ich es vorgezogen hätte, das Gespräch an dieser Stelle zu beenden.

      „Würdet Ihr mich für würdig halten, zum Obersten Bischof und Allgemeinen Papste gewählt zu werden, Meister Liuzo?“

      Mir verschlug es für einen kurzen Augenblick die Sprache.

      Dennoch war ich kaum noch überrascht, weil ich in meinem tiefsten Innern bereits auf eine solche Frage vorbereitet war. Nur der frühe Zeitpunkt verwunderte mich. Der Junge hatte seine geistliche Ausbildung doch gerade erst