Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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Neue und so laut, dass es mir in den Ohren klingelte.

      „Schweigt, Ihr Elenden!“, rief ich in meinem Zorn hinüber.

      „Meister Liutprand“, stammelte Franco irritiert. „Was tut Ihr da? Und warum seid Ihr hier?“

      „Schweig, Junge!“, befahl ich erneut. „Schweigt alle!“

      Doch Franco beachtete es nicht.

      „Meister, ich erkenne Euch nicht wieder! Ihr trachtet dem obersten Bischof der Christenheit nach seinem Leben?!“

      Ich sah zu ihm herüber. Immer noch unbekleidet starrte er mich ungläubig an.

      Der Papst hatte die Luft angehalten und wand sich wie ein Kaninchen, was die Spitze jedoch nur tiefer in seine Haut ritzen ließ.

      „Er hätte es wohl verdient“, antwortete ich und ließ den Speer ein Stück sinken. „Genau wie die anderen Herren, die sich mutig hinter den Diwan werfen und den Rücken der Weiber als Schilde benützen. Aber ich will ihnen nicht nach dem Leben trachten. Denn eine Sünde wiegt die andere nicht auf. Ich wäre nur ein schlechter …“

      In diesem Moment traf mich ein Keulenschlag auf den Hinterkopf. Ich sah einen dumpfen Nebel um mich herum und fühlte, wie meine Beine mir den Dienst versagten. In letzter Verzweiflung stützte ich mich auf die Lanze, die ich wie ein Ertrinkender einen Uferhalm umklammerte. Dann verblassten alle Lichter.

      Mein Erwachen erfolgte in völliger Dunkelheit. Um mich herum war es kalt und hart. Das Rascheln von Stroh und das Schaben von Leder auf nacktem Stein weckten mich vollends auf. Ich war nicht vor dem himmlischen Tore angekommen, so viel meinte ich aus meiner jetzigen Situation sicher schlussfolgern zu können. Denn wie auch immer es dort aussehen mochte, ich wollte doch mehr Licht erhoffen dürfen. Meine Augen vermochten hier nicht das Geringste zu sehen, keinen fernen Schimmer, kein wärmeverheißendes Glimmen eines Feuers oder irgendetwas sonst. Ich richtete mich auf und befühlte mein Haupt, an dem sich eine Stelle mit besonderem Eifer schmerzhaft bemerkbar machte. Jedoch außer einer kleinen Beule, die sich feucht und rissig anfühlte, konnte ich dort nichts ausmachen.

      Soweit möglich, versuchte ich mich zu erinnern, aber an dem bewussten Punkte riss aller Gedanken Faden ab und verschwand im mich umgebenden Dunkel. Hatte sich der Salek doch irgendwo im Saale versteckt gehalten, wie ich es schon befürchtet hatte, oder hatten die Wachen mein heimliches Eindringen in den Palast zuletzt noch bemerkt? Eines wusste ich genau: Jemand hatte mich aus dem Hinterhalt niedergestreckt. Und meine Verlorenheit musste so lange angedauert haben, dass sie genug Zeit und Muße fanden, mich in dieses Dunkel zu verladen. Doch darum wollte ich mich später kümmern. Was mochte wohl aus Franco geworden sein, fragte ich mich besorgt. Ich hatte keine Vorstellung davon, wo der Junge jetzt steckte. Aber dennoch war ich sicher, dass sie ihm nichts antun würden, was sie nicht sowieso schon vorgehabt hätten. Und außerdem: Heimlich durfte ich wohl hoffen, dass ich den werten Herren durch mein Einschreiten die Lust an ihren frevelhaften und gottlosen Schweinereien doch ernsthaft verdorben hatte. Vielleicht hatten sie von ihm abgelassen und sich vertagt? Vielleicht war der Herrgott an diesem Tage gnädig mit meinem Schüler gewesen. Und so schloss ich ihn in meine Gebete ein.

      Angestrengt überlegte ich, was nun zu tun sei, und versuchte, mich zu orientieren. Wenn es Nacht war, würde dies die Dunkelheit zumindest erklären. Die Kälte konnte die eines Kellergewölbes sein, auch die Ausstattung aus Stein und Stroh ließ dies vermuten. War ich also nächtens in einem päpstlichen Gefängnis erwacht? Mir fielen nicht viele Orte ein, die dafür in Frage kämen, zuallererst das Castello San Angelo. Dafür sprach einiges, zumal das Castello, wie allgemein bekannt war, über eine verborgene und direkte Verbindung zum Lateranensischen Palast, in dem wir uns ja zuletzt aufhielten, verfügte. Ich schabte erneut mit dem Leder meiner Sandalen auf dem Boden und versuchte, aus dem Widerhall von den Wänden auf die Größe des Raumes zu schließen. Nun ja, sehr genau mag diese Methode dem geneigten Leser nicht erscheinen, und ich möchte auch nicht als dummköpfiger Esel daherkommen, aber mir konnte sie einstweilen helfen, zumindest so lange, bis ich in der Lage war, den Raum mit eigenen Schritten zu vermessen oder ein Feuerschein ihn erhellen mochte. Bei diesem Gedanken fiel mir auf, dass ich an keiner Stelle meines Körpers angebunden war, kein Eisen, kein Strick, kein Knebel. Nacheinander rührte ich alle Gliedmaßen und freute mich umso mehr, meine Vermutung hierdurch bestätigt zu bekommen. Wenn dies jedoch ein Gefängnis war, so vermochte mich diese Erkenntnis durchaus zu verwundern.

      Ganz in der Nähe vernahm ich ein leises Schluchzen. Ich spitzte die Ohren und hielt den Atem an. War das ein menschliches Geräusch oder machte sich eine Ratte an ein paar heruntergefallenen Brotkrumen zu schaffen? Das Schluchzen kam noch einmal. Ich beschloss, mich bemerkbar zu machen, um dem auf den Grund zu gehen.

      „Wer da?“, fragte ich laut genug, um den Raum, wie ich ihn mir vorstellte, bis in die letzte Ecke hinein zu durchdringen.

      „Ich bin es, Bischof“, antwortete eine sorgenvolle Stimme, die nicht weiter als vier Schritte entfernt sein mochte.

      „Franco? Oh, welch Freude, Dich hier zu haben!“, rief ich aus, bemerkte aber sofort, dass die Freude diesmal nur auf meiner Seite war. Franco antwortete nicht.

      „Wie ist es dir ergangen, mein Junge? Sag, haben Dich diese Hornochsen unversehrt ziehen lassen?“

      Erneut antwortete er nicht. Aber ich wollte mich davon jetzt nicht entmutigen lassen. Ich wusste, dass ich das Richtige für ihn und für mich getan hatte.

      „Sag, mein guter Junge“, begann ich erneut, „wo sind wir hier? Vermute ich richtig, dass sie Dich und mich ins Castello gebracht haben?“

      Jetzt bewegte er sich.

      Ich hörte das Rascheln von Stroh und das Schaben von Leder auf bloßem Stein.

      „Ich weiß nicht. Sie haben mir die Augen und die Hände gebunden.“

      „Die Augen und die Hände, sagst Du? Bist Du jetzt immer noch gefesselt?“

      „Nein, hier ist es doch dunkel genug. Wozu noch eine Augenbinde?“, antwortete er trotzig.

      Ich überhörte den ungewöhnlichen Unterton in seiner Stimme. „Ja, da hast Du natürlich recht, mein lieber Junge. So meinte ich die Frage auch nicht. Ich wollte eigentlich nur wissen, ob Du Dich frei bewegen kannst.“

      Die Antwort kam prompt und klang noch ein wenig patziger als zuvor.

      „Dort oben konnte ich mich jedenfalls dreimal freier bewegen!“

      „Dort oben?“

      „Beim Herrn Papste!“

      Ich schluckte. Meinte Franco das wirklich im tiefen Ernst?

      „Der Herr Papst ist ein Scheusal, ein Waldteufel“, sagte ich betont leise und mit so wenig Emotion, wie es mir möglich schien. „Er huldigt der Hurerei und Sodomie! Er versündigt sich gegen Gott und gegen das Fleisch. Du hast doch mit eigenen Augen gesehen, was die verhurten Weiber vor seinen und aller Augen getrieben haben. Und solltest nicht gerade Du Deinen Arsch herhalten, als ich, Gott sei Dank gerade noch rechtzeitig, hinzukam und beherzt einschritt?“

      „Der Herr Papst ist ein guter Mann! Und seine Freunde waren sehr nett zu mir“, sagte er höchst vorwurfsvoll.

      „Ja, das will ich gern glauben, mein Junge“, stieß ich so laut heraus, dass es in meinem Kopfe schmerzte. „Die Herren sind immer so lange nett und freundlich, bis sie bekommen haben, was sie wollten. Aber danach bist Du für sie nichts weiter als ein Knochen, von dem sie alles Fleisch abgenagt haben. Sie werfen Dich mit den anderen Knochen, den gemeinen Dirnen, in die Ecke, wo sich dann die Hunde über Dich hermachen dürfen. Du solltest mir wirklich in höchstem Maße dankbar sein, dass ich Dich aus diesem Sündenpfuhl errettet habe! Stattdessen machst Du mir Vorwürfe.“

      „Sie haben mir nichts getan!“

      „Sei nur froh dazu!“

      „Wie sollte ich froh sein, einen solchen Freund