Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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Otto vor und verlangte, noch in dieser Stunde in dringender gesandtschaftlicher Angelegenheit zum Papste vorgelassen zu werden.

      „Wir haben den Befehl, Euch nicht hereinzulassen, Bischof Liutprand“, sagte eine der Wachen. Ich war darüber sehr beunruhigt und begann, auf die bewaffneten Männer einzureden, als würde ich sie damit überzeugen können, ihrem Befehl abtrünnig zu werden. Alle Reden halfen nichts, ich fiel auf die Knie, bat und flehte, allein die Männer blieben stur und verwehrten mir den Weg, ebenso die Wachen am seitlichen Portale, wo ich einen weiteren Versuch wagte, in den Palast zu gelangen. In mir machten sich Verzweiflung und Verdruss breit. Wie sollte ich Franco aus den Händen dieses Ungeheuers retten, wenn es mir nicht einmal gelang, in seine Nähe zu kommen?

      Die Türen dieses Hauses waren offenbar ausdrücklich für mich verschlossen worden.

      In meiner Verzweiflung umrundete ich den Palast, demütig betend und still hoffend auf einen anderen Weg hinein. Vielleicht gab es ja eine versteckte Tür oder einen geheimen Kellergang? Alles, was ich fand, war eine kleine Pforte, die wohl zur Küche führen mochte. Sie war kaum groß genug, einen Korb mit Gemüse hindurchzureichen, für einen gut gebauten Mann wie mich indes viel zu klein bemessen. Die Pforte war nicht bewacht und mein Klopfen verhallte ungehört. Es war wohl auch niemand dahinter, der mir hätte aufmachen können. Ich warf mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften dagegen, aber zu allem Übel war sie stark genug, meinem Begehren standzuhalten.

      Da ich nun keinen weiteren Weg mehr wusste, wie mir und ihm zu helfen war, machte ich mich gesenkten Hauptes auf den Weg zurück zur Herberge. Schreckliche Vorwürfe ob meines Versagens quälten mich und ich schalt mich wegen meiner Naivität. Natürlich hatten der Papst und sein unsäglicher Diener Salek für den Fall vorgesorgt, dass ich meinen jungen Schüler begleiten wollte.

      Ich hätte es wissen müssen.

      Gerade als ich in die dunkle Gasse abbiegen wollte, aus der ich gekommen war, begegnete mir der gute Leo, der Kanzler des Herrn Papstes. Ganz plötzlich und wie von Gott selbst gerufen stand er vor mir und schien ebenso überrascht zu sein wie ich von unserem Aufeinandertreffen an diesem ungewöhnlichen Orte. Ich pries ihn und den Herrgott in seiner unendlichen Gnade und Weisheit und dankte ihnen beiden, was Leo mit einigem Unverständnis annahm. Für lange Erklärungen war jedoch nun keine Zeit mehr. Ich bat ihn, mich auf einem geheimen Wege in den Palast zu führen, da ich mit den Wachen nicht gut rechnen konnte. Auch erklärte ich ihm, dass ich eine wichtige Mission zu erfüllen hätte und meinen braven Schüler Franco aus den Händen des päpstlichen Ungeheuers erretten musste. Leo zog die Augenbrauen hoch, weil meine Erklärungen in seinen Ohren doch etwas verwirrt geklungen haben mochten, aber ich drängte ihn zur Eile und er folgte meinem Wunsche in altem Vertrauen, dass ich gewiss nichts Unrechtes vorhatte. Für dieses Vertrauen bin ich ihm, meinem guten Freund Leo, noch heute außerordentlich dankbar. Es hat mir in vielen schweren Stunden der Angst und der Verzweiflung neuen Mut und neue Hoffnung gegeben.

      Leo öffnete mir die hintere Pforte, die tatsächlich zur Küche führte, welche aber um diese Zeit leer und kalt war. Ich dankte ihm auf das Herzlichste und verabschiedete mich hier von ihm, da ich nicht befürchten musste, dass die restlichen Wachen ebensolche Instruktionen erhalten hatten. Im oberen Stockwerk fand ich die unbewachte Tür zu den päpstlichen Gemächern. Vorsichtig öffnete ich einen der mit schwerer Bronze beschlagenen Flügel und trat ein, so leise und demutsvoll ich es vermochte. Aus dem hinteren Raume hörte ich die vertrauten Stimmen des Papstes und meines Schülers. Sie unterhielten sich angeregt, wobei ich sie aber nicht sehen konnte. Es roch nach Entenbraten und Knoblauch, gar lieblich zog der Duft in meine Nase. Jedoch, konnte ich sicher sein, dass sie den ersten Teil der Gesellschaft schon hinter sich hatten und zum zweiten übergegangen waren? Ich musste Gewissheit haben und mir einen besseren Platz verschaffen.

      Einen Moment lauschte ich in den Raum hinein nach weiteren Stimmen. Ich hörte das Kichern der Mädchen, es mochten drei junge und eine ältere sein, den hellen und dunkleren Stimmchen nach. Ich hatte also recht gehabt. Nun musste ich noch herausfinden, wo der Salek war, ob er auch inmitten dieser unheiligen und triebhaftigen Gesellschaft herumlungerte oder ob ich jederzeit damit rechnen musste, dass er mich von hinten überraschte und mir, Gott behüte, eins mit dem Kaminschuber überzog. Nur sagte dieser krumme Hund nie etwas. Ich konnte weder seine finstere Stimme noch seinen Geruch ausmachen, weil der Bratenduft und der Knoblauch alles andere an ihm überdeckten.

      Also tastete ich mich langsam voran, Deckung hinter den Säulen und Figuren aus weißem und rotem Marmor suchend und darauf bedacht, nicht zu viel Geräusch zu machen. Hinter dem vierten Pfeiler konnte ich einen vollständigen Blick auf die Szenerie erhaschen. Der Salek war nicht dabei, aber drei der vier Mädchen lagen bereits völlig unbekleidet auf dem Diwan, während sie sich gegenseitig mit Trauben und Wein befütterten und dabei genierlich kicherten. Der Papst Johannes, sein Gewand nur lose über die Schulter geworfen, und ein schmaler graubärtiger Mann, den ich schon während der Audienzen hier gesehen hatte, wandten mir den Rücken zu. Zu ihren Füßen lag ein nacktes Mädchen, wobei ich mir nicht vorzustellen vermochte, in welchen unschicklichen und gottlosen Schweinereien sie sich dort vor den Augen der anderen ergab. Mein braver Schüler saß etwas abseits, keusch und noch genauso gewandet, wie ich ihn verabschiedet hatte. Ich konnte ihn gut von der Seite sehen, sein Gesicht war gerötet und sein Atem ging flach und schnell. Es war wohl an der höchsten Zeit, dass ich einschritt und dem unseligen, wenn nicht gar teuflischen Treiben ein Ende bereitete.

      Eine Stimme, die ich keinem der Männer zuzuordnen vermochte, machte sich bemerkbar. Eine sehr tiefe Stimme, nicht die des Saleks. Er sprach mit Franco und dieser antwortete ihm. Nur leider konnte ich weder des Einen noch des Anderen Worte verstehen. Offenbar war also noch ein weiterer anwesend, womit ich, wenn ich sie zählte, auf vier Männer und vier Weiber kam. Nun, Franco konnte ich schlecht der Seite der Herren zurechnen, seiner Rolle nach sollte er wohl eher eine weitere Dirne geben, womit das Kräfteverhältnis sich zu meinen Gunsten auf drei zu fünf wandelte. Ich beschloss, mich noch weiter heranzuwagen, um im entscheidenden Moment aus meinem Verstecke springen zu können und ihnen den Franco aus ihren Klauen zu entreißen, wenn es nötig sein sollte.

      Nun stand der bisher unsichtbare Mann aus der Mitte auf und stellte sich mit aufgerichtetem Schwanze vor meinen braven Schüler. Franco erhob sich und ich konnte sehen, wie er am ganzen Körper zitterte. Sein festliches Gewand wurde ihm von den Schultern gestreift, womit auch er völlig nackt dastand.

      Ich brach aus meiner Deckung hervor. „Beim Heiligen Benedictus! Verflucht sollt Ihr sein, Ihr Hornochsen und Ziegenböcke“, brüllte ich aus ganzer Leibeskraft und stürmte voran, wobei ich der Statue, die mir am nächsten stand, den Speer entriss und ihn wie eine Lanze vor mich hertrug. Die überraschten Männer zuckten zusammen, die Weiber kreischten, Franco schrie.

      „Wisst Ihr denn nicht, was Ihr da tut? Treibt Hurerei und Sodomie und noch Schlimmeres in diesem Heiligen Palaste? Vergießt Euren Samen an einem Manne? Und Ihr wollt heilige Männer des Glaubens und die obersten Hirten der Kirche sein? Welch finsterer Teufel hat Euch dazu geritten?“

      Zwei der Männer warfen sich hinter den Diwan, auf dem sich die Weiber tummelten. Einer stolperte arg über das am Boden liegende Mädchen und ließ sie mit schmerzverzerrtem Gesichte zurück, um sein eigenes erbärmliches Leben hinter einem anderen Weibe zu verstecken. Der Papst Johannes hatte sich halbnackt auf die Knie geworfen, weil ich schon zu nahe war, um noch erfolgreich fliehen zu können. Er stammelte wirres Zeug und vermutlich bettelte er um sein kärgliches Leben, welches ich mit der Lanze bedrohte. Ich gebe natürlich zu, dass ich nicht vorhatte, die Lanze als Waffe gegen ihn zu benutzen oder jemanden ernsthaft zu beschädigen. Aber schon einige Male später dachte ich mir, dass, wenn ich ein anderer gewesen wäre als der, zu dem der Herr mich gemacht hatte, ich den heiligen Herren den Teufel mit der Lanze hätte austreiben können. Franco stand mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen da, unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Ich rief ihm zu, er solle sich ohne Verweil sein Gewand anziehen, damit wir diesen unheiligen Ort auf das Schnellste verlassen könnten.

      Doch zuvor wandte ich mich noch dem Herrn Papste zu. Er rutschte rücklings immer weiter nach hinten, bis er nicht mehr weiterkam, weil ihm der Wagen mit den Speisen im Wege stand. Mit grimmigstem Gesichte (ich zeigte meine Zähne, wie es die Hunde machen) sprang ich in einem