Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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war, gegeben, die Zwillinge David und Norbert verwalteten den Markt und den Burgschatz, der Barbara ward die Herrschaft über die Küche und die Vorräte übertragen, während der brave Sven sich um den gut gefüllten Weinkeller bekümmerte. Die grafschaftliche Kanzlei und Schreibstube leitete der Jorg und der drittjüngste unter den Söhnen, den alle Dennes nannten, machte die verschiedensten Botengänge für ihn.

      Der in technischen Dingen sehr begabte Nikolaus, sein Zweitjüngster, besorgte die Bauarbeiten und Reparaturen an den umfangreichen Mauern der Feste. Einzig Danilus war noch zu jung, um eine eigene Aufgabe zu übernehmen. Er war der liebste Spielgefährte des jungen König Otto, wenn dieser sich in der Feste aufhielt, so sie auch gleichen Alters waren.

      Nun, die Aufsicht über die vielen übrigen Bediensteten, die Kammerfrauen und Kammerdiener, und alle, die sonst noch am Hofe Dienst taten, führte der Meik selbst aus, wie es ihm Spaß bereitete.

      Wir wurden gar freundlich aufgenommen und reichlich mit Speis und Trank versorgt, sodass wir uns nach den vielen Tagen des Umherreisens nun in völliger Ruhe und Sicherheit betten konnten. Zur Mittagszeit des zweiten Tages lud uns der hoch zu lobende Graf Meik, der ein sehr aufmerksamer und fürsorglicher Gastgeber war, an seine Tafel im großen Rittersaale ein. Mit uns gemeinsam zu Tische saßen der ehrwürdige Bischof Simon von Berenthal und die Gebrüder Koopman, drei reiche lotharingische Tuchhändler, die mit dem Grafen verschwägert waren über dessen Gemahlin, die holde Gräfin Felicia.

      Auch Franco ward hinzugerufen, aber er fehlte immer noch, als schon der zweite und dritte Gang aufgetischt wurde. Während mir köstlichste Speisen und ein wohlgelungener Wein aus der hervorragenden Kellerei präsentiert wurden, begann ich, mir Sorgen um ihn zu machen. Als die Gräfin mein Unwohlsein bemerkte, gestand ich ihr meine Angst und sie schickte sofort vier der besten Wachleute unter dem Befehl ihres ältesten Sohnes Henk los, auf dass sie die ganze Burg vom Keller bis zur Turmhaube nach dem Jungen absuchen und nicht eher wiederkommen mögen, bevor sie ihn aufgefunden hätten. So war ich denn etwas besser beruhigt und aß und trank weiter mit den edlen Herren und Damen, derer viele sich bei Tisch versammelt hatten.

      Kaum, dass der Nachtisch, ein köstlicher Sud aus süßen Beeren, aufgetischt war, stürmte Hauptmann Henk eilends herein und wandte sich seiner Mutter zu. Ich hörte zwar aus seinem Flüstern den Namen Franco wohl heraus, aber ich verstand ihn nicht besonders gut. Graf Meik, der an ihrer Seite saß und ebenfalls zugehört hatte, winkte mich zu sich heran.

      „Gute Nachricht, verehrter Bischof. Euer Schüler ist soeben auf dem Weg zum Tore gesichtet worden. Er wird sicher gleich hier sein.“

      „Und geht es ihm gut?“, fragte ich besorgt.

      „Er scheint wohlauf zu sein. Doch fragt ihn besser selbst. Ich lasse ihn zu Euch in die Kammer bringen, wenn Ihr wollt.“

      „Nein, nein. Das wird nicht erforderlich sein. Er wird Hunger haben und durstig sein. Lasst ihn hierherbringen, zu uns an die Tafel, wenn es Euch beliebt, verehrter Graf und verehrte Gräfin.“

      Der Graf gab dem Henk einen Wink, wie er zu tun hatte, und kaum, dass dieser zur Türe hinaus war, kam er mit dem Franco am Arme auch schon wieder herein.

      Franco war völlig durchnässt, wie er den festlichen Saal betrat. Er kam seltsam krumm daher und wurde auf einer Seite vom braven Henk gestützt. Als er mich sah, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er löste sich von Henk und humpelte auf mich zu. Da erst sah ich, was er in der Hand hielt, und ich kann sagen, dass man in seinem ganzen Leben kaum mehr Grund haben kann, überrascht zu sein und an seinem Verstande zu zweifeln, als ich es in diesem Augenblick tat.

      „Verzeiht, Meister Liuzo, wenn ich nicht vor Euch auf die Knie falle, wozu ich allen Grund hätte, um Euch meine Dankbarkeit und Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen. Als Zeichen meiner hohen Achtung möchte ich Euch diesen Mantel zu Füßen legen und Euch bitten, ihn als Geschenk und als Dank anzunehmen.“

      Dann überreichte er mir den schwarzen Reiseumhang, den ich sehr wohl erkannte.

      „Bravo!“, rief jemand laut und viele andere stimmten ein. Applaus brandete auf und ich erhob mich feierlich berührt. Jedoch vor Rührung und Ergriffenheit blieb mir der Mund offenstehen und ich vermochte zunächst nicht, etwas Passendes zu erwidern. Ich hörte beifälliges Gemurmel und immer wieder Bravo-Rufe des Grafen und der Gräfin.

      „Mein liebster Franco, Du musst vor mir nicht auf die Knie fallen“, sagte ich mit festlicher Stimme, als es wieder still wurde, „und dennoch weiß ich Deine hohe Geste und Dein liebes Geschenk auf das Wertvollste zu schätzen. Aber sag mir, wofür verdiene ich eine solche Ehre im Angesichte der vielen hohen Herren in diesem Saale?“

      „Nun, Ihr seid mein Lehrer und mein Meister. Ich verdanke Euch viel und ich wünschte, ich hätte Euch in der Vergangenheit weit weniger Grund zur Sorge und Verzweiflung gegeben, als ich es tat. Nun nehmt also bitte dieses Geschenk als Zeichen meiner Wiedergutmachung und hohen Anerkennung Eurer Erziehung an mir.“

      Nun, ich glaube, ich muss dem fernen Leser dieser Zeilen nicht sagen, welch wundervolle Gefühle, welch Stolz und welch große Freude mich in diesem Moment überwältigten. Franco hatte tatsächlich viel gelernt, wenn er in einer so hervorragenden und würdigen Weise seine Dankbarkeit und Wertschätzung auszudrücken vermochte. Natürlich nahm ich sein Geschenk mit offenen Armen an und bedankte mich in den schönsten Worten dafür.

      Graf Meik, der ebenfalls Tränen der Rührung in den Augen hatte, bot ihm den freien Platz an seiner Tafel an und ließ noch einmal alles von Anbeginn an auftafeln. Doch schon nach wenigen Bissen verhielt Franco sich seltsam, er legte den Kopf schief und blickte etwas hilflos drein, als bedrücke ihn etwas.

      Als der Meik ihn daraufhin ansprach, was ihm denn fehle, da er in einem solchen glücklichen Augenblick so wenig Glück ausstrahle, antwortete Franco nicht, sondern deutete auf seinen verdrehten rechten Arm und zeigte seinen Hals, den eine große, blutverkrustete Schnittwunde verunzierte.

      Die ganze Tischgesellschaft erschrak und alle Gespräche erstarben augenblicklich. Nun bemerkte ich auch, dass der Junge am ganzen Körper zitterte, obwohl er es vor uns allen zu verheimlichen suchte. Meik winkte den Medikus heran, der uns gegenüber an der Tafel saß und mit dem ich schon ein paar Worte über dies und jenes in lateinischer Sprache gewechselt hatte. Der Medikus, ein klug aussehender Mann mit goldbrauner Haut und krausem Haupthaar, wie ich es von den Arabern kannte, mochte wohl doppelt so alt wie Franco sein. Mit einem Blick erkannte er das Übel, welches dem Jungen widerfahren war, hieß ihn aufstehen und renkte mit einem unerwarteten Schwung die verdrehte Schulter wieder ein, wobei sie ein lautes Krachen von sich gab. Franco, zunächst voller Unglauben und für einen kurzen Moment mit einem überraschten, aber keineswegs schmerzvollen Ausdrucke im Gesicht, bewegte daraufhin vorsichtig beide Schultern, die Arme, die Hände und war überaus zufrieden mit der Kunstfertigkeit des Medikus.

      Schnell und mit geschickten Händen säuberte dieser daraufhin die arge Wunde, die Franco sich am Halse zugezogen hatte, und legte ihm einen Verband aus weißem Linnen an, der so gar nicht zu seinem sonstigen Kleide passen wollte, welches im Innern immer noch durchnässt und kalt war. Graf Meik ließ den Lucius neue Kleider und passendes Schuhzeug bringen (welches vom Besten war, soweit ich es sehen konnte) und hieß ihn, den Franco darin einzukleiden und seine anderen Sachen zu trocknen.

      Von nun an war mein lieber und überaus gelehriger Schüler Franco der Mittelpunkt aller Gespräche bei Tische und er kam kaum mehr dazu, zu essen und zu trinken, weil er fortwährend Fragen nach der Herkunft des Mantels und seiner Verletzungen beantworten musste. Auf diese Weise erfuhr ich von den unglaublichen Ereignissen der Nacht und des frühen Morgens, die mir bei allem glücklichen Ende und bei allem Stolz, der mich erfüllte, dennoch einen sorgenvollen Schauder über den Rücken laufen ließen.

      Doch der Reihe nach: Bei Tische berichtete Franco den interessierten Gästen, dass er nach Sonnenaufgang zum Fluss hinuntergelaufen war, um sich an der klaren Luft und am Gesange der Vögel zu erfreuen und zu beten. Und wie er seine Schritte am Ufer entlang flussabwärts lenkte und den schnappenden Fischen zusah, bemerkte er ein schwarzes Bündel in der Mitte des Stromes, welches sich wohl an einem hängengebliebenen