Michael C. Horus

Das Buch der Vergeltung


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hinaufgeschoben zu werden.

      Schon begannen die Männer des ersten Wagens damit, die Tiere mit ihren langen Peitschen und mit derben Worten kräftig anzutreiben. Die Pferde wussten wohl, welche Anstrengung ihnen auf dem letzten Wegstück bevorstand, und scheuten vor der Aufgabe zurück, sodass die Männer sie mit noch größerer Wut peitschten und anschrien. Langsam setzte sich das erste Gefährt in Bewegung und rappelte hinauf, gefolgt von dem zweiten und dritten und so weiter bis zum letzten Wagen. Sie alle versammelten sich im Burghofe, wurden miteinander verkeilt und hernach ausgeladen. Was ich hier an Vorräten, Wein, Bier, teuren Gewändern und sonstigen Dingen sah, ließ mein Herz sogleich in schönster Vorfreude schneller schlagen.

      Alsbald erfuhr ich auch, welch hohen Gast das göttliche Schicksal in diesen Tagen auf die Feste Vossberg geführt hatte. Es war der junge König Otto, der in Begleitung seines Onkels Brun, dem hocheiligen und ehrwürdigsten Erzbischof von Colonia, und Wilhelm, dem ältesten Sohne des Kaisers und als Erzbischof von Mogontia ein nicht minder ehrwürdiger und heiliger Mann, reiste. Die hohen Herren, vor denen ich den allergrößten Respekt bekundete, wurden von einer Reihe weiterer Würdenträger begleitet, die ihren Beraterstab bildeten; außerdem reisten zwei von der edlen Kaiserin Adelheid höchst selbst erwählte Kindermädchen und ein ganzer Tross Königlicher Bediensteter und Soldaten mit, zusammen wohl an die drei Dutzend Personen.

      Der junge König, er mochte wohl elf oder zwölf Jahre gewesen sein, stieg aus seinem hochherrschaftlichen Wagen, gefolgt von zwei dunkelhaarigen Mädchen, die wir vor gar nicht langer Zeit schon einmal gesehen hatten. Francos Züge erhellten sich augenblicklich, als er sie erblickte, aber schon der Umstand, dass ich dieses an ihm bemerkte, schien ihm aus einem geheimen Grunde Unbehagen zu bereiten.

      Die Mädchen, sie mochten etwas älter als Otto, aber jünger als Franco gewesen sein, waren die Töchter des Berengar und der Willa, ebenjene, die Kaiser Otto bei seiner Abreise aus Pavia im Gefolge geführt hatte. Nun waren sie auf freiem Fuße und offensichtlich guter Dinge. Noch bemerkten sie den auf sie hinabstarrenden Jungen im Turmfenster nicht, indes sie neugierig und mit unverhohlener Freude ihre vorübergehende Wohnstatt in Besitz nahmen. Franco drängte es ganz plötzlich fort von mir, und obwohl ich ihn, seiner noch immer nicht guten Gesundheit wegen, davon abzuhalten versuchte, warf er die Decke von seinen Schultern und stürmte die gewundene Treppe hinunter in den Burghof.

      Es dauerte nicht allzu lange, dann hatte er sich mit dem jungen König Otto, dem jüngsten Grafensohn Danilus, ebenso wie mit den beiden Mädchen (sie hießen Oda und Rosvith) befreundet und tollte mit ihnen herum, dass es mir und den anderen eine Freude war.

      Die ersten Tage nach der Ankunft der Königlichen Abordnung waren die schönsten, die ich seit dem kaiserlichen Besuch in meinem Hause in Cremona erlebte, und die erfreulichsten in der Fremde überhaupt. Gar trefflich und mit viel Verstand disputierte ich mit Brun, dem Bruder des Kaisers, der ein sehr gebildeter Mann war und der, wäre nicht Otto der Kaiser, allein genug Würde und Charakter offenbarte, um ein so hohes und heiliges Amt in bestem Sinne auszukleiden. Mit großer Beglückung und außerordentlichem Behagen erinnere ich mich zurück an Tage und Abende in hervorragender, erlauchter Gesellschaft bei Wein und Gesang, bei Tanz und Gesprächen und allerlei Kurzweil, die Graf Meik und seine liebe Gemahlin für uns arrangierten. Alle waren einander wohl gesonnen, es gab weder Streitereien noch Intrigen, die uns die Stimmung hätten verderben können. Alles war so, wie ich es mir immer erträumt hatte: eine festliche Gesellschaft von freundlichen, klugen, erhabenen und gut gekleideten Menschen, ein Symposium der schönen Gedanken, der Kunst und der vollendeten Harmonie.

      Franco, der schon durch sein Alter und seine Größe hervorstach, hatte alsbald die Führung in der Gruppe übernommen und bestimmte die anderen vier ohne viel Mühe. Der junge Otto und Danilus, Meiks Sohn, waren einen halben Kopf kleiner als er und zeigten gebührlichen Respekt vor seiner körperlichen Kraft. Oda und Rosvith wichen nicht von seiner Seite, wohl, weil sie sich bei ihm gut und beschützt fühlten. Immer öfter entzogen sie sich, natürlich auf Francos Vorschlag hin, den aufmerksamen und mahnenden Blicken der Kindermädchen, wobei sie nicht wenig Einfallsreichtum zeigten und immer neue Fluchtwege und Verstecke fanden.

      Nach einiger Zeit bemerkten die Kinderfrauen, zu denen sich inzwischen noch zwei Kammerdienerinnen der Frau Gräfin gesellt hatten, dass sich die Mädchen immer öfter fernhielten von den Jungen und ihre Gesellschaft mieden, wenn es ihnen möglich war. Auch dem übrigen Personal und meiner geringen Person war dieses nicht verborgen geblieben, wobei ich mir jedoch einbildete, erkannt zu haben, dass sich deren scheinbare Abneigung nicht in gleichem Maße auf alle drei Jungen bezog, sondern sich vielmehr gegen meinen Schüler Franco allein richtete.

      Ich teilte meine Vermutung mit den Kinderfrauen und fand sie derart bestätigt, dass mir zwei von ihnen und einige der Diener zustimmten. Oda und Rosvith wurden hierzu befragt, aber sie mochten nicht sagen, welches Verhalten sie verstimmt hatte, und auch nicht, ob es wegen Franco oder wegen König Otto oder wegen Danilus war.

      Hildegard, die Älteste unter den Kinderfrauen, schien dennoch zu wissen, was die Mädchen bedrückte. Sie nahm mich im Geheimen beiseite und sagte mir, dass einer der Wachleute ihr erzählt habe, wie er den Franco und die Oda beim Spielen am Flusse beobachtet habe und wie er gesehen habe, dass der Franco erst der Oda und dann der Rosvith in unzüchtiger Weise an die Röcke gegangen sei. Der junge König Otto habe dabei nur zugesehen, aber nichts Eigenes unternommen, woraufhin der gleiche Wachmann die Kinderfrauen gerufen und hinunter an den Fluss geschickt habe, um die Oda und die Rosvith zu beschützen. Da aber der Franco schon längst von ihnen abgelassen hatte und sich mit dem Otto auf der Burg versteckte, konnte man ihm hier nichts nachweisen.

      Nachdem Erzbischof Brun, der gute Meik und ich selbst den Franco in einer ernsten Disputation zur Ordnung gerufen hatten, beruhigten sich die Dinge wieder.

      Unterdessen bereiteten mir die Urkunden des Pilegrinus, die er mir hinterlassen hatte und auf die ich ein eidliches Versprechen gegeben hatte, größere Sorge. Meine Seele war gespalten zwischen dem gegebenen Eid und meinem eigenen Gewissen. Konnte ich diese Urkunden, nachdem ich nun erkannt hatte, dass es sich bei zweien um plumpe Fälschungen handelte, dem Heiligen Kaiser noch mit guter Miene zur Bestätigung vorlegen oder wenigstens so tun, als dass ich nicht wüsste, dass sie nicht echt seien, auch wenn sie sodann nur ein kleiner, aber falscher Teil des kaiserlichen Archivars würden? War ich nicht geradeheraus verpflichtet, mich diesem Unrecht, so klein und unbedeutend es letztendlich auch sein mochte, in den Weg zu stellen und den Heiligen Kaiser vor einer schmutzigen Verschwörung zu beschützen?

      Im Burghof bellte ein Hund, jedoch klang sein Bellen unnatürlich und seltsam vergrämt, so dass ich mich genötigt fühlte, von meinen Überlegungen abzugehen, um am Fenster nachzusehen. Nur ein undeutlich grummelndes Gefühl im Bauch sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Was ich jedoch dort unten erblickte, war peinlicher als alle falschen Urkunden zusammen, törichter als Francos jugendliche Neckereien und weitaus verhängnisvoller, als ich mir zu diesem Zeitpunkt auszumalen vermochte. Es ist nicht übertrieben zu sagen (und der geschätzte Leser weiß, dass ich nicht eben zur Übertreibung neige), dass dieses Ereignis mein eigenes und meines Schülers geringes Leben fortan auf das Nachhaltigste beeinflusste und gröbste Folgen an uns bewirkte.

      Ein böser Dämon mag den Franco damals geritten haben und es erscheint mir bis heute nicht einleuchtend, wie jener Teufel sich seiner reinen und tugendhaften Seele trotz meiner Fürsorge und andauernden Obhut bemächtigen konnte.

      Nun, was nutzt es, drum herumzureden – es geschah, wie es geschah: Der Franco zog an einer kurzen Leine hinter sich her nicht etwa einen Hund, sondern den jungen König Otto, der wie einer bellte und dazu noch heulte, während er den Kopf einem Wolfe gleich in die Luft warf. Danilus tanzte wie ein Irrwisch um das Paar herum und feuerte den jungen Otto zu noch lauterem Gebell und Geheul an. Franco indes trug eine Haube auf dem Kopfe, die einer päpstlichen Tiara nicht unähnlich war, und stolzierte vornehmen Schrittes vorweg, immer dann an dem Strick reißend, wenn der junge König in seiner Lautstärke nachzulassen drohte. So zogen sie eine ganze Runde über den Burghof, vorbei an den feixenden Wachen, vorbei an den Bauern, die bis eben noch schweigend ihren Zehnten ablieferten, sich nun aber die Bäuche hielten vor Lachen, vorbei an den schamlos grinsenden Waschweibern und vor den Augen all der hohen und