Christian Geiss

Schattenwende


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herausgetreten. Aber es war nichts zu sehen und auch nichts zu hören.

      Die Fahrstuhltür blieb offen. Dort handelte jemand auf alle Fälle überlegt und nicht überhastet. Der Spiegel zeigte den Innenraum, dort war nichts zu sehen. Aber wieso blieb dann die Tür offen?

      War es möglich, dass jemand in so kurzer Zeit etwas an der Elektronik manipuliert hatte? Ausschließen konnte er das nicht.

      Kalebs Blick blieb fest auf dem Spiegel, da es fast unmöglich war, dass sich nichts tun würde. Aber die Sekunden verstrichen weiter und nichts passierte.

      Kaleb wagte es kaum, sich zu bewegen, das war alles sehr mysteriös. Aber er musste: Sein Blick wanderte vom Spiegel zum Fahrstuhl und von dort aus weiter zur Tür, die zum Treppenhaus führte.

      Eins war klar, hier war jemand unterwegs, der seine Sache wirklich verstand. Die Tür zum Treppenhaus war nur noch angelehnt und Kaleb hätte wetten können, dass sie, als er vorhin dort hingeschaut hatte, geschlossen gewesen war.

      Aber er war auch noch nicht entdeckt worden.

      Im Spiegel war immer noch nichts zu sehen. Er hielt in seiner rechten Hand ruhig die Waffe, die er in der Zwischenzeit aus seinem Schulterhalfter gezogen hatte.

      Kaleb sah im Spiegel, dass die Tür des Aufzugs sich schloss und nach unten fuhr.

      Die Sekunden verstrichen. Der Fahrstuhl war vermutlich bereits im ersten Stock angekommen. Aber es waren immer noch keine Stimmen zu hören. Von der Straße kam das Hupen eines Autos.

      Dann war es wieder still. Wo war –.

      Ja wo war wer?

      Wer war hier hochgekommen und wo war er?

      Kaleb hätte jetzt einen zweiten Spiegel gebraucht, um zu besser sehen zu können, was hinter ihm passierte. Ab und zu drehte er den Kopf über die linke Schulter in Richtung der Feuerleiter, aber auch dort war nichts. Nun surrte ein Motor und ein B-Corsa fuhr die Auffahrt zum Parkdeck hoch. Der Fahrer sah aus, als ob er entweder bei einer Bank oder einer Versicherung arbeitete und vermutlich war sein Leben genauso spannend wie sein Auto.

      Die ruhige Zeit auf dem Parkdeck schien zu Ende zu gehen. Denn auch der Fahrstuhl hatte sein Ziel erreicht und der Mann, der ausstieg, ging zu seinem Auto, das direkt neben dem Coupé stand. Kaleb wandte seinen Kopf wieder nach hinten. Alles ruhig. Ein Blick zum Auto. Alles ruhig.

      Der Corsafahrer hatte einen Parkplatz gefunden. Eigentlich hätte er sein Auto gar nicht abschließen müssen, denn wer Corsas klaut, dem muss es wirklich schlecht gehen.

      Der Mann aus dem Corsa ging auf die Tür zum Treppenhaus zu. In der einen Hand hatte er ein dunkles Sakko und in der anderen eine Aktentasche. Von dem Jeep waren inzwischen nur noch die Hinterreifen zu sehen. Dafür war nun die Betonsäule ganz in seinem Blickfeld, die bisher zum größten Teil von dem Jeep verdeckt worden war und das war gut.

      Es herrschte wieder Stille.

      Manchmal muss man auch Glück haben. Kaleb konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn der Jeep nicht weggefahren wäre und der Corsa nicht so günstig geparkt hätte, dann hätte er noch lange warten und suchen können. Denn wen auch immer er suchte, er hockte ziemlich sicher hinter der Betonsäule neben seinem Mustang, um dort auf ihn zu warten.

      Kaleb lächelte und entsicherte seine Waffe.

      Kapitel 13

       - Deutschland einige Tage zuvor -

      Jörn setzte sich auf den Beifahrersitz des Audis. Das Auto war höchstens ein Jahr alt. In der kalten Jahreszeit würde die Sitzheizung dieses modernen Autos bestimmt gut tun und seine durchgefrorenen Glieder würden gleich wieder auftauen.

      Nathan Sieben, der eben in sein Leben getreten war, ließ den Motor an und legte den Schalthebel auf D.

      „Naja, ein Automatikgetriebe“, dachte Jörn, aber er behielt seine Gedanken für sich.

      Jörn wollte das Gespräch ohnehin nicht beginnen. Der Mann vom BND hatte ihn aufgesucht und so wollte er bestimmt etwas von ihm.

      Der Wagen schwebte mehr über die Straße, als dass er fuhr, und auch wenn er ein Automatikgetriebe hatte, machte er einen recht sportlichen Eindruck und lag ruhig und sicher auf dem Asphalt.

      „Sie fragen sich bestimmt, was hier vor sich geht?“

      „Nein, wie kommen Sie darauf? Eigentlich ist das ja alles ganz normal und ich fahre jeden Abend mit jemandem vom BND durch die Gegend!“

      „Dann wird es Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, dass sich für Sie ab heute einiges ändern wird.“

      „Was meinen Sie mit ändern? Ändern im Sinn von besser werden oder ein Ändern wie bei einem Chamäleon, dass mich ab morgen keiner mehr erkennt?“

      „Eher die zweite Möglichkeit.“

      „Darin bin ich aber nicht so gut.“

      „Keine Angst, dafür werden wir schon sorgen. Wir brauchen Sie.“

      „Was heißt ‚wir brauchen Sie‘?“

      „Wir brauchen Sie, das ist alles, was ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann.“

      „Dann sagen Sie mir wenigstens, wo wir hinfahren.“

      Aus dem Fenster sah Jörn die Lichter von Lichtach. Am Ortsrand konnte man die Bäckerei erkennen und im Gewerbegebiet zeigten die hell erleuchteten Hallen an, dass die Arbeit dort noch lange nicht zu Ende war.

      „Wir fahren ins Ungewisse. Zumindest was so manche Dinge angeht und im Moment fahren wir erst mal zum nächsten Drive-in, denn ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht – ich jedenfalls habe einen Mordskohldampf.“

      „Aber Sie zahlen – denn wie ich die Bundesbehörden kenne, können Sie das doch sowieso alles als Spesen absetzen.“

      Lichtach verschwand im Hintergrund. Jörn versuchte noch einmal, seine Gedanken zu sortieren und überlegte, was hier vor sich ging. Aber wann würde er weitere Informationen erhalten?

      „Darf ich rauchen?“ Jörn drehte den Kopf leicht nach links.

      „Ja, machen Sie aber das Fenster auf!“

      Die elektrischen Fensterheber ließen die Scheibe fast geräuschlos in der Tür verschwinden.

      Bis zum Drive-in herrschte Schweigen im Auto. Im Fast-Food-Restaurant war nicht viel Betrieb. Die zwei Frauen, die hinter der Theke die Bestellungen entgegen nahmen, sahen aus wie Studentinnen. Die eine hatte einen Ohrring, der aussah als stamme er aus einem Esoterikshop – vermutlich studierte sie Pädagogik. Die andere war dezent geschminkt und ihre Haare waren streng nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. So wie sie aussah, studierte sie bestimmt Jura. In dem Fast-Food-Laden liefen mehrere Fernseher und eine der Leuchtreklamen flackerte.

      Die Bestellungen landeten auf den Tabletts. Die Pädagogikstudentin machte den Eindruck, als ob ihr der Job wenigstens ein wenig Spaß machte. Die angehende Staatsanwältin dachte sich vermutlich, dass sie etwas Besseres verdiente, als Burger zu wenden, an einer Kasse zu stehen und Kleingeld zu zählen – aber wer hat nicht etwas Besseres verdient?

      Der Tisch ganz hinten in der Ecke war genau der Richtige, um alles im Blick zu haben und sich trotzdem ungestört unterhalten zu können.

      Nathan Sieben schaute Jörn direkt in die Augen, ohne zu zwinkern oder zu lächeln, er schaute ihn einfach nur an.

      „Können Sie sich noch an den fünften September neunundachtzig erinnern?“

      Jörn hielt Nathans Blick Stand.

      „Können Sie sich noch an den siebzehnten März zweiundneunzig erinnern?“

      Nathan reagierte nicht. Er zwinkerte nicht mit den Augen oder schaute zur Seite. Er schaute Jörn weiter intensiv an.

      Die beiden Studentinnen an der Theke