Bernd Oei

Joseph Roth - Letzter Donauwalzer


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Gefühl, Sittlichkeit haben. Aber nach dergleichen fragt in der ganzen Welt niemand. Sie wollen nur Kuriositäten in der Welt; sie wollen Ungeheuer. Ungeheuer wollen sie!“19

      Vor dem österreichischen Ungeheuer, das Deutschland und Österreich in den Zweiten Weltkrieg führt und Menschen, das sich wie Marionetten instrumentalisieren lässt, kapituliert Roth.

      Der letzte Donauwalzer. Der Radetzkymarsch fällt mit der Machtergreifung und Bücherverbrennung fast zusammen. Jener Satz, den er Trotta im Radetzkymarsch in den Mund legt: „Ich glaube nicht, daß ich irgendwo glücklich sein kann“ kennzeichnet die Weltuntergangsstimmung, die leitmotivisch Roths Werk durchzieht. Angesichts des vorherrschenden Optimismus und der Aufbruchsstimmung wirken seine Titel Die Flucht ohne Ende oder Das falsche Gewicht aussagekräftig wie eine Abbreviatur seiner Artikel. „Roths Helden haben all etwas gemeinsam: die Erfahrung einer gewandelten Welt; sie leben in der Spannung zur Bewahrung ihrer Identität. Entweder haben sie ihre unschuldige Identität verloren oder sie haben sie als schon immer bedrohte bewahrt.“20

      Ein Traditionalist ist der galizische Sohn einer chassidischen Kaufmannsfamilie zweifellos. Die Symbolik des Geigenklangs, Inbegriff tragisch-komischer jiddischer Musik, taucht immer wieder in seiner Prosa auf. Hoch die Geige lautet Metapher und Gruß für das Glück, Nieder die Geige für Pech und Unglück. Und so hängen die Geigen tief mit den Jahren, immer tiefer.

      Trotz seiner konservativen Ansichten ist der Schriftsteller, besonders als Journalist, auch immer Revolutionär und Reaktionär zugleich. Vor allem die Art seines Schreibens bleibt mit ihrem leicht märchenhaften Unterton der Moderne fern, die er doch auf seine Weise prägt, u. a. durch den investigativen Journalismus und die Neue Sachlichkeit, in dem er in einem seiner Artikel, nicht frei von Sarkasmus, lediglich Preise für die diversen Artikel nennt.

      Zwischen Belletristik, Feuilleton und Glosse bewegen sich seine Werke, so dass Roman und Chronik ineinander fließen. „Ein ganzes Leben lang schleppte Roth die Psyche und das Leid seiner Kindheit mit sich herum.“

      Das Unglück beginnt früh: Der Vater, offenbar schizophren, kehrt von einer Geschäftsreise nicht zurück. Für die Mutter heißt das, sie darf nie wieder heiraten, denn Verschollene sind nicht tot. Die Familie verarmt rasch. Sein Geburtshaus in Brody liegt nahe der Eisenbahnstrecke, die Symbolik für einen Nomaden, der lebenslang auf Reisen ist und aus Koffern lebt. Ein Weltbürger, der stolz von sich behauptet: „Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich in keiner Privatwohnung mehr gelebt … alles, was ich besitze, sind drei Koffer“. Allerdings lebt er zwischenzeitlich auf der Erfolgsspur und in mondänen Hotels und kann sich eine Übernachtung leisten, die den Monatslohn eines Tagelöhners verschlingt. Er ist ein Genussmensch und keinesfalls Minimalist. In jungen Jahren sind ihm Dandy-Allüren nicht abzusprechen. Den Vater und auch Teile seiner Herkunft wird er mystifizieren, somit ist ihm auch das Märchen beinahe in die Wiege gelegt, denn er hat ihn nie kennengelernt. Er ist arm, aber nicht so arm, wie er es glauben machen möchte, immerhin besucht er das Gymnasium und nimmt privaten Violinen-Unterricht. Vielleicht ersetzt er den Vater durch die Hingabe an das Vaterland, das er gleichfalls verliert. Und die Mutter mit seiner Frau, die früh an Schizophrenie erkrankt und damit auch verloren ist.

      Roths Romane sind geprägt von der kräftigen farbintensiven Schilderung einer als urwüchsig und vital erlebter Landschaft. Da Natur vom steten Wandel lebt, muss er, der das genaue Beobachten liebt, in ihr ein Gleichnis auf die Gesellschaft erkennen. Von der Mutter Munik statt Moses genannt, will er die Welt verändern. Er stammt aus einer galizischen Provinz, in der Juden am Rande der Donaumonarchie gettoisiert werden, wächst mit sechs Sprachen (deutsch, jiddisch, polnisch, ukrainisch, russisch, tschechisch) auf, die er in seinem Fragment gebliebenen Roman „Erdbeeren“ lebhaft schildert. Für die Matura lernt er französisch hinzu, eine Sprache, die es ihm nicht nur erlaubt, Flaubert im Original zu lesen, sondern auch im Pariser Exil zurechtzukommen.

      In jungen Jahren will er das orthodoxe Judentum vergessen, bekennt sich zum Deutschnationalismus und bald darauf zum Liberalismus. Eine wirkliche Prägung aber erfährt er in seinem sozialen Engagement während und nach den Kriegsjahren, als er Zeuge des Zusammenbruches wird, die vielen traumatisierten Kriegsheimkehrer, die Verlierer und den Bodensatz der Gesellschaft kennenlernt. Die politischen Strömungen wechseln, Ideen kommen und gehen. Er erhofft sich Freiheit von der russischen Revolution, die ausbleibt und sogar in ihr Gegenteil pervertiert, Tyrannei und Massenmord zeitigt.

      Seine soziale Gesinnung bleibt eine Kontinuität trotz der Annäherung an die Monarchie. Widersprüchlichkeit ist ein Merkmal des Grenzgängers und manchmal ein Zeichen von Intelligenz, die jeder Einseitigkeit oder Eindeutigkeit misstraut. In dem kleinen Österreich, das bald Anschluss an Deutschland sucht, fühlt er sich eingezwängt: „Die Strahlen der habsburgischen Sonne reichten nach dem Osten bis zur Grenze des russischen Zaren.“21

      Galizien, die waldreiche Bukowina, das sumpfige Ruthenien, am Fuße der Karpaten, mit der alten Universitätsstadt Lemberg, das ist der Beginn. Roth studiert mit polnisch als Unterrichtssprache.22„Mit wissenschaftlicher Sorgfalt die Grazie des Schriftstellers nähren“ formuliert der geistige Grenzgänger seinen Anspruch.

      In Wien, das er Herbst 1914 erreicht, beginnt er früh mit journalistischen Arbeiten. Da nach dem Krieg die meisten seiner Erzählungen in den Zeitungen vorab gedruckt werden, besteht zwischen den beiden Medien Zeitung und Buch ein intrinsischer Zusammenhang. „Leerlaufende Sehnsüchte und mechanistische Beziehungen“ (Hackert) prägen seine Geschichten. Roths glücklichste Zeit dürften seine Reisen durch Südfrankreich 1925 („Die weißen Städte“) gewesen sein, die er teilweise mit Tucholsky und immer an der Seite seines „Wiener Madls“ „Friedl“23 unternimmt: auf den Fotos sieht man ihn meist lachen.

      Spätestens seit seinen Reportagen durch Osteuropa hält er den Kommunismus (korrekter Stalinismus) für keine Alternative zum Aufbau einer menschlicheren Gesellschaft, die sein Ziel ist. Viele Anhänger des historisch dialektischen Materialismus, stellvertretend sei hier nur Walter Benjamin erwähnt, der 1927 Moskau und das Gesicht des Terrors kennenlernt, kehren desillusioniert aus Russland zurück. Aber noch ist das Experiment der Weimarer Republik nicht gescheitert, noch hofft Roth und seine Generation, allen semitischen Anfeindungen (Dolchstoßlegende) zum Trotz. Politische Instabilität ist der Normalzustand. „Rat- und Standortlosigkeit“ erscheinen daher als logische Konsequenz jener geografisch-politisch bedingten Utopie. Fiktionen des Faktischen.24

      „Seinen Gott hat er nie vergessen.“25 Roth ist kein Atheist, wenngleich er Gottesdienste meidet. Bis zu seiner letzten Erzählung, Die Legendes vom Heiligen Trinker hält er sich eine Hintertür offen. Er hält es mit Voltaire: wenn es Gott nicht gibt, müsste man ihn erfinden. Denn Roth mag das Chaos nicht, in das er blickt und noch weniger den Teufel, der es entfacht und in dem er jenen Despoten antizipiert, der den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zwingt. Mehr Gegensatz als das deutsche, so genannte Tausendjährige und das Habsburger Reich kann es nicht geben. Die Frage bleibt, an welchen Gott Roth glauben kann. Während Hackert ihn schlussendlich im Katholizismus verortet, tendiert Sternburg zum Hebräischen Gott der Tora.

      In jedem Fall recherchiert Roth genau; vergleichbar mit Kafka begibt er sich spät auf Spuren- und Identitätssuche seiner chassidischen Wurzeln. „Es gibt kein schwereres Los als das eines fremden Ostjuden in Wien“. Leitmotiv seiner Konvertierung ist die Politik und damit der Laizismus. Wissen wollen, weshalb man ausgestoßen ist oder wofür man auf Erden zu büßen hat. Auf der anderen Seite, wiederum Grenzgänger, bleibt Roth ein Verfechter der Monarchie österreichischer Prägung, die zumindest einen Außenstehenden kaum mit dem Judentum vereinbar erscheint. „Seine katholischen Bekenntnisse bleiben - wie so vieles in diesem Leben - augenzwinkerndes Koketterien. Seinen Gott aber hat er nie vergessen, und dass die Menschen nicht mehr gläubig sind, ist für ihn das bedrohlichste Zeichen an der Wand der Moderne.“

      Die Generation zwischen den Jahrhunderten spürt, dass ein neues Zeitalter angebrochen ist, geprägt durch neue Ideen und eine Säkularisierung, die den Tod Gottes in sich trägt. Technik