Monica Armstrong

Stille Tage in Paris


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mir meinen Presseausweis ab und tut so, als wäre ich die Tussi, die gestern Abend die Tageslosung der UGC Gobelins geklaut hat und die jetzt reumütig zurückkommt, um Sühne zu tun.

      Sie bittet mich, einen Moment zu warten. Es vergehen nur ein paar Minuten, und die PR-Tussi kommt mit ihrem Boss zurück, der mich von oben bis unten mustert, als wäre ich Fleckvieh.

      „Ich habe mit Louis telefoniert, und es geht okay, Sie können den Film sehen. Louis sagt, dass Sie Amerikanerin sind, ich würde mich freuen, Sie am Nachmittag bei der Pressekonferenz von Disney zu sehen“, sagt der PR-Mann und schickt mich in den Saal.

      Na gut, ich nehme im vorderen Drittel des Megasaals Platz, wo ich ungestört bin, alle anderen Presseleute sitzen weit hinten. Popcorn und Softdrinks habe ich abgelehnt, was für eine Journalistin der Cahiers du Cinéma standesgemäß ist.

      Normalerweise sollte ich den Film in Grund und Boden verreißen, nicht einmal wenn mir einer 10 Euro gibt, würde ich mir so einen Schund ansehen, aber ich halte mich an meinem ersten Tag noch zurück. Der zweite Film aus Argentinien, La odisea de los giles, gefällt mir schon etwas besser, er kann ohne Weiteres mit 4 Sternen rechnen, wenn nicht mit 5. Und dann kommt die Schnulze aus good old Hollywood, der einen verlogenen good old American Dream zum tausendsten Mal wiederkäut.

      Okay, der Film ist gar nicht so schlecht, er ist irgendwie zum Heulen, er ist für die ganz kleinen Girlies, die mit ihren Mommies am Wochenende im Kino sind. Ob die Kiddies in Paris und ihre Mommies auch solche Filme lieben? Oder gibt es genug französische Kinderfilme, um von der US-Ware einfach abzulenken?

      Frage: Welcher Film wird hier für die Jungs in der Junior High angeboten? Ist das der Marvel-Film, dessen Bilder so mächtig sind, dass jede jugendliche Fantasie plattgewalzt wird, oder ist eine romantische Komödie wie Last Christmas eine Alternative für die französischen Jungs?

      Ich werde mich erkundigen müssen.

      Und was ist, wenn ich für die Jungs einen von den ganz großen Filmen empfehle? Einen von Jean-Pierre Melville oder einen von Claude Berri? Der alte Mann und das Kind – wäre das nicht der ideale Vorweihnachtsfilm?

      Der Verrückte wäre sicher auf meiner Seite, doch der Verrückte ist ein paar Tausend Kilometer weit von mir entfernt und im beschaulichen Kärnten, das ich des großen Filmgeschäfts wegen verlassen musste.

      Last Christmas endet. Wir verlassen den Kinosaal und gehen in die Bar des Megaplex-Kinos.

      Obacht: Ich bin bisher nicht eingeschlafen!

      Die Filmstars sind da. Der PR-Boss begrüßt die Pressevertreter. Niemand stellt eine Frage, außer ich, und das noch im besten West-Coast-Sound.

      Ein Raunen geht durch den Saal – wer ist die US-Göre, die keiner kennt und die es wagt, hier das Maul aufzureißen?

      Aber die amerikanischen Darsteller freuen sich. Peinlichkeit, verlass mich nicht. West-Film hat den Film produktionstechnisch betreut, zum Glück weiß hier niemand, dass ich Duane kurzfristig vertrete.

      Nach Ende der Pressekonferenz zerstreut sich die Meute der Journalisten in die umliegenden Bistros, um ihre Artikel zu den anlaufenden Filmen online zu stellen; ich nütze noch die Gelegenheit und unterhalte mich mit den US-Leuten, die total nett zu mir sind. Der PR-Boss ist sehr angetan von meiner Erscheinung und gibt mir seine Visitenkarte; ich habe natürlich keine bei mir, sage aber unvorsichtigerweise, dass ich in der Rue Jenner Nr. 13 wohne, einem offensichtlich legendären Ort für Filmleute in Paris.

      Schließlich gehen auch die Amis, und ich eile in die Ateliers. Ich klopfe die Kritiken ins Notebook und stelle sie online.

      Es vergeht keine Stunde, und die Redaktion von den Cahiers du Cinéma ruft mich an, dieses Mal ist es eine Frau.

      „Salut, Babe, deine Kurzkritiken sind überdurchschnittlich gut, und von den großen Verleihfirmen wird uns dieses Mal auch keiner den Kopf runterreißen. Dein Interview bringen wir ungekürzt und in der Printausgabe. Willkommen bei den Cahiers du Cinéma, Zuckerpuppe“, sagt die Madame und legt auf.

      Ich schnappe nach Luft. Ist denn hier jeder sexistisch drauf? Maskulin wie feminin scheinen hier keine Rolle zu spielen.

      Ich überlege kurz und schalte richtig: Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca-Cola, nach nicht einmal drei Tagen in Paris bin ich bei Jean-Luc Godard gelandet.

      Ich telefoniere mit dem Verrückten im fernen Kärnten, und er gratuliert mir zu meinen Artikeln, die er natürlich bereits kennt.

      Ich frage ihn nach der Identität des Chefredakteurs der Cahiers du Cinéma, von dem ich bisher nur seinen Vornamen kenne.

      Der Verrückte erzählt, dass Louis sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur gearbeitet hat, aber er und seine Generation keine Chance gegen Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, Agnès Varda und die anderen aus der Anfangszeit der Nouvelle Vague hatten.

      Diese Generation von Louis und Jean und den anderen würde sich weiter als Filmkritiker und Buchautoren durchschlagen; sie würden sich in den Cafés und Bistros endlose Debatten über das neue Kino in Frankreich liefern.

      Ich sollte mich von dieser Generation fernhalten und mich meiner Generation, den heute Mitzwanzigjährigen, anschließen. Diese Generation sollte ein neues französisches Kino gründen.

      Die Generation von Louis, Jean und den anderen hätte es einfach nicht geschafft. Sie hätten keine Chance gehabt, obwohl ihre Filme gut gewesen wären, aber sie haben ein Kino im Schatten gemacht.

      4. Die Amerikaner kommen

      Louis begrüßt mich in der Redaktion mit den in Frankreich üblichen Küsschen, der Klaps auf den Po bleibt mir erspart. Ich behalte mein Hintergrundwissen über seine missglückte Karriere als Künstler für mich und bleibe charmant, soweit es für ein lautes US-It-Girl von der West Coast möglich ist. Louis ist ungekünstelt charmant, sein Charme ist gekonnt und natürlich.

      Louis lobt meine Artikel und gibt mir weitere Aufträge, aber ich muss ablehnen, die Amerikaner werden für Mittwochmittag erwartet.

      „Was für Amerikaner?“, fragt er.

      „Ich bin Executive Producer von West-Film in Paris und vertrete Duane“, antworte ich.

      Louis sagt nichts, er sieht mich nur an. „Gut, ich hätte es mir denken können, aber du machst einen guten Job, es wäre schade, dich als Journalistin für die Cahiers zu verlieren. Melde dich, wenn du wieder Zeit hast“, sagt er.

      Ich verspreche es.

      Er gibt mir einige Ausgaben der Cahiers mit auf den Weg. „Zeig das den Amis. Die Amis stehen auf die Cahiers, so wie wir auf Variety oder den Hollywood Reporter.“

      Ich bedanke mich.

      „Wann hast du wieder Zeit?“, fragt er.

      „Keine Ahnung. Die Amis drehen eine Woche in Paris“, antworte ich.

       „Sie drehen wahrscheinlich die üblichen Szenen, die einfach in einem Film über Paris drinnen sein müssen. Den Montmartre. Den Eiffelturm. Die Champs-Élysées. Am Seine-Ufer“, sagt er.

      „Oui. Ich habe eine Aufnahmeliste bekommen. Duane hat noch die Drehgenehmigungen eingeholt. Es wird ein simpler Job für mich werden. Hoffe ich zumindest“, antworte ich.

      „Dreht ihr auch in den Ateliers?“, fragt er.

      „Nein, nicht, dass ich wüsste. Nur Außenaufnahmen und ein paar Nachtszenen im Quartier Latin, dort, wo Sartre war“, antworte ich.

      „Dann bist du falsch. Jean-Paul war in Saint-Germain-des-Prés“, sagt er, er nennt mir die Adresse von Sartres ehemaligem Wohnsitz und ein paar Stammlokale und Bars, in denen er oft mit Simone de Beauvoir und seinem ewigen Nebenbuhler Claude Lanzmann verkehrt hat.

      Ich bedanke mich.

      „Die Amis sind oberflächlich.