Alfred Broi

Genesis VI


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nah am Boden und nutzte jeden dürren Strauch und jeden verkümmerten Busch, um sich anzuschleichen. Die großen, dunkelbraunen Augen stets auf ihr Opfer gerichtet, näherte sie sich Meter um Meter, ohne dass der Bock sein Verhalten änderte. Im Gegenteil begann er jetzt sogar einige trockene Blätter von der Pflanze vor ihm zu zupfen und zu kauen.

      Dann war es soweit: Die Wölfin hatte einen Baumstumpf erreicht, der keine vier Meter mehr von dem Bock entfernt war. Sorgsam, langsam und lautlos umrundete sie den etwa einen Meter dicken Stammrest, dann verharrte sie nochmals, sondierte die Umgebung und lauschte ein letztes Mal. Doch noch immer blieb der Bock ausgesprochen ruhig und so spannte sie die wenige Muskelmasse an, die sie noch besaß und schnellte im nächsten Moment los, wie ein Pfeil, der von der Sehne schoss.

      Bevor der Bock erkannte, was los war, hatte sie zwei Meter überwunden. Dann quiekte er auf, machte blitzschnell kehrt und rannte los. Aufgrund seines geringen Eigengewichts und der vorteilhaften Übersetzung der kurzen Beine gewann er beachtlich an Geschwindigkeit, doch hatte die Wölfin ihn dennoch schnell erreicht. Mit einem gewaltigen Sprung stürzte sie sich auf seinen Rücken, grub ihre ausgefahrenen Krallen in sein Fleisch. Der Bock quiekte auf, sein Körper zuckte seitlich weg, er verlor die Kontrolle und überschlug sich. Dabei brach sein rechtes Vorderbein. Die Wölfin hörte das scharfe Knacken des Knochens und wusste, dass sie gesiegt hatte. Sofort stoppte sie ab und verschnaufte, während sie ihr Opfer nicht aus den Augen ließ. Wieder meldete sich ihr Magen und ein Schwindel überkam sie, der für einen Moment ihre Sicht beeinträchtigte.

      Der Bock hingegen versuchte panisch, sich wiederaufzurichten und weiter zu rennen, doch knickte sein Vorderbein ein und er stürzte vornüber. Sofort erhob er sich erneut und versuchte es nochmals, aber auch das misslang. Danach schien er zu wissen, dass er sterben würde. Er drückte sich zitternd auf seine gesunden Beine, starrte mit großen, angsterfüllten Augen auf die Wölfin und quiekte in der Gewissheit des eigenen Todes auf, wobei seine Henkerin überrascht war, wie laut und in welch tiefer Tonlage er das tat.

      Doch als sie erkennen musste, dass die Schreie gar nicht von ihm kamen, sondern hinter ihr selbst ertönten, war es beinahe schon zu spät.

      Im selben Augenblick spürte sie die Erschütterung des Bodens. Sie warf ihren Kopf herum und schon schoben sich die Schatten ihrer Angreifer über sie. Es waren drei Insektenmonster, die mit hoher Geschwindigkeit auf sie zuhielten und bereits einen Wimpernschlag später in Schlagweite waren. Kraftvoll donnerten ihre Hinterbeine in den staubigen Boden, während sie ihre vorderen Klauen zum Angriff in die Höhe rissen und dabei fauchend aufbrüllten.

      Plötzlich aber geschah etwas vollkommen Unerwartetes, obwohl die Wölfin erkennen musste, dass sie es bereits irgendwie gespürt hatte, denn von Anfang an waren da nicht nur die oberflächlichen Erschütterungen der mächtigen Hinterläufe der Bestien vorhanden, sondern ebenso noch eine andere Vibration, die aus dem Boden selbst zu kommen schien und sich jetzt innerhalb eines Augenblicks erheblich verstärkte.

      Ihre Gegner hatten das jedoch offensichtlich noch nicht bemerkt, denn zumindest eines der Monster attackierte den vollkommen erstarrten Bock und rammte ihm eine seiner Klauen von oben durch den Leib. Doch genau in dem Moment, da sie blutverschmiert auf der Unterseite des Tieres wieder herausbrach und zu Boden krachte, erfüllte ein scharfes Knacken die Umgebung, dass sich rasend schnell vervielfachte und ausbreitete.

      Alle Blicke zuckten zu Boden, wo sich urplötzlich tiefe Risse auftaten und innerhalb weniger Sekunden über die gesamte, gut einen Quadratkilometer große Ebene - einst ein prächtiges Waldstück, jetzt jedoch nicht mehr als ein trostloser Fleck ausgedörrter Erde - ausbreitete. An einigen Stellen entstanden dabei Schollen unterschiedlicher Größe. So auch direkt unter den drei Insektenbestien. Urplötzlich begann diese Scholle zu schwanken, als befände sie sich tatsächlich auf dem Wasser. Die Monstren quiekten überrascht auf, versuchten Halt zu finden, doch nützen ihnen ihre wuchtigen Tritte in den Fels nichts, da sich die Scholle im nächsten Moment mit einem lauten Krachen vollständig von ihrer Umgebung löste und die drei Kreaturen mit umher zuckenden Klauen und lautem Gekreische in die Tiefe rauschten.

      Die Wölfin hatte sich bislang nicht bewegt, war erstarrt angesichts der furchterregenden Bestien vor ihr, denen sie noch niemals zuvor so nah gegenübergestanden hatte. Und jetzt musste sie mit ansehen, wie diese teuflischen Kreaturen durch den Boden brachen und vollkommen hilflos in den sich auftuenden Schlund stürzten. Ihre entsetzten Schreie verursachten bei ihr für einen winzigen Augenblick ein Gefühl von Freude und Genugtuung, dann aber erkannte sie, was sich unter den Bestien, aber auch unter ihr und der gesamten Ebene auftat. Es war ein Fluss glühender Lava, der mit unglaublich hoher Geschwindigkeit nach Osten rauschte. Er war riesig, eigentlich gar kein Fluss mehr, sondern ein ganzer See, der die gesamte Ebene unterspült hatte. Die Wölfin schätzte die Entfernung zur Oberfläche auf einhundert Meter, doch spürte sie anhand der schnell zunehmenden Hitze, dass der Pegel schnell anstieg.

      Schon flammten die Insektenbestien und der Amparii-Bock als gleißende Feuerbälle auf, nachdem sie für einen kurzen Augenblick erkennen konnte, dass der Panzer der Monster wie kochendes Wasser blubberte, bevor sie schließlich zu Staub verbrannten, noch bevor sie die glühende Masse erreicht hatten. Eine irrsinnig heiße Hitzewelle brandete der Wölfin entgegen und sie riss instinktiv ihren Kopf zurück.

      Dabei fiel ihr Blick Richtung Osten. Immer weiter brach dort der Boden auf, immer mehr Schollen stürzten in die Tiefe, hatten schließlich den angrenzenden Berg erreicht, der mit einer Höhe von gut fünfhundert Metern und einer Breite von rund dreihundert Metern, die Ebene nach Osten hin abschottete. Seine steile, fast senkrechte, zur Ebene hin leicht überhängende Felswand ließ ihn mächtiger erscheinen, als er war und verlieh ihm einen düsteren, drohenden Eindruck. Jetzt schossen die Risse in der Oberfläche rechts und links an ihm vorbei, während sich das Lavameer unter ihn schob und dabei weiterhin unaufhaltsam anstieg.

      Dann war die Ebene für einen Moment von einer tiefen Stille erfasst, dass die Wölfin deutlich ihren eigenen, hämmernden Herzschlag hören konnte, während sich in ihrem Gehirn ein einzelner, dunkler Gedanke manifestierte, dass sie hier und jetzt sterben würde, der sie mit einer solch eiskalten Klarheit durchdrang, dass sie augenblicklich fröstelte.

      Im nächsten Moment erklang ein infernalisches Reißen – weit entfernt, aber dennoch unglaublich laut und durchdringend und sofort danach schoss ein gewaltiger Lavastrahl unter irrsinnigem Druck direkt hinter dem Berg senkrecht bis auf fast einen Kilometer Höhe in den Himmel. Mehrere große Gesteinsschollen begleiteten seinen Weg und krachten schließlich donnernd auf die Bergflanken.

      Plötzlich geriet die gesamte Ebene in Bewegung, erzitterte überdeutlich, dass die Wölfin Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben. Mitten hinein erklang ein unendlich tiefes, dröhnendes Ächzen, das aus dem Inneren des Planeten selbst zu kommen schien. Das Bild vor ihren Augen verzerrte sich aufgrund der enormen Erschütterungen rings um sie. Fast schien es ihr, als würde der Berg am Rande der Ebene sich bewegen und in ihre Richtung kippen. Sie wollte dies gerade als Trugbild abtun, da so etwas ja nicht möglich war, als ihr bewusst wurde, dass genau dies in diesem Moment tatsächlich geschah. Der gewaltige Lavastrom unter der Ebene hatte auch das Fundament des Berges umspült und es zerstört. Wie ein riesiger Eisberg trieb er für wenige Momente auf dem glühenden Meer, dann trieb ihn das Gewicht der überhängenden Steilwand in Richtung Ebene, während ihn sein Eigengewicht in die Tiefe zog.

      Die Wölfin wusste, dass dies ihre letzte, allerletzte Chance war, ihrem Tod noch zu entgehen, doch zu unfassbar, zu gewaltig, zu fundamental war der Anblick des kippenden Berges, als das sie sich hätte bewegen können. Millionen und Abermillionen Tonnen Felsgestein sackten in das Lavameer und erfüllten die Luft dabei mit einem infernalischen Ächzen und Stöhnen, wie die Wölfin es noch niemals zuvor gehört hatte. Festes Gestein verdrängte Lavamassen und erzeugte letztlich eine etwa vierzig Meter hohe Flutwelle, die mit mehr als vierhundert Meilen in der Stunde über die Ebene rollte.

      Der Wölfin blieb ein letzter Blick auf das faszinierende, vernichtende Schauspiel und ein finaler, beinahe tröstlicher Gedanke an all die Lieben, die sie verloren und jetzt in einer anderen Welt wiedersehen würde, dann verbrannte sie innerhalb eines halben Lidschlages zu Staub, der von den Lavamassen nach Westen fortgerissen würde.

      Wie die Flutwelle eines riesigen