Alfred Broi

Genesis VI


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einfach nur sein, dass sie körperlich vollkommen erschöpft war. Mavis wusste, dass es noch einige Zeit brauchen würde, um ihr Verhalten und ihre Gesten wirklich zu verstehen – genauso, wie es damals gewesen war… in einem anderen Leben… vor sieben Jahren.

      Jetzt kräuselte sie ihre Stirn und schaute ihn fragend an, doch er schüttelte nur den Kopf. Ganz offensichtlich hatte er sich in Bezug auf die Erschütterung und den Donner geirrt. Bevor er seinen Kopf dann wieder nach vorn wandte, konnte er sehen, dass sie ein erneutes Lächeln versuchte, welches ihr aber noch deutlicher misslang, als das erste und sie hiernach noch trauriger wirkte. Mavis wurde sich bewusst, dass er nicht mehr viel Zeit verlieren durfte, um mit ihr in Ruhe und allein zu reden. Wenn doch nur nicht dieser verdammte Krieg wäre, der sie beständig über den Planeten hetzte. Er versuchte, diese Welt noch zu retten, doch was, fragte er sich, wäre, wenn er dabei versagte und er die wenige Zeit, die ihm mit Melia noch blieb, vergeudete?

      Bevor ihn dieser Gedanke jedoch übermannte, zwang er sich, sich wieder auf das Geschehen hier zu konzentrieren. Und sein Blick fiel dabei erneut auf den Mann, der ihnen auf der anderen Seite des Lagerfeuers im Kreise seiner Männer gegenübersaß. Er mochte gealtert sein – doch wer war das in den letzten Jahren nicht? – er hatte etliche Narben im Gesicht, auf dem Hals, den Armen – und sicherlich die schlimmsten im Herzen und auf der Seele – doch es war ganz eindeutig Admiral Lobos!

      Und die Tatsache, dass er hier lebendig vor ihnen saß, grenzte für Mavis ehrlich an ein Wunder, an das er kaum glauben mochte, dem er sich jedoch auch nicht verschließen konnte. Um Lobos herum saß etwa ein Dutzend seiner Männer. Verwitterte, aber sichtbar entschlossene Gestalten, mit deutlichen Zeichen harter Gefechte auf ihren Körpern.

      In Mavis Kopf überschlugen sich etliche Fragen, doch noch war er nicht dazu gekommen, sie zu stellen.

      Vielmehr musste er noch immer an die Geschehnisse der letzten Stunden denken, die sie letztlich hierhergeführt hatten:

      Nachdem sie aus der unterirdischen Hölle südlich von Porista zurückgekehrt waren und dabei tatsächlich den sagenumwobenen Kristall zur Rettung ihres Planeten in den Händen hielten, wollten sie zurück nach Kimuri fliegen, mussten jedoch dank der Hilfe Marivars erkennen, dass dort der Feind in Gestalt von Panthos Schergen Einzug gehalten hatte und Jorik, Shamos und die anderen gefangen hielt. Wenn Mavis daran dachte, dass es Menschen waren, die ihresgleichen schikanierten, wurde ihm beinahe übel und er verspürte einen unbändigen Hass auf Narrix und seine Männer. Der Planet wurde von den furchtbarsten Kreaturen heimgesucht und die Menschen hatten nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig zu bekämpfen. Doch er wusste nur zu genau, wer eigentlich hinter diesem himmelschreienden Komplott steckte: Commander Panthos, der als Nuri des poremischen Volkes und mittlerweile Vorsitzender des Hohen Rates, dessen Sitz sich in Eshamae unterhalb der Wasseroberfläche befand, seinen Mitgliedern weismachte, dort in Sicherheit zu sein. Mavis hoffte, dass diese aufgeblasenen, alten Schwachköpfe bald erkennen würden, dass sie Unrecht damit hatten. Noch mehr jedoch hoffte er darauf, Panthos noch einmal persönlich gegenübertreten zu können – um ihn zu töten. Für das, was er den Menschen in seinem blinden Fanatismus antat.

      Doch das waren Gedanken, die er zurückdrängen musste. Hier gab es viel wichtigere Dinge zu klären.

      Bevor sie ihren Kurs auf Kimuri ändern konnten, wurden sie bereits verfolgt. Ihre Flucht führte sie auf das poremische Festland nördlich von Ara Bandiks und südlich des Geländes der Imrix Corporation zum Piritak-Massiv. Ihre Hoffnung, kampflos zu entkommen, erfüllte sich nicht und so gab es ein Feuergefecht, in dem gute Menschen starben und ein Flugboot zerstört wurde. Vollkommen sinnlos!

      Ihr eigenes Schiff wurde dabei so schwer beschädigt, dass sie notlanden mussten. Gerade noch in letzter Sekunde konnten sich alle in Sicherheit bringen, bevor auch es explodierte.

      Ihr Weg führte sie dann in ein angrenzendes, noch immer überraschend dicht bewachsenes Sumpfgebiet ganz in der Nähe des Mioli-Flusses, der letztlich weiter nordöstlich in die Schluchten von Kindagi mündete. Mavis wusste noch genau, dass er das Wasser rauschen hören glaubte, als plötzlich der Boden unter ihren Füßen nachgab, sie über eine Art Rutsche in die Tiefe schossen, letztlich in einer großen Pfütze wieder zum Erliegen kamen und dann in nichts Geringeres blickten, als das Gesicht des todgeglaubten Admiral Lobos.

      Lobos gab ein paar knappe Befehle an seine Männer und man holte sie aus dem stinkenden, feuchten Loch. Die Begrüßung erfolgte dann wortkarg, aber herzlich und sichtbar emotional, zumindest nachdem Vilo ihnen die Furcht vor Leira genommen hatte, der sie anfangs natürlich extrem distanziert gegenübergestanden waren. Während Lobos und seine Männer sie durch ein weitverzweigtes Tunnelsystem in eine ziemlich große Höhle brachten, war eigentlich er es, der ihnen Fragen stellte, als umgekehrt. In der Höhle bot er ihnen einen Platz am Lagefeuer an, um sich zu wärmen und man gab ihnen zu essen und zu trinken. Ein paar seiner Männer kümmerten sich um die wenigen Überlebenden der Hochebene südlich von Porista, die lange Zeit das Zuhause Melias gewesen war, und brachten sie in andere Höhlen.

      Dann aßen alle zunächst von dem Würzbrei und es wurde nicht geredet. Da alle ausgesprochen ausgepumpt waren, akzeptierten sie diesen Moment der Ruhe.

      Doch Mavis spürte schnell, dass all seine Fragen ihm den Appetit abschnürten. Er wollte auch gerade loslegen, als er die Erschütterung gespürt hatte, sodass er zunächst wieder davon abgekommen war.

      Als er jetzt aber wieder ansetzen wollte, sah er, dass Lobos seine Schale beiseitegestellt und sich stattdessen einen Wasserbecher genommen hatte, den er in den Fingern drehte, während er ihn mit nachdenklichem Blick fixierte. „Sie wollen wissen, was mit uns...!“ Er drehte seinen Kopf blicklos zur Seite, wo seine Männer saßen. Seine Stimme klang rau, tief und etwas müde „...geschehen ist und warum wir noch leben!“ Er schaute auf und seine graublauen Augen bohrten sich förmlich in Mavis und die anderen. Vilo nickte, während Mavis versuchte, die Emotionen des Admirals zu ergründen. Lobos wirkte nach außen hin vielleicht sogar noch stärker - nein, gestählter war sicherlich das bessere Wort – als noch vor Jahren, doch in seinen Augen meinte Mavis Verbitterung und Hoffnungslosigkeit zu erkennen, was ihn jedoch nicht wirklich überraschte. Jetzt lachte Lobos einmal leise auf, doch es war nur eine müde Geste, dann schaute er wieder auf das Wasserglas in seinen Händen. Für einen Augenblick blieb er still, als würde er tief in Gedanken versinken und vor seinem inneren Auge schienen düstere Bilder aufzutauchen, denn sein Blick wurde zusehends ernster. „Die Kamarulu…!“ begann er dann mit einem tiefen Atemzug, bei dem er seinen Körper straffte, seinen Kopf wieder anhob und blicklos in die Runde schaute. „…war vom ersten Bauteil, vom ersten Federstrich der ersten Zeichnung, ja…!“ Wieder lächelte er müde. „…vom allerersten Gedanken überhaupt an, das wohl mit Abstand ehrgeizigste technische Projekt, das Menschen hier auf diesem Planeten je in Angriff genommen hatten. Niemals zuvor hatte Jemand versucht, ein solch gewaltiges Objekt zu bauen, geschweige denn einen solchen Koloss danach auch noch in die Lüfte zu erheben!“ Jetzt lächelte er für einen Augenblick ehrlich erfreut. „Und doch ist es am Ende gelungen. Größer, gewaltiger und effizienter, als man es je zu hoffen gewagt hatte. Das Ergebnis war die Kamarulu, das mächtigste Schlachtschiff aller Zeiten, ausgestattet mit einer Technik, bei deren Entwicklung die besten Ingenieure von Imrix vielfach Grenzen überwinden und vollkommen neue Welten betreten mussten und dabei technischen Fortschritt für Generationen entwickelten!“ Lobos Stimme war beinahe ehrfurchtsvoll, seine Augen leuchteten. Er ließ seine Worte für einen Moment nachwirken. „Mit ihrer Indienststellung gab es Niemanden mehr, der es gewagt hätte, das poremische Volk anzugreifen. Doch auch die kriegerischen Auseinandersetzungen in anderen Ländern ließen deutlich nach. Fast schien es so, als wäre die Kamarulu ein Mahnmal für den Frieden!“ Wieder lächelte er. „Santara sah in eine wundervolle, glorreiche Zukunft!“ Plötzlich wurde sein Blick traurig und ernst. „Bis die erste Anomalie auftauchte und alles innerhalb weniger Stunden auf so furchtbare Weise änderte!“ Lobos hielt inne und schaute – dieses Mal bewusst – in die Runde, dass jeder Einzelne das Gefühl hatte, er würde ihm direkt in die Seele blicken und Viele eine Gänsehaut bekamen.

      Charismatisch, dachte Mavis mit einem inneren Lächeln, ja, das war Lobos schon immer gewesen.

      „Als