H.L. Thomas

Schattenkriege


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nahm ein Dosenbier und ließ sich auf einem der Stühle am Küchentisch nieder.

      „Willst du dir Notizen machen?“

      Jane nickte, setzte sich ihm gegenüber und zog ein Reisetagebuch hervor. Sie nippte an der Cola und sah Javier erwartungsvoll an.

      „Es kann losgehen.“

      „Also, beginnen wir bei Dinnort. Der Mann kam schon vor einigen Jahren her, lange bevor Allende die Wahl gewann. Dinnort war offiziell als ziviler Berater in der Botschaft tätig. Inoffiziell arbeitete er für die CIA. Er hatte Kontakt zu hohen Militärs. Sie versuchten, die Wahl zu verhindern, was aber nicht gelang. Den Leuten hier ging es nicht gut. Die meisten lebten in sehr einfachen Verhältnissen, während wenige reicher und reicher wurden. Jeder Großgrundbesitzer spielte sich als Herr über Leben und Tod auf. Die Arbeiter organisierten sich, gründeten Gewerkschaften. Sie nahmen dafür ein großes Risiko auf sich, denn Gewerkschafter lebten gefährlich. Allende gab uns Hoffnung. Nach seiner Wahl setzte er seine Versprechen tatsächlich um. Er tat viel, um die Lebensumstände zu verbessern. Preise für Mieten und Lebensmittel wurden eingefroren, Gesundheit und Bildung wurden kostenlos. So etwas ist teuer. Er begann, Konzerne und Großgrundbesitzer zu enteignen. Das brachte ihm mächtige Feinde ein. Die Großgrundbesitzer wollten ihren Besitz natürlich nicht kampflos aufgeben. Ausländische Konzerne, meist amerikanische, liefen Sturm. An dieser Stelle schlug die Stunde für Leute wie Dinnort. Er verfügte über beste Verbindungen. Er versuchte, einige Generäle zum Putsch zu bewegen. Das war nicht so einfach, wie er dachte. Der Leiter des Generalstabs mochte vielleicht den Sozialisten Allende nicht, aber er stand loyal zur Verfassung. Dinnort wechselte die Pferde. Er fand neue Freunde, die ganz bis nach oben wollten. Diese schreckten vor nichts zurück. Politische Gegner wurden entführt und ermordet. Der Generalstabschef wurde abgefangen, sein Wagen blockiert. Dann erschossen sie ihn und seine Begleiter. Das war der Tag, an dem ich begann zu recherchieren.“ Javier strich sich gedankenverloren durch die Haare und nahm einen Schluck aus der Dose. Er verzog angewidert das Gesicht. „Schmeckt grauenhaft. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, das Attentat. Allende ließ sich davon nicht einschüchtern. Dann begannen die Kampagnen. Sicher, die Versorgungslage hätte besser sein können, aber die Zeitungen übertrieben maßlos. Ich arbeitete damals für eine kleine Lokalzeitung, die politisch auf Seiten Allendes stand. Die gibt es natürlich nicht mehr.“ Javier lachte bitter. „Ich bekam mit, wie es lief. Die Geldkoffer wurden unverblümt in die Chefetagen getragen. Mit Geld kannst du dir alles kaufen und erst recht die öffentliche Meinung. Die Leute glaubten wirklich, wir stünden kurz vor dem Untergang. Internationale Beziehungen würden eingefroren, Devisenknappheit. Elektrizitätswerke wurden sabotiert. Es gab Stromausfälle. Die Leute gingen wieder auf die Straße. Die Transportarbeiter streikten. Ja, Dinnort verstand sein Handwerk. Dann kam der Putsch. Sie sagten, Allende habe Selbstmord begangen. Ich persönlich glaube, sie haben ihn umgebracht.“

      Jane sah von ihrem Notizblock hoch. Javier hatte mit der rechten Hand die Dose zu einem Knäuel zusammengeballt. Seine Kiefer mahlten. Er brauchte ein wenig, um weiterzusprechen.

      „Es war gut vorbereitet, das muss ich ihnen lassen. Sie verboten die Gewerkschaften und machten alle Zeitungen dicht, außer denen, die auf ihrer Seite standen. Sie verhafteten jeden, der etwas gegen die Putschisten – oh Verzeihung – ich meine natürlich die neue Regierung sagte oder auch nur dachte. Hier in Santiago steckte man sie in das Nationalstadion. Meinen Bruder haben sie auch erwischt, aber er konnte entkommen.“

      Jane unterbrach ihre Notizen. „Hast du Beweise, dass die CIA hinter dem Mord steckt, hinter den Schmiergeldern? Dass Dinnort für die Firma gearbeitet hat? Ich glaube dir jedes Wort, aber mein Auftraggeber will hieb-, stich- und vor allem gerichtsfeste Beweise sehen. Wenn wir mit solch einer Story rausgehen, wird es einen Sturm geben.“

      Javier nickte. „Ich weiß nicht, ob es reicht, aber ich habe Bilder. Die Fotos zeigen Kontaktleute der CIA, Vertreter chilenischer Militärs und Übergabe von Waffen und Munition. Es liegen Telegramme von ranghohen US-Politikern, CIA-Agenten an Verbindungsleute vor. Es existieren Belege von Geldtransfers, Tonbandmitschnitte und eidesstattliche Versicherungen von Interviewpartnern.“

      „Wo? Kann ich es sehen?“

      Javier schüttelte den Kopf. „Es ist nicht hier. Mein Bruder hat es mitgenommen. Er ist nach Bolivien geflohen und versteckt sich dort.“

      Bolivien, Jane stieß einen Stoßseufzer aus. Wäre es nicht einfacher gewesen, direkt nach Bolivien zu gehen? Ihr Gedanke musste ihr wohl in Leuchtschrift auf der Stirn gestanden haben, denn Javier lächelte.

      „Du würdest ihn nicht finden, Jane Mulwray. Er lebt im Untergrund. Es gibt Leute, die ihn schützen. Und wenn ich direkt von Bolivien aus Kontakt nach Amerika aufgenommen hätte, würde ich ihn und seine Leute gefährden. Versprich mir, dass du diese Geschichte bringen wirst, dann stelle ich den Kontakt her.“

      Jane überlegte einen Moment. „Sag mal, Javier. Der Mord an Dinnort – haben dein Bruder oder seine Leute was damit zu tun? Darüber hast du mir nämlich gar nichts erzählt.“

      Javiers Mine wirkte verschlossen. „Natürlich nicht. Er wurde ermordet, kein Zweifel, aber ich habe keine Ahnung, wer das war. Der Kerl war ein mieses Arschloch, der hat sich bestimmt mehr als genug Feinde gemacht.“

      „Dann schlage ich vor, wir setzen genau da an, und zwar bevor wir nach Bolivien gehen. Ich weiß immer gern, womit ich es zu tun habe und ich mag keine unliebsamen Überraschungen. Soviel ich weiß, wurde sein Auto hochgejagt. Gibt es noch irgendwo Überreste davon?“

      Javier überlegte einen Moment. Dinnort war tot. Wenn er wüsste, wer dafür verantwortlich war, würde er ihm wahrscheinlich ein Dankesschreiben zukommen lassen. Aber gut, wenn diese Americana unbedingt das Autowrack sehen wollte. Es konnte ja nicht so schwer sein, herauszufinden, auf welchem Schrottplatz das Ding stand.

      „Ich werde es herausfinden.“

      Jane nickte, während sie den Rest Cola herunterschluckte.

      „Mmmh. Ich möchte dem amerikanischen Botschafter einen Besuch abstatten. Es interessiert mich brennend, ob der die ganze Zeit vollkommen ahnungslos war oder nicht.“

      „Du willst in die amerikanische Botschaft? In das mutmaßliche CIA-Hauptquartier dieser Stadt? Bist du wahnsinnig?“

      Sie lachte. „Ja, manchmal schon. Wäre ich sonst hier? Aber jetzt habe ich wirklich Hunger. Bekommt man hier irgendwo etwas Brauchbares zu essen? Und wage dich nicht, in diesem Kühlschrank nachzusehen!“

      Javier nickte ergeben. Wenn diese Frau sie beide morgen in den Abgrund reißen wollte, indem sie in die amerikanische Botschaft stolzierte, sollten sie die Zeit genießen, die ihnen noch blieb.

      „Ich kenne sogar ein sehr gutes Lokal. Ich denke, es wird dir gefallen.“

      ***

      Javier stellte den klapprigen Wagen in einer Hofeinfahrt ab. Er öffnete die Beifahrertür und ließ Jane aussteigen. Dann bot er ihr mit einem Grinsen den Arm.

      „Señora, darf ich Sie in eines der besten Lokale der Stadt ausführen?“

      Jane lachte und hakte sich bei ihm ein. Er steuerte auf ein Gebäude zu, das im Stil einer Hazienda gebaut war. Es war mehrstöckig und besaß einen von außen nicht einsehbaren Innenhof, in dem einfache Tische standen. Balken, die den ganzen Hof überspannten, boten die Möglichkeit, Sonnensegel anzubringen. Im Sommer sicher eine angenehme Sache. Sie setzten sich an einen der Tische unter die Arkaden. Das Lokal war recht gut besucht. Hier war nichts von der düsteren Stimmung zu spüren.

      Das Essen war bodenständig. Es gab Fleischeintopf, Maisbrot und Pastete. Zu allem wurde eine scharfe grüne Chilisauce serviert.

      „Möchtest du Wein?“

      Es war bestimmt besser, einen klaren Kopf zu behalten. Aber es war so schön hier, fast, als befände sie sich nicht in einer der gefährlichsten Städte, die die Welt gerade zu bieten hatte. Gegen ein Glas Wein war nun wirklich nichts einzuwenden. Sie nickte.

      Der