Robin Kaiser

Eine relative Abhandlung über das Absolute


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Welt mit ihr. Das, was du bist, bedarf als alles, was ist, keiner dem Selbst gegenüberstehenden Welt, und erst durch eine dir gegenüberstehenden Welt kannst du das ausleben und erfahren, was du nicht bist. Nach den chaotischen Gesetzen der Welt kannst du das, was du sein willst, nur sein, wenn es ein anderer nicht ist. Bist du das selbst konstruierte Ich, was du sein wolltest, dann muss dem anderen das, was du hast, fehlen, was ein Urteil über den anderen scheinbar rechtfertigt. Der andere wird zum Symbol von dem, was du nicht sein willst, weil du meinst, dass du das, was du sein willst, bereits dem anderen entzogen hast. Ebenso muss ein Selbst die Welt sehen. Oder es sieht umgedreht, dass die Welt etwas besitzt, was sie dem Selbst entzogen hat, womit die Ursachensuche nach dem, was entzogen wurde, in der Welt beginnt. Ein Selbst sucht besonders dann innerhalb der Welt nach etwas, wenn es sich selbst dieses verwehrt. Doch keine Welt kann dir etwas geben, von dem du nicht bereit bist, es dir selbst zu geben. Erfolg und Anerkennung wird besonders dann in der Welt gesucht, wenn sich ein Selbst selbst nicht anerkennen kann. Und erkennt es sich selbst nicht an, kann es noch so viel wertschätzende Anerkennung von der Welt bekommen und sich trotzdem nicht gewertschätzt fühlen. Das Selbst ist alleinig Selbstempfänger, indem es darüber entscheidet, was es von der Welt empfangen möchte, und indem es gibt, was es empfängt, empfängt es, was es gibt. Du entscheidest darüber, wie die Welt ist, indem du dir die Freiheit nimmst, darüber zu entscheiden, wer du bist. Wer Selbstzuschreibung von der Welt übernimmt und sich mit ihr identifiziert, der muss glauben, dass das, was er ist, davon abhängig sei, wie die Welt ihn sieht. Wenn das Selbst nicht mehr ohne die (Selbst)Bestätigung der Welt leben kann, dann hat es sich so weit in ein veräußerlichtes Abhängigkeitsverhältnis hineingebracht, dass es glauben muss, kein Sein für sich mehr zu besitzen. Ein solches Selbst hat ein starkes Verlangen nach der Welt, um der Selbstbestätigung willen, da es im Selbst nur das sehen kann, was die Welt scheinbar in das Selbst hineingelegt hat.

      Jede eitle Selbstbestätigung, die ein nach Anerkennung hungerndes Selbst annimmt, baut die Bedürftigkeit nach derselben weiter aus, und führt zur Aufrechterhaltung einer urteilenden Welt, wobei es keine Welt dort draußen gibt, die verurteilt, oder über weiche geurteilt werden könnte, denn vielmehr ist die wahrgenommene Welt als solche eine Inszenierung des eigenen Urteiles. Selbstbestätigung ist Weltbestätigung, und erst die Selbstlosigkeit kann die wertenden Urteile dieser Welt gleichmütig entgegennehmen. Das an der Welt orientierte Selbstkonzept kann niemals über die Welt erhaben sein und über sie hinausgehen, denn es ist angewiesen auf die Urteile der Welt. Ein solches Angewiesensein fördert den im Selbst wahrgenommen Mangel, der zwangsweise ab der ersten Aufspaltung einsetzen muss. Ein auf Trennung und Mangel basierendes Selbstkonzept versucht entweder seinen Mangel dadurch auszugleichen, dass es in der Welt die Erfüllung sieht, oder es projiziert sein eigenes Mangelerleben auf die Welt und versucht so, vor seinen eigenen Projektionen davonzulaufen. Es bedurfte von deinem Selbstkonzept einer Vielzahl an Illusionskünsten, bis du dich davon überzeugen konntest, wirklich in einer Welt zu leben und mangelleidend und unerfüllt sein zu können.

      Das aus diesen Überzeugungen hervorgegangene Selbst entstand aus einer Neigung, das Unerfülltsein auszufüllen, und nur das ständige Zu- oder Abgeneigtsein des Selbst hält ebendies aufrecht. Urteilende Neigung ist das, woraus sich das Selbst selbst gemacht hat, wobei die Welt quasi eine Begleiterscheinung des Daseins eines getrennt ersonnenen Selbstkonstrukts ist. Das auf Trennung basierende Selbstbild führt in eine scheinbar objektive Bildwelt, angefüllt mit einer Vielzahl separater Formen. Fortan wird das Selbstbild immer weiter von der Bildwelt gebildet, wodurch sich das Selbst immer mehr zur Welt neigt und somit bildlich gesprochen immer mehr aus sich herausfällt. Das Selbst ist nun befangen und gefangen durch den Sinneneindruck seiner Welt, durch den sich das Selbst zu definieren versucht. Die sinnlichen Formen sind die Daseinsstützen, mithilfe derer sich das Selbst selbst zu bestimmt versucht. Doch gleichzeitig sind die Daseinsstützen immer auch die Daseinsfesseln, mit denen sich das Selbst an die Welt bindet und so immer wieder in neues Dasein in die leidhafte Immanenz eintritt. Das Selbst ist eine Mein-Mach-Maschinerie, die sich über die Identifikation weltlichen Geschehens am Laufen hält, wobei das Zueigenmachen lediglich eine extreme Form eines anhaftenden Habenwollens ist. Das Selbstkonstrukt will das sein, was es für sich haben will, weil es unwissend darüber ist, was es ist. Dieses Unwissen bedingt das Verlangen nach Material zur Ich-Identifikation. Um den Durst des Verlangens zu stillen, trinkt das Selbst die trüben, salzigen Wasser dieser Welt, die nur dazu führen, dass es noch durstiger wird. Je mehr das Selbst die Erfüllung in seiner projizierten Welt sucht, desto unerfüllter wird die weltliche Sinnenerfahrung, und desto mehr gerät es in einen benebelten Dämmerzustand einer Welttrunkenheit, in der es sich selbst verliert. Wie ein Süchtiger irrt das Selbst dann durch seine Welt in ständigem Aufruhr seinen Durst zu stillen. Das Wasser, das den Durst löscht, die Triebstillung herbeiführt und den Entsüchtungsprozess der Welt- und Selbstsucht einleitet, kann nur aus dem Grund des Selbst geschöpft werden. Das von dort angezapfte, klare Wasser, aus dem unergründlichen Lebensquell, sorgt für eine Ernüchterung von dem, was die Welt zu bieten hat und führt in eine von der Welt unberührte, grundlose, inneren Zufriedenheit. Dieses Wasser ist das ruhige abkühlende Wasser, in dem jede aufgewühlte Eigenheit ertrinkt, und das Selbst zugunsten der geistigen Weite eines selbstlosen Präsentseins weicht. Hier hat das Selbst alle Abhängigkeiten zur Welt abgehängt und alles in sich, was erst durch diese Abhängigkeit zum Entstehen gebracht wurde, aufgelöst. Es gibt dort nichts, was im Selbst noch Bestand hätte, wenn die über die Welt gehenden Selbstzuschreibungen losgelassen werden. Die vom getrennten Selbstkonstrukt erträumte Eigenwelt verblasst und gibt den Blick frei auf eine ungefärbte Begegnungswelt, in der Kommunikation möglich wird. Jedes Selbst lebt in einer anderen Welt, denn niemand kann das Weltbild der eigenen Bildwelt kommunizieren oder mitteilen, wenn diese auf der Basis des getrennten Eigensinns aufbaut. Die Selbstlosen jedoch teilen eine Welt miteinander, weil sie alle das gleiche Wasser aus dem einen Lebensbrunnen getrunken haben und ihr Selbst zugunsten der einen selbstlosen Wahrheit aufgegeben haben. Der Selbstlose erkennt, dass die Wege der Welt nirgendwohin führen, egal welcher Pfad eingeschlagen wird, denn die ausgetretenen Pfade, die man Leben für Leben geht, enden dort, wo sie begonnen wurden. In dieser Erkenntnis liegt sowohl die tiefste Hoffnungslosigkeit, als auch die heilsamste Erlösung. An jedem Anfangspunkt und jeder Weggabelung auf diesem Pfad findet sich ein Schild, auf dem steht: „Wähle erneut!“ Du folgst so lange den bereits gegangenen Pfaden und den bereits getroffenen Entscheidungen, bis du dich dazu entscheidest, die Wege dieser Welt und die kreisenden Gedankenpfade deines Selbst hinter dir zu lassen, über dich selbst hinauszugehen, um den letzten noch ungegangenen Weg zu dem, was du bist, zu beschreiten.

      Oder: Ordnung hat Prinzip

      Ordnung zeichnet sich überall da ab, wo Mustererkennung möglich ist, wo sich etwas innerhalb einer Gesetzmäßigkeit abspielt, die durch zyklisch rhythmische Wiederholung bestimmter Abfolgen eine gewisse Vorhersagbarkeit ermöglichen. Die Frage nach der Spannweite, die der Ordnungsbegriff fassen soll, erfragt, ab welchem Ordnungsgrad man sich auf den Begriff der Ordnung einigt. Chaos fängt dort an, wo der Ordnungsgrad als unzureichend erlebt wird, was weniger an der mangelnden Ordnung, als an der mangelnden Ordnungswahrnehmung liegt. Zoomt man aus einer kleinmaschigen Raum- Zeit- Einkästelung weiter heraus, so stößt man immer wieder auf jeweils höhere Ordnungsprinzipien, die die scheinbar chaotischen Gesetzlosigkeiten miteinander versöhnen. Letztlich landet man irgendwann in einer kosmischen Sphäre, die nicht umsonst Kosmos (griech. Ordnung) heißt. Alles, was existiert, kann nicht nicht nach einer Ordnung existieren, da selbst chaotische Entropien einem Prinzip folgen, nämlich dem entropischen Prinzip. Passiert etwas außerhalb der Ordnung, so ist dem “Zufall“ nur noch nicht das richtige Prinzip zugeordnet worden. Zufall ist das, was einem gesetzmäßig zufällt. Leben, das nicht einem Ordnungsprinzip folgt, kann nicht sein, und trotzdem wird Leben erst dadurch, dass es mit einer Vielzahl an Gesetzmäßigkeiten bricht. Das Lebendige am Leben ist das, was Leben außerordentlich macht, indem es immer wieder mit Unvorhersehbarkeit überrascht und zum Staunen bringt. Erst das Außerhalb der Ordnung kann etwas Außerordentliches werden. Reguliert man Ordnung in Form eines Standardisierungsprinzips immer höher, so fühlt man sich so lange in Sicherheit, bis es einem die Luft zum Atmen raubt, da alles Leben dadurch im Keim erstickt wird. Besitzt man den Mut, das Leben ohne eigene Ordnungsfilter durch sich hindurch aufleben zu lassen, so hat man sich zum Prinzip gemacht und umfasst somit