Manuel Neff

Die Chroniken von 4 City - Band 1-3


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und in diesem Moment reißt wie ein Zeichen des Himmels die Wolkennebelwand auf und das rötliche Licht der untergehenden Sonne wird auf der, sich spiegelnden Linse des Geräts, reflektiert.

      Ein seltenes Naturschauspiel, das die beiden Mädchen zum Schweigen bringt und verträumt hoch zum Firmament blicken lässt.

      »Wow. Das ist so göttlich«, sagt Lea.

      »Und doch ist es nicht halb so umwerfend wie du, meine süße Maus«, raunt Love. Lea kuschelt sich an die Prinzessin.

      »Und was ist es? Was hast du dieses Mal erfunden?«, flüstert sie an Loves Schulter.

      »Geduld. Lass dich überraschen!« Love zieht Lea noch ein Stückchen näher an sich heran und legt den linken Arm um sie. Mit dem rechten hält sie den Apparat von sich weg und dreht ihn so, dass die Linse ihnen zugewandt ist. Noch immer fällt das Licht auf ihre hübschen Gesichter und dann drückt Love ab. Das kleine Gerät gibt ein klickendes Geräusch von sich.

      »Es ist ein Fotoapparat«, jauchzt Lea voller Erkenntnis. »So klein? Darf ich das Bild sehen.«

      »Selbstverständlich. Sobald ich eine Dunkelkammer eingerichtet und alles beisammen habe, um die Abzüge zu entwickeln. Ich sagte doch, du musst dich gedulden.«

      Lea staunt Bauklötze.

      »Ich verstehe das nicht. Dunkelkammer? Entwickeln?«

      »Ich erkläre es dir dann, sobald ich soweit bin. Bis dahin gibt es keinen anderen Weg, als zu warten. Du bist doch ausdauernd, was das Abwarten angeht?«

      »Natürlich bin ich das. Logisch. Eine Engelsgeduld zu haben, ist eine meiner Tugenden«, verkündet Lea. Die Mädchen blicken zeitgleich nach unten auf Leas wild zappelnde Füße, die sie jedes Mal verraten. Sie lachen.

      Love verrät Lea nicht, dass sie noch nicht die geringste Ahnung hat, wie so eine Dunkelkammer überhaupt beschaffen ist und wie der Entwicklungsprozess abläuft, jedoch ist sie sich sicher, dass es so kommt wie immer. Wenn sie sich felsenfest etwas vornimmt, dann wird es auch gelingen. Alles, was sie dazu benötigt sind mehr Informationen.

      »Ein Buch über Fotografie wäre gut. Dein Vater könnte dir eins mitbringen«, meint Lea.

      »Vielleicht von seinem aktuellen Feldzug.«

      Loves Talent

      Lea und Love begeben sich zur Werkstatt. Dem Tresorraum der Bank, aus der Alten Welt, die sich ihr Vater als Sitz seiner Residenz auserkoren hat. Früher, vor Jahrhunderten, lagerten hier einmal Gold, kostbare Edelsteine, exklusiver Schmuck und Wertpapiere. Aus heutiger Sicht nutzlos. Es gibt keine Währung und niemand würde Essen für Gold eintauschen.

      Den Namen Werkstatt hat Love ausgesucht. Es ist ihr zweiter Lieblingsort. Hier kann sie sich verwirklichen. Ihrem Talent freien Lauf lassen. Hier kann sie Stunden oder ganze Tage verbringen mit Basteln, Werkeln und Arbeiten. Mit Ingenieurskunst. Doch obwohl sie hier mit Sicherheit die meiste Zeit in der Sektion der Schrottsammler verbringt, landet er auf dem zweiten Platz ihrer Rangliste der liebsten Orte. Platz eins belegt eindeutig die Dachterrasse, auf der sie entweder mit Lea schmust, ihre neuen Erfindungen, fern von neugierigen Augen, ausprobiert oder beides gleichzeitig tut.

      »Du bist ein Phänomen«, sagt Lea stolz, beeindruckt und an ihren eigenen Möglichkeiten zweifelnd. »Wie machst du das nur?« Lea schaut Love dabei zu, wie sie den Fotoapparat in seine Einzelteile zerlegt.

      »Ah, das muss es sein«, meint Love und hält ein kleines undefinierbares Teil in die Höhe. »Das muss ich austauschen und er funktioniert wieder.«

      »Und wo bekommst du so etwas her?«

      »Na hör mal, ich bin eine Schrottsammlerin. Ich bastle es mir aus Gerümpel selbst zusammen.«

      »Aus Schrott?«

      »Natürlich, davon gibt es mehr als genug.«

      »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet!«

      »Doch, das habe ich schon mindestens hundertmal getan.«

      »Du liest ein Buch und kannst es?«

      »Genau«, antwortet Love.

      »Das ist doch keine Erklärung.«

      »Aber eine Antwort.«

      »Ist es nicht! Niemand liest etwas und kann es danach einfach tun.«

      »Vielleicht liegt es daran, dass die meisten gar nicht lesen können.«

      Lea lässt betrübt den Kopf nach unten sinken. Sie kann auch nicht lesen, so wie es Love gesagt hat.

      »Steck den Kopf nicht in den Sand, ich bringe es dir bei. Das habe ich dir versprochen.«

      »Ja ich weiß, aber ich bezweifle trotzdem, dass ich ein Buch übers Fliegen lese und danach fliegen kann.«

      »Aber das geht bei mir doch auch nicht. Man muss mit seinen Erwartungen immer schön auf dem Boden der Möglichkeiten bleiben und die Gesetze der Physik respektieren. Menschen haben nun mal keine Flügel. Aber ein Buch übers Schwimmen könntest du lesen und wer weiß, vielleicht kannst du es dann wirklich.«

      »Vorausgesetzt dein Vater findet einen Swimmingpool«, fügt Lea der Konversation hinzu.

      »Wann immer man vom Teufel spricht«, sagt Love, als das Gebrüll und der Jubel über die Rückkehr des Masters, ihres Vaters, aus dem Gebäude zu ihnen vordringt. Love richtet sich auf und stellt sich hinter Lea. Eine Hand schiebt sie von oben unter den Stoff ihres Kleides auf die nackte, spitze Brust, die andere an den schlanken Hals ihrer hübschen kaffeebraunen Freundin. Sie presst ihre Lippen in Leas Nacken, während ihre Hände das weiche Fleisch besitzergreifend erforschen.

      »Begib dich in meine Gemächer und warte dort auf mich. Der Master der Schrottsammler möchte mich mit Gewissheit sehen.«

      Die Entscheidung des Masters

      Alle Härte entweicht aus Draves Gesicht. Die Ursache ist seine Tochter, die ihm in der Lobby gegenübertritt. Allein ihr Aufzug könnte ihn rasend machen. Jeans und Schafspulli sind einer Prinzessin unwürdig. Er würde sie lieber in einem eleganten königsblauen Seidenkostüm und mit Ohrringen in Form silberner Spiralen sehen, aber Drave schafft es - wie immer - über diese Lappalie hinwegzusehen. Nach dem Verlust ihrer Mutter ist Love das einzig Schöne, das ihm noch neben den Pflichten als Master geblieben ist.

      »Vater«, begrüßt ihn Love mit einem atemberaubenden Lächeln und beschleunigt ihre Schritte, um ihm um den Hals zu fallen. Sie weiß genau, wie sie ihn um den Finger wickeln kann, und der Master lässt es nur zu gerne zu.

      »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht«, sagt er und blickt in die Tiefen ihrer wunderschönen Augen.

      »Ich hoffe nicht so ein Abscheuliches, wie das letzte Mal.« Drave versucht, sich zu entsinnen, aber schon nach wenigen Augenblicken der Ratlosigkeit gibt er es auf. Er kann sich an keine Abscheulichkeit aus einem zurückliegenden Streifzug erinnern. Statt sich weiter den Kopf zu zerbrechen, befiehlt er mit rauem Ton zwei Schrottsammler in die Empfangshalle. Sie schleppen eine kleine eisenbeschlagene Holzkiste herein.

      »Wow, ein Piratenschatz für mich? Papi, du weißt doch, dass ich mir nichts aus Reichtümern mache.«

      Der Master blickt seine Tochter wütend an.

      »Nenn mich nicht so. Nicht wenn meine Männer zuhören!«

      »Klar Paps. Habs kapiert.«

      Er seufzt. Weitere Untertanen folgen und schleifen etwas Großes herein. Es handelt sich um Loves Rekonstruktion. Sie stellen den riesigen Fotoapparat direkt neben der Kiste ab.

      Love zieht eine Augenbraue hoch.

      »Ihr könnt wieder gehen«, befiehlt sie den Schrottsammlern. »Oder kommen noch mehr Geschenke?«

      Sie blicken unschlüssig zu ihrem Master auf. Drave nickt