Manuel Neff

Die Chroniken von 4 City - Band 1-3


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Lea reißt bei dem langsamen Todesstoß ein letztes Mal ihre Augen auf und nur den Bruchteil einer Sekunde später erschlafft ihr Körper in den Armen ihres Mörders. Es ist der gleiche Mann, mit dem sie ihr Vater verheiraten wollte. Love schreit.

      »Stopft ihr das Maul! Vielleicht gibt sie ja eine gute Konkubine ab«, befiehlt er mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht und zieht den Dolch aus Leas Herz. Sofort tränkt sich ihr Shirt mit dunkelrotem Blut. Sie werfen ihren leblosen Körper respektlos aufs Bett. Love schreit noch immer. Die Männer, die ihr das Maul stopfen sollen, haben nicht mit solchem Widerstand gerechnet. Love erwischt den ersten an der Kehle und es knirscht seltsam, als sie ihm die Luftröhre mit einem Schlag zertrümmert. Er geht zu Boden, röchelt und ist dem Ende nahe.

      Love kämpft wie eine Löwin. Sie kann es nicht ertragen, dass Lea wegen ihr gestorben ist. Nur weil Lea ihrem Vater ähnlicher sieht, als sie selbst. Vielleicht ist der Tod ja auch besser als alles andere, was Love jetzt bevorsteht. Sie ringt mit dem zweiten Schrottsammler, als sie einen harten Schlag an der Schläfe abbekommt. Es ist der Knauf des Dolches, der Loves Lichter ausgehen lässt. Noch im Fallen hört sie das Lachen und die Worte von Leas Mörder.

      »Keine Konkubine. Lasst die kleine Löwin in der Arena kämpfen.«

      Katakomben

      »Hey Prinzessin.«

      Love öffnet die Augen. Schatten lösen sich auf, es zeichnen sich Konturen einer düsteren Katakombe mit gewölbter Decke ab. Es riecht fürchterlich. Eine undefinierbare Mischung aus Kloake und abgestandener Luft. Ihr Kopf tut weh, als hätte ihn jemand gewaltsam gegen eine Wand geschmettert. So ähnlich war es ja tatsächlich auch, erinnert sie sich. Langsam fasst sie sich an die Schläfe und ertastet die Blutkruste genau dort, wo sie der Knauf des Dolches übel getroffen hat. Ihre Kleidung ist durchnässt und die Kälte kriecht ihr in die Knochen.

      »Hey Prinzessin.« Eine Hand berührt sie an der Schulter und Love zuckt vor Schreck und Angst zurück. Bilder von Lea wollen aufsteigen. Sie wehrt sich, kann sie aber nicht zurückdrängen. Der Mann hat ihr direkt ins Herz gestochen, weil er glaubte, Lea sei die Prinzessin. Wenn sie herausfinden, wer Love wirklich ist, wird man sie auch abstechen. Ängstlich blickt sie dem Mann ins Gesicht, der sie berührt hat, der sie Prinzessin genannt hat.

      Love glaubt, ihn zu erkennen. Er wurde schlimm zugerichtet. Sein Gesicht ist wächsern und ein Auge ist böse zugeschwollen. Ein langer, blutiger Schnitt verläuft an der Wange bis zum Unterkiefer hinab. Die Nase ist mehrfach gebrochen. Sie erkennt ihn an seiner Statur, seiner Stimme, vielleicht auch an seiner Aura wieder. Er gehörte zur Leibgarde ihres Vaters. Warum haben sie ihn nicht getötet?

      »Prinzessin, wir sind hier, um in der Arena zu sterben. Ich kenne das von meinem alten Schrottsammler Clan. Sie lassen uns zur Unterhaltung kämpfen. Es geht mit unfairen Mitteln zu. Es tut mir leid, dass es so enden wird, Prinzessin.«

      »Nenn mich nicht so! Ich bin keine Prinzessin mehr. Mein Name ist Love.« Sie rappelt sich auf und schaut auf den gebrochenen Mann herunter. Er blickt zu ihr auf, hat Probleme den Kopf anzuheben. Etwas stimmt mit seiner Wirbelsäule nicht. Es hat ihn noch viel schlimmer erwischt, als Love zunächst glaubte.

      »Warst du dabei ...? Hast du gesehen, wie ...?«, Love schafft es nicht, den Satz zu beenden.

      »Ich weiß nicht, ob er noch am Leben ist. Aber selbst wenn ich es wüsste, dann würdest du nicht wissen wollen, wie sie deinen Vater umgebracht haben.« Love presst die Lippen aufeinander. Sie hält die Tränen zurück.

      »Sind wir die einzigen Überlebenden?«

      »Nein, es gibt hier unten noch mehr arme Schweine wie wir.«

      »Was ist mit dir? Kannst du aufstehen?«

      Er versucht es, aber das Einzige, dass er bewegen kann, sind seine Arme und den Kopf. Der Rest seines Körpers ist reglos wie ein Brett. Er ist von der Brusthöhe abwärts gelähmt.

      »Welche Richtung?«

      »Da lang«, röchelt er mit ausgestrecktem Arm. »Tut mir leid Mädchen, dass ich nicht mitkommen kann. Ich bin am Ende.« Er muss kräftig husten. Etwas Blut rinnt aus seinem Mundwinkel.

      »Ist schon gut. Vielleicht komme ich zurück«, flüstert Love, ist sich jedoch ziemlich sicher, ihn das letzte Mal lebend zu sehen.

      Love zittert am ganzen Körper. Ihre klatschnassen Kleider sind schuld. Sonst wäre es einfach nur kalt. Sie muss sich irgendwo unter 4-City befinden. In einem alten Röhrensystem der Kanalisation. Ein flackerndes Licht zieht sie an wie eine Motte und als sie um die Ecke biegt, sieht sie ein Feuer. Vier Gestalten wärmen sich an den emporzüngelnden Flammen. Der Rauch steigt Love in die Nase. Sie meint, den Geruch zu kennen und wird gleich dahinterkommen, woher. Hinter dem Feuer sieht sie ein Gitter, das bis zur Gewölbedecke reicht. Großteile des Rauchs ziehen dort ab. Das allein ist der Grund, warum man neben dem Feuer überhaupt noch atmen kann.

      Love geht weiter, bis zu den Flammen, bis zum Ende der Sackgasse. Im Schein des Feuers kann sie Gesichter erahnen. Unbekannte Männer. Vermutlich aus dem Gefolge ihres toten Vaters. Männer, die wie sie zur Belustigung der Sieger in Kürze in die Arena geschickt werden. Sie fragt sich, ob sie einer der vier erkennt. Vielleicht der älteste von ihnen. Der mit den grauen, verfilzten Haaren. Oder der Große, mit seiner unnatürlich hageren Gestalt und der krummen Nase. Eventuell auch einer der anderen beiden, die wie ganz normale junge Schrottsammler aussehen. Unter anderen Umständen wären sie sogar attraktiv. Sofort muss Love an Lea denken. Ein Klumpen aus Blei liegt ihr bei den Erinnerungen im Magen.

      »Sie soll nicht umsonst gestorben sein«, sagt sie leise zu sich selbst und schließt zu den vier Schrottsammlern auf.

      »Ich hab es euch ja gleich gesagt, dass die Kleine aufwachen wird.«

      »Ich verstehe trotzdem nicht, warum sie hier ist. Sie wird keine Minute überleben.«

      »Am Ende gehen wir eh alle drauf, wen interessiert dann schon, wie lange es dauert.«

      »Immerhin müssen wir nicht erfrieren.«

      »Mein Gott, was verbrennt ihr denn da!«, mischt sich Love in die Unterhaltung der Vier ein, bevor sie begreift und ihr endlich klar wird, woher sie den Geruch des Rauches kennt. Sie verbrennen Bücher.

      »Das waren die Letzten, mach dir keinen Kopf, Süße«, lächelt der Lange mit der auffälligen Nase.

      »Was?«

      Einem Schulterzucken folgt eine Armbewegung. Love erblickt mit Entsetzen den Haufen brennender Bücher. Schnell ist sie dort und noch schneller begreift sie, dass es ihre eigene, mühsam über die letzten Jahre zusammengetragene Sammlung ist. Eine Welt bricht über ihr zusammen. Ihre Bücher stehen in Flammen. Sofort fängt sie an, nach den brennenden Exemplaren zu greifen. Das Feuer versengt ihre Haut und sie zieht die Hand zurück. Die Bücher sind verloren.

      »Nein!«

      Da! Sie hat Glück! Sie entdeckt eins, das noch kein Feuer gefangen hat. Sie zieht den Ärmel über ihre Hand herunter, froh nun, dass dieser klatschnass ist und greift erneut in die Flammen. Trotz des Schutzes verbrennt sie sich ordentlich die Hand. Die zotteligen, blonde Haare ihres Ponys, die vorne abstehen, fangen Feuer. Sie hat das Buch! Blitzartig zieht sie es heraus und springt zurück, weg von der Hitze.

      »Verdammt! Spinnst du?«

      Einer der Männer klopft das Feuer an ihrem Ärmel aus, der andere legt etwas über ihren Kopf. Es stinkt nach verbranntem Haar und ihre Hand tut höllisch weh. Überglücklich hält sie das Buch in den Händen. Es ist das Letzte, was ihr geblieben ist. Sie presst es an die Brust und sinkt zu Boden.

      »Die ist irre!«

      »Sag bloß, du kannst lesen?«, fragt der Alte. Love antwortet nicht, liest stattdessen den Titel des Buches, das sie vielleicht retten könnte.

      Fähigkeiten

      Jiu Jitsu - asiatische Kampfkunst. Das muss ein Wink des