Henry Söllbach

Schwingungen und Wellen


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müssen die Jungen mehr mitbestimmen können. Soll nicht sein, dass Eltern alleine bestimmen wer wen heiratet. Ist sonst wie kaufen und verkaufen."

      Wenn wir schon so offen reden fällt mir noch eine Frage ein: "Weshalb lässt Mohamed eigentlich die Vielehe zu? Das ist doch extrem frauenfeindlich!"

      Ali erklärt: "Das ist doch klar! Früher gab es viele Kriege, gibt wenig Männer, und viel Frauen, sind unversorgt. Deshalb Vielehe gut. Heute nicht mehr notwendig. Musst du zwei Frauen bei Laune halten. Allah verschone mich!"

      Zufrieden entlasse ich Ali, der sich jetzt um das Fahrzeug kümmert.

      Die Rückreise ist wieder genauso organisiert wie die Hinreise. Verpflegung für unterwegs. Geschlafen wird im Auto bzw. im Zelt.

      Aylin ist nicht mehr so verspielt. Eher schlecht gelaunt und nervt. Deshalb reicht ihr Mutti Schulhefte nach hinten. Jetzt tut sie so, als ob sie lesen würde. Im Grunde schmollt sie nur so vor sich hin.

      5. Erste Liebe, Sündenfall

      Die Ferien im Jahr darauf verbringe ich mit einem Praktikum. Ich hatte mich schon vor 4 Wochen telefonisch bei der Fa. Domaier um einen Platz beworben. Die Firma stellt Ventilatoren für Gebäudeklimatisierung her. Für mich ist es die erste Gelegenheit einen Betrieb von innen zu sehen. Es geht mir hauptsächlich um die Technik aber auch um das soziale Umfeld. Außerdem gibt es noch 200 € die Woche Taschengeld. Ob ich wohl täglich 8 Stunden Arbeit durchhalte und das 5 Tage in der Woche? Nun ja 3 Wochen werde ich schon überstehen.

      Also betrete ich das erste Mal in meinem Leben einen Industriebetrieb. Mein Weg führt durch die Pforte vorbei an eisernen Kisten mit rostigen Teilen zum Bürogebäude. In der Personalabteilung bekomme ich meinen Arbeitsvertrag und einen Werksausweis. Dann komme ich in einen Seminarraum. Dort warten noch drei weitere Neulinge und ein älterer Herr (Rentner auf 300 € Basis?). Es gibt eine Filmvorführung über den Betrieb und über Unfallverhütung. Danach bekomme ich vom Kantinenpersonal einen Blaumann und Sicherheitsschuhe.

      "Bleiben sie gleich da, es ist eh bald Vesper" meint die nette Dame mit Küchenschürze und Haarschutz, "in welche Abteilung kommen sie?"

      "Entwicklung hat man mir gesagt", antworte ich nicht ganz ohne Stolz.

      Sie zeigt auf die Theke und sagt: "O.k. wählen sie ein Vesper. Das erste ist kostenlos. Nach der Pause werden sie abgeholt."

      In der ersten Woche habe ich fast nichts zu tun. Die Prüfstände werden von Spezialisten betreut, die mir aber immer bereitwillig die Aufgabenstellung erläutern. Ab und zu werde ich auch zu Botengängen eingeteilt, um Teile oder Dokumente in andere Abteilungen zu schaffen, so lerne ich den Betrieb kennen. Interessante technologische Prozesse wie Stanzen oder Roboterschweißen sehe ich mir besonders genau an. Da lasse ich mir auch etwas Zeit. Am Freitagnachmittag erklärt mir dann der Betriebsleiter, Dr. Kurz, dass ich in der kommenden Woche die Produktion näher kennenlernen werde. Ich solle mich gleich Montagmorgen um acht bei Herrn Schirmer, dem Gruppenleiter Schweißerei, melden.

      Jetzt lerne ich endlich die Produktionsarbeit kennen! Schweißen darf ich nicht. Dürfen nur ausgebildete Kräfte. Dafür darf ich die Schweißnähte putzen. Mit rotierenden Bürsten oder Schleifscheiben wird die Naht gereinigt und verschönert. Den ganzen Tag Knochenarbeit mit Helm und Schutzbrille. Da ist man am Abend durchgeschwitzt und voller Dreck und Eisenstaub. Deshalb genieße ich die Unterbrechungen, um für die Gruppe früh das Vesper zu holen und nachmittags noch einmal Kaffee und Kuchen.

      Also verschwinde ich heute so gegen 9 Uhr in den Waschraum, mache mich sauber, hole Block und Schreibzeug und nehme die Bestellungen auf. Dabei bezahlen die Mitarbeiter, da sie die Preise alle kennen, sofort. Hat jemand das Geld nicht passend, wird nach der Pause abgerechnet. Manchmal wird auch großzügig aufgerundet, so dass noch ein Trinkgeld übrig bleibt. Das ändert sich aber schon nach wenigen Tagen. Immer häufiger kommt es vor, dass die Kollegen während der Bestellungsaufnahme noch einmal ihren Wunsch überdenken und dann kumpelhaft an einen herantreten: "Ach bitte bring mir doch statt des Kaffee ein Kännchen Tee und anstelle des Kuchens ein Käsebaguette. Ich geb dir auch noch mal 2€30. Wenn das mehrfach passiert ist es kein Wunder, dass die Kasse nachher nicht stimmt. Seltsamerweise aber immer zu Ungunsten von mir. "So ein einfacher Vorgang müsste doch mit meiner Schulbildung zu schaffen sein!" denke ich bei mir. Es kommt noch dicker. Während ich das Rückgeld verteile, ruft mir ein Mitarbeiter von seinem Arbeitsplatz zu: "Du, ich habe im Moment überhaupt keine Zeit, können wir das nicht heute Nachmittag mit verrechnen?" Unfreiwillig stimme ich zu. Nachmittags die Katastrophe:

      "Moment ich hatte dir doch 10 € gegeben" meint der Kollege.

      "Nein ich kann mich an 5€ erinnern!"

      Er jovial: "Musst wohl falsch aufgeschrieben haben, kommt schon mal vor bei der Menge, ich bin mir sicher!"

      Natürlich fehlen mir anschließend 6€48 und ich bin ziemlich ratlos. Bevor ich mich mit meinem Arbeitskameraden anlege, schlucke ich das Defizit. Je besser wir uns kennen, desto chaotischer wird das Bestellsystem.

      Kurt II: "Hey ist zwar erst halb acht, aber ich muss ins Lager, das wird dauern. Ich bestelle schon mal ne Milch, zwei Käsesemmeln ohne Tomaten und für Fritz ne Laugenstange und ein Cola light. Ich geb dir die - warte mal - genau - mit Pfand für die Flasche - 5€40."

      Ohne dass es mir auffällt bestellt Fritz bei der normalen Bestellaufnahme noch einmal und zwar ein Fanta classic mit einer Pizzatasche. Kurt will nichts mehr von der "Bestellung Fritz" wissen. "Für den bestell ich grundsätzlich nichts" meint er auf meine Erinnerung. Kurzum, das Essenholen entwickelt sich zum Alptraum und frisst einen beträchtlichen Teil meines Taschengeldes wieder auf. Dabei sind die Kollegen der Gruppe so nett und hilfreich. Ich fühle mich auch voll akzeptiert und anerkannt, obwohl ich nur Praktikant bin. Langsam zweifle ich auch an meinem Verstand. Ich muss das doch in den Griff bekommen, kann doch nicht so schwer sein.

      Frau Kurz am Kiosk sieht es mir am Gesicht an, dass meine Laune von Tag zu Tag schlechter wird.

      Neugierig fragt sie: "Na schon gut eingelebt hier in der Firma?"

      "Ja, interessante Tätigkeit" erwidere ich "und nette Kollegen. Nur das Einkaufen - irgendwie klappt das nicht so recht."

      Sofort ist ihr klar:" Defizit in der Kasse, wie?"

      Ich kleinlaut:"Ja, woher wissen sie das?"

      Jetzt kommt sie hinter dem Tresen vor und nimmt mich auf die Seite: "Das machen die doch mit allen Praktikanten. Verwirrspiel mit den Bestellungen, gezielt abzocken, dabei freundschaftlich auf die Schultern klopfen. Das hat System. Kaum biste weg lachen die sich kaputt."

      "Ach soo!" reagiere ich entrüstet.

      Nun legt sie mir ihren Arm um die Schulter und bugsiert mich nach hinten in den Aufenthaltsraum der Frauen. Zum Glück ist da niemand. Dann öffnet sie den Spind zieht einen Zettel heraus und sagt: "Nimm mal diesen System-Bestellschein, hat ein Vorgänger von dir entwickelt. Da sind auch sämtliche Preise drauf. - Moment noch - lass gucken! Ja stimmt noch alles! Und zeig mal etwas mehr Selbstbewusstsein. Bestellungen zwischendurch nur noch schriftlich, und so!" Dann geht sie zum Kopiergerät und macht mir 20 Exemplare.

      Tatsächlich, nach zwei Wochen Chaos stimmt die Kasse zum ersten Mal. Ich merke auch, dass ich in der Achtung der Kollegen gestiegen bin. Sie sehen von alleine von den "Sonderbestellungen" ab.

      Mit Erika, wie ich Frau Kurz jetzt nenne, entwickelt sich fast ein mütterliches Verhältnis. Man findet häufig Gelegenheit, um über die internen Strukturen des Betriebes zu plaudern. Sie ist schon über zwanzig Jahre dabei.

      Die einzelnen Abteilungen dürfen jedes Jahr wahlweise einen Betriebsausflug oder eine Weihnachtsfeier veranstalten. Geht allerdings nur in der arbeitsfreien Zeit. Es würde sonst den Betriebsfluss zu sehr stören, wenn die eine Abteilung feiert, die andere arbeitet. Aber immerhin zahlt der Betrieb vom Frühstück bis zum Abendessen alles. Außerdem gibt es an Weihnachten kleine Präsente und am Betriebsausflug findet irgend ein Event statt, mit freiem Eintritt.

      Erika fragt mich: "Du gehst doch am Betriebsausflug mit? Das würde ich mir nicht entgehen lassen. Nach dem Abendessen findet noch eine Tanzveranstaltung