Henry Söllbach

Schwingungen und Wellen


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nach unten. Dann beugt sie sich nach vorne unten und stützt sich mit den Händen ab. Martin ist ganz nahe dran und staunt nicht schlecht. Vielleicht aus Stolz oder aus einem Überlegenheitsgefühl heraus spreizt Laura auch noch ihre Beine, soweit es das Höschen an den Fesseln erlaubt. Ich weiß nicht welcher Teufel mich reitet, aber plötzlich zupfe ich eine Brennnessel, die zur Türe hereinragt und halte sie Martin hin. Dieser nimmt sie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und streicht damit zwischen Lauras Beine. "Aua", brüllt Laura und dreht sich um. Wortlos zieht sie sich an und verschwindet.

      Von nun an ist mein Vertrauensverhältnis zu Laura nachhaltig gestört. Spielen in der Öffentlichkeit ja, aber keine Besuche durchs Fenster und keine Intimitäten mehr.

      Strategiespiele

      Mädchen werden jetzt immer uninteressanter. Stärke und Selbstverteidigung ist das Thema der Dorfjugend. Zu diesem Zweck basteln Martin und ich aus Holzbrettern und Latten Schwerter und Dolche. Mit ein paar Hühnerfedern als Kopfschmuck sind wir richtige Indianer: Mutig und unbezwingbar. Leider fehlt es an einem geeigneten Feind, dem man Respekt beibringen könnte.

      Plötzlich kommt uns der Gedanke: Udo, ein Nachbarjunge, könnte mal eine Abreibung vertragen. Er ist immer frech und versteckt sich bei Gefahr hinter dem Rockzipfel seiner Mutter. Also beschließen wir das Kriegsbeil auszugraben und in Indianermanier auf das Nachbargrundstück zu schleichen, um Udo zu überraschen. Während wir in leicht gebückter Haltung ums Haus schleichen, nähert sich von hinten unbemerkt die Mutter von Udo. Blitzschnell entreißt sie mir mein edles Schwert, legt mich übers Knie und versohlt mir kräftig den Hintern. Schreiend vor Schmerz renne ich zurück zu unserem Hof. Martin ist dem Massaker entgangen. Schlimmer als der Schmerz ist aber die Schande, mit den eigenen Waffen geschlagen zu sein, und das von einer Frau!

      Mutter hat mich gleich in Empfang genommen und meinen schmerzenden Hintern untersucht. Striemen und ein leichter Bluterguss, ist ihre Diagnose. Sie erwägt Protest bei der Nachbarin einzulegen, oder gar die Polizei einzuschalten. Schnell beschwichtige ich meine Mutter und betone, dass alles nicht so schlimm sei und auch nicht mehr so weh tue. Ganz im innersten sagt mir eine Stimme, die Strafe sei doch gar nicht so ganz unverdient.

      Später baut man dann Pistolen- und Gewehrattrappen. Im Dorf werden Strategiespiele veranstaltet. Wir teilen uns in zwei "verfeindete" Mannschaften und treiben uns in den Scheunen und Hecken des Dorfes herum. Jeder, der einen "feindlichen" Spielkameraden sieht, muss sofort und laut rufen: "Peng - du bist tot!" Was dann zum Spielausschluss führt.

      In unsrer Phantasie werden die Waffen Wirklichkeit. Eine Gänsehaut läuft einem über den Rücken, wenn man ein verdächtiges Geräusch hört. Das "Peng -...." des Gegners führt fast zu einem Herzstillstand, so intensiv haben wir uns in das Kriegsspiel vertieft. Wir kennen bald jede Scheune von innen. Grundstücksgrenzen lösen sich auf. Die Bauern kümmern sich überhaupt nicht um uns, da Diebstahl oder Sachbeschädigung nie vorkommt.

      So nach und nach werden die Waffen immer schärfer. Zuerst Pfeil und Bogen, dann die selbst gebaute Armbrust. Klar dass man mit so gefährlichen Waffen nicht mehr gegeneinander kämpfen kann. Unsere Eltern warnen uns, dass ein Treffer ins Auge lebenslangen Schaden nach sich ziehen kann. Dieses Gleichgewicht des Schreckens führte zu einer Sublimierung. Das Kämpfen wird durch sportlichen Wettkampf ersetzt: Wir schießen auf Scheiben oder auf Vögel, wobei dazu die Treffsicherheit nicht ausreicht.

      Kater Mikesch

      Ein schöner Zeitvertreib, wenn mal wieder überhaupt nichts los ist, ist der Umgang mit der Hauskatze. Man kann sie zwar, im Gegensatz zu einem Hund, nicht dressieren, aber für ein wenig Futter lässt sie sich überall hinlocken oder ist sofort zur Stelle, wenn man nach ihr ruft. Von klein auf an Menschen gewöhnte Katzen sind auch sehr verschmust. Wenn sie satt sind, streichen sie einem ums Bein, sitzen ausdauernd auf dem Schoß und schnurren. Haben sie Hunger, fangen sie an zu betteln.

      Besonders angetan hat es mir ein völlig verwilderter, herum streunender Kater. Ich nenne ihn Mikesch. Er schleicht sich täglich zum Futternapf und frisst die Reste unserer Hauskatzen. Sobald man aber in seine Nähe kommt nimmt er Reißaus. Er ist weiß mit grauen Flecken, hat einen relativ großen Schädel und eine breite Schulter. Der restliche Körper ist dünn, der Bauch eingefallen. Diesen Burschen zu zähmen setzte ich mir zum Ziel. Sein unbändiger Hunger wird mir dabei behilflich sein. So oft ich Zeit habe reichere ich die Reste im Futternapf mit einigen Happen von Delikatessen an und warte in einiger Entfernung auf sein Kommen. Als er erscheint, fixieren mich zuerst seine grünen Augen, dann blickt er zum Futternapf. Keiner rührt sich. Nun weiche ich demonstrativ etwas zurück und er traut sich zum Futter. Während er hastig frisst, dabei aber immer wieder nach mir schaut, bleibe ich regungslos stehen. In den nächsten Tagen halte ich die Distanz aufrecht, aber dann beginne ich diese von Tag zu Tag zu verringern, wobei ich mich sofort zurückziehe, wenn ich merke es wird zu viel. Nach einigen Wochen bin ich auf Knien etwa eine Körperlänge entfernt. Er frisst nach wie vor hastig und verschwindet sofort wieder. Nun möchte ich ihn berühren. Langsam strecke ich ihm meinen Arm entgegen, er weicht aus. Tage später erreicht mein Zeigefinger sein Fell am Rücken. Sofort zuckt er zusammen und rennt davon, obwohl noch genügend Futter vorhanden ist. Ob er wohl überhaupt noch einmal kommt? Beim nächsten Mal lasse ich ihm wieder Zeit, um ihn beim übernächsten Mal wieder mit meinem Finger zu konfrontieren. Hungrig frisst er weiter und biegt seinen Körper weg. Aber dann erreiche ich seinen Kopf. Ich beginne vorsichtig den Hals an der Seite zu kraulen. Es herrscht eine Spannung zwischen Hunger und geschehen lassen. Bevor er mit dem Fressen fertig ist ziehe ich mich etwas zurück, so dass er sich gemächlich davonschleichen kann. Jeder Fluchtreflex sollte vermieden werden.

      Eines Tages ist es soweit, er beginnt das Kraulen zu genießen, wenn auch nur wenige Sekunden. Nun ist er besiegt.

      Abwechseln mit Streicheleinheiten und Wurststückchen bringe ich ihn in wochenlanger Kleinarbeit dazu, dass er an meinem Körper hinaufklettert und sich genüsslich auf meine Schultern legt. Das geht so lange, bis er so viel Vertrauen hat, dass ich mit ihm in dieser Position sogar mit dem Fahrrad fahren kann. Mikesch ist mein Zirkuslöwe.

      Wir werden unzertrennlich. Jede freie Minute verbringe ich mit Mikesch, mal mit Dressur, mal einfach zum entspannen. Dann liegen wir auf dem Sofa, er auf meinem Bauch. Wärmewellen werden ausgetauscht, die Herz und Atemfrequenz erspürt und über allem liegt das zufriedene Schnurren.

      Mäuse- und Vogeljagd

      Bei der Bergung von Strohballen auf dem Feld fällt mir auf, dass in diesem Jahr unter jedem zweiten Ballen eine Feldmaus sitzt. Die Mäusepopulation schwankt von Jahr zu Jahr. In diesem Jahr scheinen es besonders viele zu sein. Was liegt näher, als Mikesch daran zu beteiligen. Ihn mit aufs Feld zu nehmen funktioniert nicht. Katzen sind ortsgebunden. Er würde sich auch weigern Traktor zu fahren. Deshalb muss die Maus eben der Katze gebracht werden. Entfernt man den Strohballen, so versucht sich die Maus zu verdrücken. Wenn kein Loch in der Nähe ist, nimmt sie den nächst besten Unterschlupf. Diesmal steckt sie unter einem kleinen Haufen Stroh, aber nur mit dem Kopf. Es ist wie bei kleinen Kindern, die sich die Augen zuhalten und rufen:"Such mich!" Jetzt muss ich das Tier nur beherzt direkt hinter dem Kopf am Fell packen, sonst dreht es sich um und zwickt. Es gelingt mir! Ich erwische die Maus und habe das Fell zwischen Daumen und Zeigefinger. Nun weiß ich nicht, ist es die behinderte Atmung oder ein Reflex (sowohl Katzen als auch Mäusekinder werden so getragen), jedenfalls ist sie starr vor Schreck. Schnell laufe ich zum Traktor und verstaue sie im Werkzeugkasten. Zu Hause angekommen rufe ich Kater Mikesch und schleppe ihn an den Kerker. Zunächst hat er Angst vor der fremden Umgebung. Mit allen vier Beinen wehrt er sich, als ich ihn in die Öffnung des Werkzeugkasten schieben will. - Bis die Maus den Fehler macht und sich bewegt. Sofort schießt er nach vorne in den Kasten und schnappt sich die Maus. Er springt vom Traktor und verspeist sie in einer ruhigen Ecke des Hofes. Von nun an bringe ich fast täglich Beute mit. Manchmal auch mehrere Mäuse. Mikesch muss auch nicht mehr gerufen werden. Sobald der Traktor in den Hof einfährt und ich darauf sitze springt er auf und lauert am Werkzeugkasten.

      Nun ist die Ernte vorbei. Es gibt keine Mäuse mehr von mir. Mikesch muss wieder selber jagen oder eben hungern. Da fällt mir eine neue Futterquelle ein. Auf dem Hof gibt es viele Spatzen. Die gelten als Schädlinge, weil sie Getreide fressen, allerdings nur das herum verstreute, für das sich niemand interessiert.