Henry Söllbach

Schwingungen und Wellen


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Leidenschaft für das Luftgewehrschießen hatte nun endlich auch noch einen Nutzeffekt. In einem Maschinenschuppen, der etwas abseits vom Hof liegt, lege ich mich auf die Lauer. Gegenüber ist ein Zwetschgenbaum und ich brauche nicht lange zu warten, da sitzt ein Sperling direkt vor meiner Flinte. Ich drücke ab, der Vogel fällt wie eine Stein vom Baum. Stolz präsentiere ich die Trophäe Kater Mikesch. Nach kurzer Zeit hat er die Nahrungsbeschaffung durchschaut. Sobald ich mit dem Gewehr im Schuppen verschwinde sucht er schon den entsprechenden Baum. Peng! Und Mikesch fängt die Beute auf. Wehe wenn ich mal danebenschieße. Dann sieht mich Mikesch mit seinen grünen Augen vorwurfsvoll an: "Du Flasche hast wieder mal nichts getroffen!" Unter den Vögeln hat sich das natürlich auch mit der Zeit herumgesprochen, so dass immer seltener welche auf den Bäumen rund um den Schuppen zu sehen sind. Im Hofraum ist das Schießen aber zu gefährlich.

      Nun fällt mir auf, dass sich sehr viele Spatzen im Hühnerstall aufhalten. Dort fressen sie, zum Unmut meiner Mutter, das Legekorn für die Hühner. Ich schleiche mich an und ziehe die Türe zu. Nun muss ich noch die beiden kleineren Öffnungen für die Hühner schließen und die Spatzen sitzen in der Falle. In Ruhe besorge ich mir ein Kistenbrett und dringe in den Hühnerstall ein, dabei entwischen natürlich einige Spatzen. Die übrigen fliegen aufgeregt hin und her. Treffsicher klatsche ich Spatzen im Flug mit dem Brett. Dabei brechen sie sich meist das Genick und sind sofort tot. Mikesch hat wieder eine üppige Futterquelle und der Verlust an Legekorn wird deutlich weniger. Denn nach so einer Vernichtungsaktion meiden die Spatzen den Hühnerstall für einige Tage. Ich bemerke, dass sich in mir etwas grundlegend geändert hat. Die Spatzen werden nicht mehr nur sportlich gejagt; es baut sich ein Hass gegen die armen Kreaturen auf. Wie im Rausch schlage ich im Stall nach den umherfliegenden Vögeln. Es geht mir auch nicht mehr nur um Futter für den Kater. Das geht so bis ich eines Tages den Kater an der Vernichtungsaktion direkt beteiligen möchte. Ich schleppe ihn in den Hühnerstall, er wehrt sich dagegen, aber ich bin schneller als er entweichen kann. Nun sitzt er da. Unmengen von Vögeln schwirren über seinem Kopf. Instinktiv greift er sich einen mit den Krallen und beginnt ihn zu verzehren. Das geht natürlich zu langsam also beginne ich wieder meine Vernichtungsaktion mit dem Brettstück. Nun lässt Mikesch von seiner Beute, drängt sich an die Ausgangstüre und beginnt zu Miauen. Da bemerke ich, dem Kater wird das zu grausam. Er verbirgt sein Angesicht ob dieser Brutalität. Was bin ich doch für ein erbärmlicher Mensch! Wieso bin ich so begierig diese armen Kreaturen auszulöschen?

      Nun fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Das war ja die gleiche Strategie, die einst ein Adolf H. mit seinen Getreuen bei Menschen vollzogen hatte! Herbeiführung einer Endlösung. Mein Körper zittert, Schweißausbruch. Tagelang verstecke ich mich, dann kommt der Entschluss: In den Ferien besuche ich ein Jugendcamp der Gruppe "Holiday for Jesus". Mutter, gut evangelisch, konnte dem nur zustimmen.

      Freizeit

      Es ist nach Angaben der Veranstalter eine kleine Freizeit. Es sind gerade mal die Mindestanzahl von 12 Teilnehmern: 4 Jungen und 8 Mädchen im Alter von 16 bis 19 Jahren. Der Leiter ist Alfred, ein Versicherungskaufmann aus Essen. Wir treffen uns in Bozen in Südtirol und sind in einer kleinen Pension in Mehrbettzimmern untergebracht. Ich komme am Sonntagabend mit dem Zug an. Einige kamen mit dem Privat PKW. Anfangs komme ich mir etwas unsicher und einsam vor, da ich niemanden kenne. Die anderen erinnern sich an frühere gemeinsame Freizeiten oder kommen aus der selben Gemeinde. Aber für Alfred war das überhaupt kein Thema: Wir gehören alle zu seiner "Familie" und vor allem zu Jesus. Schnell stellt sich eine Vertrautheit unter den Teilnehmern her. Alfred hat schon die Zimmerbelegung parat - weibliche und männliche Teilnehmer getrennt, versteht sich. Gegen 19 Uhr gibt es ein einfaches Abendessen. Anschließend trifft man sich im Gemeinschaftsraum. Das Programm der Woche: Bergwandern, Besuch eines Erlebnisbades und Sonntag Gottesdienst mit Abschluss. Das Frühstück wird serviert aber für das Abendessen muss ab morgen die Gruppe selbst sorgen. Man merkt dass Alfred das alles schon mehrmals geplant hat. Jeder zieht ein farbiges Bonbon und schon sind die 4 Kochgruppen a 3 Personen festgelegt. Dann teilt er eine Rezeptsammlung von ca. 20 Menüs mit Einkaufsliste und Zubereitungshinweisen aus. Jede Gruppe sucht sich zunächst eines aus. Wir wählen Linsen mit Nudeln und Wiener Würstchen. Katja, eine Schwäbin, meint das müsse Spätzle heißen, aber das sei zu aufwändig wir nehmen Spätzle Nudeln aus der Packung. Eine lustige Diskussion über Zutaten entsteht. "Hat jemand eine Lebensmittelallergie" fragt Alfred in die Runde. "Ja ich mag keinen Fisch" ruft eine Teilnehmerin. Alfred erwidert: "Da können wir keine Rücksicht nehmen. für dich gibt`s dann an diesem Abend eben Spiegelei! So, die ersten 4 Tage sind gesichert, lasst mal hören." Dann bestimmt er die Reihenfolge der Kocheinsätze, zu denen auch das das Einkaufen gehört.

      Nach dieser Arbeit in Kleingruppen setzen wir uns in einem großen Kreis zur Vorstellungsrunde.

      Das Thema der ersten Bibelarbeit war aus Matthäus 6 Vers 26: "Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?"

      Sofort schießen Wellen durch meinen Körper. Gott oder Jesus liebt die Vögel - ich habe sie sinnlos getötet - eine schwere Sünde!

      Aber Alfred spricht gar nicht über die Tiere sondern meint das Gleichnis bezieht sich auf uns Menschen. Wir sollen uns nicht zu viele Gedanken über unser Leben machen: Was sollen wir anziehen, die roten Zahlen auf unserem Konto, die kleinen Wehwehchen. Und unser Leben soll sich schon gar nicht nur mit dem Anhäufen von Reichtum beschäftigen. Schätze im Himmel sollen wir sammeln und das sind die Beziehungen zu Gott und den Menschen. Leben wir im Heute. Was kann ich für meinen Nächsten heute tun. Für das Morgen sorgt unser Vater im Himmel.

      "Wer's glaubt wird selig" denke ich. Aber dann bedrückt mich doch noch die Beziehung zu den Tieren. "Stehen in der Bibel auch Regeln für den Umgang des Menschen mit den Tieren? Gilt da auch das Liebesgebot", frage ich Alfred im Anschluss an die Bibelarbeit unter vier Augen. "Relativ wenig! Im Alten Testament in der Schöpfungsgeschichte und die Rettung aus der Sintflut in Noah's Arche, fällt mir spontan ein" erwidert Alfred. "Im Neuen Testament werden Tiere nur als Gleichnisse für Menschen erwähnt.".Ich hake nach: "Dann hat Jesus nichts mit Tierschutz am Hut! Wäre doch schade bei den Problemen heutzutage!"

      "Es gibt Schriften, in denen erzählt wird, dass Jesus in seiner Jugendzeit Vögel aus Käfigen befreit habe und sogar einen toten Vogel zum Leben erweckt haben soll, aber diese Schriften sind in der Theologie nicht anerkannt, da man deren Herkunft und Entstehungsalter nicht nachweisen kann" erklärt Alfred hinter vorgehaltener Hand, "wir werden uns in den Bibelarbeiten mit dem Menschen und seiner Beziehung zu Gott beschäftigen. Das ist das Hauptproblem diese Erde. Das Tierreich regelt sich selbst."

      Und da war er bei der Frage, die sich durch die ganzen Tage ziehen wird: "Wie ist dein Verhältnis zu Jesus? Hast du ihm dein Leben übergeben?"

      Da kann er von mir keine Antwort erwarten. Mein Leben gestalte ich selbst. Alles schleifen lassen und auf Entscheidungen von Gott oder Jesus warten, wie naiv ist das denn? Dieser permanente Erwartungsdruck von Alfred und der Mehrheit der Teilnehmer empfand ich als das einzig negative dieser Freizeit. Ansonsten war es eine ausgesprochen tolerante fröhliche, ja herzliche Gemeinschaft, die ich dabei erlebt habe.

      4. Türkeireise

      Bei einem kurzen Klinikaufenthalt, wegen einer chronischen Mandelentzündung, der Arzt meinte diese unnützen Dinger müssen raus, habe ich einen türkischen Gastarbeiter als Zimmergenossen: Ali Sentürk. Wir verstehen uns sehr gut. Bei der Einschätzung der Schwestern sind wir uns weitgehend einig: "Nachtschwester-Beißzange, Schwester Hilde - sehr schön ......"

      Eines Tages macht er mir ein Angebot: "Du mit mir in die Türkei fahren!" Ich antworte nach kurzer Überlegung: "Ich kann nicht in die Türkei reisen. Ich Schüler und nix Geld!" Ohne zu zögern kontert er: "Du nix bezahlen, du mit mir fahren!" Nun, so ein Angebot bekommt man nicht jeden Tag. Um Zeit zu gewinnen antworte ich: "Da muss ich erst meine Eltern fragen". Das versteht er natürlich, Adressen werden ausgetauscht. Nachdem ich zuerst mich, dann meine Eltern von der Einmaligkeit Land und Leute in der Türkei kennen zu lernen überzeugt hatte, besuche ich Ali Sentürk und sage zu.

      Zu Beginn der Sommerferien reisen wir mit einem VW Passat ab. Vorne sitzen Ali und seine Frau Selin, hinten sitzen Sohn Cemal (10 Jahre),