Henry Söllbach

Schwingungen und Wellen


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Die christlichen Tugenden sind: Glaube an Gott, Hoffnung auf Gottes Handeln und die Wiederkehr Christi, Liebe von Gott und für den Nächsten, aber auch Weisheit im Leben, Gerechtigkeit gegen jedermann, Tapferkeit gegen Leid, Angst und Tod und Mäßigung im Lebensstil d.h. nicht zu viel fressen, saufen, fluchen, Sex und Geld. Auch das Bewusstsein, dass Menschen fehlbar sind gehört dazu."

      Sofort wendet Opa ein: "Und wo sind diese perfekten Christen? Ich sehe nur Gegenteil!"

      " Sie sind über alle Kontinente verstreut. Über die liest du ganz wenig in der Zeitung und erfährst auch nichts im Fernsehen. Sie treffen sich in kleinen Gemeinden, arbeiten häufig in Krankenhäusern und Missionsstationen, unter den Armen", ergänze ich, "und sie vereint der Glaube an Jesus Christus den Sohn Gottes, der ihr Leben bestimmt."

      "Allah, oder Gott, hat keinen Sohn" sagt Opa bestimmend, es gibt nur Propheten vom großen und einzigen Allah, Jesus ist einer davon. Mohammed ist aber der letzte Prophet.

      Ich sage dir Beispiel: Du findest von deine Opa ein Testament. Später findest du ein anderes, das ist abgeändert. Welches ist gültig?"

      "Das mit dem neuesten Datum," erwidere ich.

      "Richtig", fährt Opa fort, "der Koran ist jünger als die Bibel der Christen. Also gültig! Das gültige wird sich durchsetzen. Es allein hat Segen. Deshalb haben Muslime auch mehr Kinder als Christen. Wenn die meiste Menschen im Haus des Islam sind und sich die muslimische Brüder nicht mehr streiten, dann gibt Frieden!"

      Jetzt schaut mich Ali an. Als ob er denkt: So jetzt hat er dich!

      Etwas kleinlaut erwidere ich: "Manche Muslime meinen ihren Glauben mit Gewalt und Einschüchterung verbreiten zu müssen."

      Opa lächelt siegessicher: "Das sind nur die Ungeduldigen. Jugend ist ungeduldig. Ich kann warten bis der Siegeszug des Islam die Welt erobert hat. Wenn Allah es gefällt werde ich es vielleicht auch nicht mehr erleben." Dann steht er auf greift nach seinem Spazierstock und geht von dannen.

      Die nächsten Tage geht mir immer wieder der Gedanke durch den Kopf: Sollte Gott der Allmächtige tatsächlich mehrere Testamente verfasst haben. Sind daraus die unterschiedlichen Weltreligionen entstanden? Und welches soll das letztgültige sein? Es gibt auch Testamentfälscher! Gültig, so reift bei mir eine Gewissheit heran, ist sicherlich jenes, das dein Herz berührt. Mit dem du in Resonanz kommst. Du musst danach suchen. "Suchet so werdet ihr finden ..."

      Zum Glück habe ich mir einiges zum Lesen mitgebracht, denn im Grunde ist es immer wieder auch etwas langweilig hier. Solche Gespräche wie gestern sind selten. Ali hat viel zu tun. Manchmal nimmt er mich zu Besorgungen mit, manchmal auch nicht. "Muss weg - viel Arbeit, nichts für dich - du hast Urlaub" sagt er dann. Vielleicht schätzt er auch meine handwerklichen Fähigkeiten richtig ein. Betonbau oder Fließen legen ist nicht so mein Ding.

      Eine gewisse Abwechslung bringen die Kinder. Ihnen beim Spielen zuzusehen ist gute Unterhaltung. Am Spätnachmittag erscheinen öfters auch drei ältere Enkeltöchter vom Großvater. Sie dürften so zwischen 16 und 19 Jahre alt sein. Immer top chic gekleidet. Natürlich in langen Röcken und mit einem Kopftuch, das aber eher die schönen Haare betont als verdeckt. Die Kleider sind farbenprächtig und mit Stickereien verziert. Ob die Gesichter geschminkt sind kann ich aus der Distanz nicht sehen. Jedenfalls allemal eine Augenweide diese Grazien. Ab und zu werde ich von ihnen zu einem Ballspiel aufgefordert, meistens Federball. Was auffällt: Die Mädels sehen einem nicht ins Gesicht. In Gegenwart von mir und vermutlich allen Männern ist ihr Haupt gesenkt. Beim Spiel fixieren sie den Ball bzw. den Federballschläger, aber nie die Augen, was ich von mir nicht behaupten kann. Ins Gespräch komme ich mit ihnen nicht nur wegen meiner fehlenden Türkischkenntnisse nicht, sondern wegen der ausgeprägten Schüchternheit. Die einzige Kommunikation ist "Hallo" von mir und Gekicher der Mädchen.

      Besuch in Esenceli am Ömerli-Stausee

      Am Sonntag fahren wir, Ali mit Familie, Opa und Oma zum Ömerli-Stausee. Er ist das Trinkwasserreservoir von Istanbul und von daher sehr sauber. Ali kennt ein verborgenes Uferstück in der Gegend von Esenceli. "Hier haben Selin und ich uns kennengelernt, schön einsam hier, du verstehst", flüstert mir Ali zu. Teppiche werden ausgebreitet, Teller und Tassen verteilt. Es gibt Picknick. Das Geschirr wird anschließend an einem kleinen Steg gespült. Wir brechen zu einen Spaziergang am See entlang Richtung Esenceli auf. Opa und Oma kommen nicht mit, sie haben es sich auf Campingstühlen am Steg gemütlich gemacht und beobachten den See. Es ist ein Rundweg von etwa 2 Stunden. Er führt auf dem Rückweg oberhalb des Sees durch den Wald.

      "Siehst Du die Häuser und die Mauer herum?" fragt mich Ali und zeigt nach oben. "Das ist Villa von Deutschem, besser du sagen Schloss dazu" meint Ali, "er fährt Auto mit Duisburger Nummer."

      Ich frage nach:"Arbeitet der hier oder in Istanbul?"

      "Nein", meint Ali, "er macht Urlaub. In einem Nebengebäude wohnt ein türkischer Mann und eine Frau, die sind angestellt und das ganze Jahr hier, aber niemand kennt sie. Man sagt in der Villa werden arme Mädchen von der Straße in Istanbul aufgenommen. Deutscher hat viel Geld und zahlt alles."

      Die drei Wochen sind fast um. Am letzten Tag lädt mich Opa wieder zu einem Gespräch ein, in dem er sich zu mir auf die Bank setzt und Ali herbeizitiert.

      "Gefallen dir die drei Mädchen, mit denen du Ball spielst?" beginnt er, "du kannst eine haben. Ali soll bei nächsten Besuch als Brautwerber mit Familie verhandeln."

      Ich bin entsetzt, reiße mich aber zusammen und antworte: "Ich kenne die Mädels doch gar nicht, da kann ich doch keinen Heiratsantrag machen!"

      "Dein Herz muss sprechen, das reicht. Das andere ist Verhandlungssache" erwidert Opa.

      "Verhandlungssache" - mir bleibt die Spucke weg - "bei uns geht das so: Erst lernt man sich kennen und lieben, dann kommt der Heiratsantrag!" erwidere ich.

      Opa wieder mit einem erhabenen Lächeln im Gesicht: "Wo halten die Ehen länger, bei euch oder bei uns? Die junge Leute haben keine Erfahrung. Können gar nicht wissen was ist auf Dauer gut."

      Nach einem Atemholen fährt er fort: "Ich dich kenne, du bist guter Mensch. Und ich kenne meine Enkel. Ich kann dir sagen ob das passt. Also überlege es dir gut. Gutes Angebot, gute Frauen. Und denk daran türkische Frauen sind treu, nicht so selbstsüchtig wie die deutschen. Dafür sind auch die türkischen Männer gut zu Frauen. Eine gute Frau ist Besitz wie ein Edelstein. Man passt auf, wirft ihn nicht achtlos weg, man behandelt ihn gut."

      Kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert. Ali sagt diesbezüglich auch nichts mehr. Packen ist angesagt. Am nächsten Morgen ist Abfahrt.

      In der Mittagspause habe ich die Gelegenheit mit Ali allein zu sprechen. Selin ist am Essen richten.

      "Sag mal Ali, du kennst doch beides, die westliche und die östliche Einstellung zu Frauen. Was würdest Du bevorzugen?"

      "Wenn ich entscheiden müsste, die östliche! Ist doch nix mit dauernd Partnerwechsel. Jeder und jede betrügt jeden. Keine Sicherheit und Gefühle fahren Achterbahn. Macht kaputt oder stumpft ab. Männer jagen jedem Rock nach, kein Wunder bei der kürze, machen sich lächerlich. Deshalb sagen viele Muslime von deutschen Frauen sind Huren. Natürlich nicht laut."

      "Aber Ali" entgegne ich "bei uns herrscht sexuelle Selbstbestimmung. Wenn zwei erwachsene Menschen sich einig sind und kein Dritter beteiligt ist. Wo ist da etwas verwerfliches?"

      "Opa hat schon recht", meint Ali weiter, "Frau ist wertvoller Besitz. Gibt man nicht weg. Frau ist auch dankbar, wenn sie hat guten Mann. Dadurch wächst sehr tiefe Liebe. Könnt ihr euch gar nicht vorstellen mit eurer oberflächlichen Sex-Liebe. Haben in muslimischen Ländern auch weniger Probleme mit Aids- Allah sei gelobt- als in christliche Länder."

      "Dafür hat die Frau wenig Rechte in eurer Gesellschaft", entgegne ich, "Männer bestimmen, Frauen müssen dienen. Und wenn sie einen schlechten Mann haben, den sie sich nicht mal selbst aussuchen konnten, so müssen sie ein Leben lang leiden."

      Empört entgegnet Ali: "Das ist falsch. Frau bestimmt viel in muslimische Familie. Man muss sie bei guter Laune halten sonst geht es dem Mann schlecht. Einige verfallen dem Alkohol oder Drogen, wenn Ehe schlecht.