Gabriele Ried-Hertlein

Karibikstrand


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Schneegestöber da draußen ist doch wirklich zauberhaft, z a u b e r h a f t !"

      "Und so ein Jammer",

      setzt Leo mit betont ernstem Gesicht nach und kommt mir in der weiten Rechtskurve samt der Tennisschlägertasche auf seiner Schulter gefährlich nahe,

      "...und es ist ein Jammer, dass wir gerade jetzt nichts mehr davon haben werden!!!"

      Grinsen bei den echten Stoikern und Coolen. Mitte Dreißig höchstens, im Sommerhalbarmhemd und den Blick magnetisch auf das Handy gerichtet. Die eine entspannt ruhige Nacht vor der Abreise hatten und vollkommen sicher sind, alles im Gepäck zu haben, was man im Urlaub braucht. Die es locker schaffen, ein bisschen wahnsinnig zu eng in den Condor-Sitzen zwischen Snacks, zwei Unterhaltungsfilmen und Displaytouch den Schlafmodus einzuschalten. Für elf lange Flugstunden Richtung Karibik. Für ganze sieben L'TUR-Urlaubstage. Aber ohne Schneetreiben, Bürostress und Februar-Kälte. Zum Kurz-mal-Sonne-Tanken.

      Die Mehrheit in diesem winterkalten Bus verzieht keine Miene. Die angespannten Senioren, die zum ersten Mal ein All-Inclusive-Hotel für 'Betreutes Wohnen im Winter' gebucht haben und zur Beruhigung ihr Käsebrötchen von zu Hause gleich in der Warteschlange vor dem Schalter verzehrten. Und die routinierten Repeater, die ganz, ganz früh, knapp vor Erscheinen des neuen TUI-Katalogs, gebucht haben und sofort mit säuselnder Stimme und null Sprachkenntnissen IHR Hotel anriefen. Und jetzt trotzdem um ihr Up grade-Wunschzimmer im Stammhotel bangen und deshalb vor der Abreise kein Auge zumachten.

      Die schneenasse Gangway des Thomas-Cook-Fliegers im Gänsemarsch hoch und gleich nach rechts in die erste Reihe der Premium Economy Class. Bei erreichter Flughöhe den Gott sei Dank direkt über uns in der Gepäckklappe verstauten Trolley mit dem Notfall-Zippbeutel wieder herunter wuchten und vor unseren Sitzplätzen abstellen.

      "Auf unseren Karibik-Urlaub!". Mein Kopf lehnt entspannt an Leos Schultern.

      "Unter Freunden, Prost Isa! Bella!"

      "Und Weniger-Freunden."

      "Denk nicht dran, Isa, vielleicht ist er ja krank. Und kann nicht kommen. Oder ist im neuen Hotel abgestiegen und treibt dort sein Spiel."

      "Prost, Leolein, immer wieder eine gute Idee auf Lager! Hoffentlich hast Du Recht."

      "Mir haaße Flink!", als ich nur kurz zur Reihe hinter uns blicke, um gleich meine Rückenlehne bequem nach hinten zu verstellen.

      "Mir sind für fünf Wochen im - Else, wo?"

      "Ach, des waas ich doch net mehr. Die Inge hinte hat die Unnerlaache, irschendwass mit Golden."

      "Wir heißen Stern, Sie sind bestimmt im Goldenstar, da sind unsere alten Freunde jedes Jahr. Wir sind ganz in Ihrer Nähe in einem der drei nebeneinanderliegenden ROY-Hotels. Im ROY-Palacio, neben dem romantischen ROY-Paradiso. Daneben steht das dritte Hotel, ganz neu, das ROY-Quadrate, und ….“ Leo kneift mich unsanft in die Seite und verrollt die Augen. „Und Sie haben nichts dagegen, wenn ich meine Rückenlehen nach hinten verstelle?"

      Herr Flink winkt mit heruntergezogenen Mundwinkeln ab.

      Die extrabreite Condor-Premiumdecke aus der Cellophanhülle genommen, die schmalen Riemchen an meinen Pumps geöffnet, in die blauen One-Size Condor-Welcome-Socken geschlüpft und mit ausgestreckten Beinen die Füße an die Trennwand zur Businessclass gestreckt. Passt! Ideale Körpergröße für die erste Reihe Premium Economy. Leo kann die Wand nur in Schräglage nutzen und legt seine Beine erst mal auf den Trolley vor uns.

      Ich tätschle Leos Hand auf meiner Decke.

      "Kannst Du mir meinen langen Pashmina-Schal aus dem Trolley unter deinen Beinen herausfischen. Elend eisig wird's von oben. Ich habe keine Lust auf lausige Bronchitis im Urlaub."

      Der ellenlange baumwollseidene Fast-Teppich kreist drei, vier Mal um meinen Kopf und ich höre die Kapitäns-Durchsage über irgendwelche Turbulenzen, durch die wir gleich fliegen werden, nur noch gedämpft, mit halb geschlossenen Augen. Windzittriges Rütteln, zuverlässig unregelmäßig und die gespannt aufmerksame Stille in den Reihen hinter uns wiegen mich über dem Atlantik perfekt in den Schlaf.

      "Ach! Das tut mir jetzt wirklich leid!", reißt mich ihre Stimme aus meinem kurzen Schlummer.

      "Ich habe noch nie einem Gast den bestellten Tomatensaft auf seine Hose gegossen! Auch nicht bei Turbulenzen wie gerade eben!"

      Eilt nach vorn zur Bordküche und ihr Williams-Vomberg-Namensschild wippt bei jedem Schritt hin und her, als sie mit feuchten Tüchern und Papierservietten zu dem korpulenten Herrn am Gangplatz in der Mittelreihe neben uns zurücksaust.

      Meine linke Hand fühlt sich zur Seitentasche unseres Trolleys vor, fischt aus dem Zippbeutel blind das schmale unentbehrlich Fläschchen aus der Zeit in meinem Parteibüro heraus.

      "Wollem Sie meimem Roll-Om-Fleck-Emtfermer?"

      Meine Lippen haben sich geistesgegenwärtig über die Zähne nach innen gezogen, um dem Schal die rote Lippenstiftfarbe zu ersparen.

      Die Tomatensaft-Stewardess dreht sich mit überraschtem Gesicht zu uns herüber.

      "Vom Dr. Beckmamm! Aus meimem Motfall-Zippbeutel vom Trolley vor ums."

      Ihren Mund zu einer konzentrierten Linie gezogen, hält sie das Etikett des Zauberrollers vor ihre Augen, die schnell hin und her flackern und schließlich unschlüssig an mir hängen bleiben. An meinem India-Pashmina-Kopf mit einem einzigen Minispalt für die Augen.

      "Bim wahmsimmig schmell erkältet. Wegem der Limaamlage vom obem", und wickle unwillig den perfekten Kälte- und Bakterienabfang von meinem Kopf.

      "Nur einmal drüberrollen und abwarten. Können Sie mir gern wieder zurückgeben nachher."

      "Danke, sehr nett, Frau von .... Frau Dr. Beckmann."

      Ich werfe den drei Meter langen Indiaschal gekonnt blitzschnell wieder über meinen Kopf, ertaste irgendwo unten die beiden Enden und kreuze sie mit vorgebeugtem Oberkörper hinter dem Hals, komme vom Hinterkopf wieder über das Gesicht zurück, schlinge ihn um das Kinn und nochmal über den Kopf und lasse wie vorhin den winzig schmalen Spalt für die Augen frei.

      "Virus Condoro, Wanderviren! Holt sich meine Frau jedes Mal auf einer Langstrecke mit der Condor!"

      Die nagelneue, tomatensaftruinierte Urlaubshose in der Mittelreihe dreht erschrocken den Kopf zu uns herüber, und Leo muss noch eins draufsetzen:

      "Chronischer Haarwurzel-Katarrh, Frau Williams-Vomfelde. Alles nur von der Klimaanlage!!"

      "V o m B E R G!"

      "Von der Klimaanlage!", protestiert Leo.

      "Vomberg, Williams-VOMBERG", und deutet auf ihr Namensschild.

      "Und die Fraa da vorn haast Stern, nicht Dr. Beckermann!",

      schaltet sich Herr Flink hinter uns ein, der sich schwerfällig aus seinem Sitz heraushievt und sich für seine Belehrung mit beiden Händen auf meine schräg gestellte Rückenlehne stützen muss, die bedenklich einsinkt. Und wird blass, als ein braun-schwarzer indischer Seidenwollschal mit einem Miniaugenschlitz sich zu ihm umdreht und ihm dankbar zunickt.

      Als wären wir nie weggewesen

      Gut, dass unsere dicken Winterjacken und Schals jetzt in dem extra leer gelassenen zweiten Trolley verstaut sind und dass es dieses Jahr nicht wie aus Kübeln vom Himmel gießt bei unserer Ankunft auf dem dominikanischen Flughafen. Der Gänsemarsch gleich nach der Gangway im schnellen Rollengeklapper hinter und neben uns auf dem miserabel unebenen Asphalt zur offenen strohgedeckten Punta Cana Airport-Halle und die Klänge der Drei-Mann-Band am Eingang samt dem Blitzlicht und kurzen Klacken für das Erinnerungsfoto für alle Neuangekommenen gibt uns jedes Jahr das Gefühl, angekommen zu sein.

      Das blaue Einreiseformular abgeben, Pass stempeln lassen, matt in der schwülen Luft unter einem Riesenventilator am Kofferband auf unser Gepäck warten. Alles wie immer. Kofferträger abschütteln, die zweimal 23 Kilo- und Handgepäck-Fracht selbst zum TUI-Empfangsschalter rollen und auf den Taxidriver