Gabriele Ried-Hertlein

Karibikstrand


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vier Stockwerke zu unserer Suite hochliefen. Gleich zur Terrassentür, das Fliegengitter zur Seite geschoben und die Wendeltreppe hoch, um uns ermattet auf die beiden windgeschützten Liegen der oberen Jacuzzi-Terrasse zu werfen.

      "Letztes Jahr wohnte der Pickel noch genau gegenüber", sinniert Leo, "wir im linken und er im rechten Flügel. Sichtkontakt, aber mit großem Abstand, den Garten und den Boulevard Gott sei Dank dazwischen."

      "Wunderbar, dass ich sein blödes kariertes Hemd nicht mehr auf der Terrasse hin und her wedeln sehe. Seine Besetzer-Fahne. Ich fühle mich irgendwie unbeobachtet jetzt hier oben! Großartiges Gefühl und ich könnte direkt einschlummern vor Beruhigung!"

      „Das Laufen zum neuen Quadrato-Kasten drüben macht Dich gleich wieder munter, Isa."

      "So was kannst nur DU wieder meinen. Wir hatten schon wahrhaftig viel Bewegung heute!"

      "Und Sport schadet nicht!", zuckt Leo die Achseln.

      Geduscht, in das dunkelblaue Cocktailkleid geschlüpft, die Treppen runter, durch den abendlichen Park gestöckelt und hoch zu unserer prächtigen Lobby, um am Haupteingang gegenüber wieder hinauszuhuschen Richtung Neubau.

      Geschäftige Schritte kommen von der Seite der Direktorenbüros direkt auf uns zu; den Kopf etwas zur linken Seite geneigt und den Blick immer wieder magnetisch nach unten gerichtet auf das Display seines Handys in seiner linken Hand. Stoppt blitzschnell vor uns ab und verbeugt sich militärisch knapp:

      "Ehepaar Stern, Sie sind gestern angekommen. Ich begrüße Sie herzlich!"

      Mit eingefrorenem geschäftlichem Gesichtsausdruck. Weil er eben Levy ist, der Businessdirektor. Für Levy aus Israel sind Gäste reine Umsatzzahlen in seiner Geschäftsbilanz. Und Levy ist Chef für alle, einschließlich seiner Umsatzzahlen.

      "Wir sind gerade auf dem Weg zum neuen Hotel. WEIL WIR DORT ZUM ABENDESSEN EINGELADEN SIND!"

      Leo gönnt sich diesen Report. Ich warte darauf, dass Levy jetzt unvermittelt in freundlichen Charme übergeht, wie ein cleverer Verkäufer, der seine Kunden nicht an die Konkurrenz verlieren will.

      "Ach, da wohnt doch auch Paul!!"

      Sein Businesskopf neigt sich wieder zur Seite in Erwartung, dass sich unser Gespräch ins Positive wendet beim Erwähnen des Urlaubersippenchefs.

      FRONTAL UNGENIAL, Herr Businessdirektor, diese Überleitung! Meine linke Schulter zieht sich fragend hoch:

      "Welcher Paul denn??"

      "Der Paul Pikle. Der sitzt jetzt im Rollstuhl!"

      Ist er wirklich so unsensibel, so gleichgültig und abgebrüht oder einfach vergesslich, welches Trauma dieser „Pickel" bei mir hinterlassen hat? Und hat er verdrängt, wie ungeschickt er selbst die ganze Geschichte im letzten Jahr angeheizt hat??

      "Kommen Sie aber wieder!", unterbricht er unser Schweigen und schüttelt uns heftig mit fragenden Augen die Hand.

      Und mir kommt der zusätzliche Koffer mit Baumaterial wieder in den Sinn, den ihm der Schlachter letztes Jahr für sein Privathaus auf der Insel mitbrachte. Material, das es in der Karibik nicht gibt, aber bei Hornbach, OBI, Toom und Bauhaus. Um sich seinen unübersehbaren High-VIP-Service zu sichern. Und die Freibriefe für seine Clan-Members, die nach seinem Anraten die billigste aller Kategorien buchen und mit devoter Anheftung an seine Seite in den Upgrade-Götterhimmel aufsteigen wollen. Wer im Clan aus dem Raster fällt, nur weil Melissa vielleicht mehr Suiten verkauft hat und Levys Jonglierfeld begrenzter wird, verfällt in tiefe Selbstzweifel und grüblerisches Misstrauen gegenüber anderen Suiten-Bewohnern.

      Ich werde das selbstverleugnende Wohlverhalten nie richtig verstehen und warte auf den großen Knall. Eines Morgens - eines Abends - irgendwann, wenn es niemand erwartet hätte.

      In zierlichen Pumps den langen Weg hinter zwei ROY-Hotels entlang zum Quadrato-Neubau, so etwas geht nur am Anfang eines Urlaubs, wenn die Füße noch nicht streiken. Die Kellner wuseln vor dem nagelneuen Restaurant, strecken uns gleich die Hände entgegen. Umarmungen, freudiges Wiedersehen.

      Die VIP-Pikles sitzen nicht zu übersehen outside. Vor dem Restauranteingang, für den besten Überblick und mit besten Chancen, gesehen zu werden. Wie früher in seinem 'Levy'-Hotel.

      Er stiert mich, sein besonderes Erlebnis vom Vorjahr, misstrauisch an, und auf seiner Schlachterstirn steht geschrieben: "Wenn die jetzt auch noch zum Abendessen kommen, dann gibt es keinen Zweifel, dass sie tatsächlich hier gebucht haben! Agneta hat Recht. Und ich habe noch nicht gesehen, welche Suite sie bekommen haben. Eine bessere als unsere??"

      Langsam steht er auf, hebt sich an den Rollstuhlgriffen fest und schiebt ihn wie einen Rollator vor sich her. Schwerfällig, links, rechts. Sein Gang war schon vorher nicht gerade federnd. Das Becken einseitig rausgeschoben, die Schulter auf derselben Seite hochgezogen. Langsam, lauernd, als ob er auf der Hut sein müsste. Vor einem Angriff von irgendwo her.

      Und seine groben Füße stecken wieder in knallroten weichen Outdoorschuhen. Die gleichen, die schon im letzten Jahr am gipsfreien Fuß getragen wurden, als er drei Wochen vor seinem Urlaub einen Unfall im Badezimmer hatte. Schlimm auf den Fliesenboden donnerte und sich den Fuß brach. So hatte es jedenfalls Agneta erzählt.

      Paul Pikle schiebt sich hautnah an unserem Tisch vorbei. Versucht lauernd, Öl in Zornesgräben zu schütten.

      Interessiert uns heute Abend nicht. Der Schlachter weiß nicht, dass wir nur ausnahmsweise und mit Einladung von Direktor Carlos hier essen.

      Es geht uns prächtig gut!

      Untergang im Palmengarten

      Samstag, 4. Februar

      Nach dem neuen, supercoolen ROY-Kasten Quadrato gestern brauche ich heute Morgen ein bisschen Romantik. Wir trinken ein Gläschen Sekt zum Frühstück und laufen in kaum zehn Minuten über den Wirtschaftweg hinüber zum romantischen Paradiso.

      Zum Geheimtipp für Betreutes Wohnen inmitten eines Palmengartens.

      Nur 150 Zimmer mit charmanter, altmodischer Möblierung. Nicht mehr blessurenfrei, genau wie die Rentnerveteranen der ersten Stunde: Herr Direktor Zierock/Betreuteswohnen und Gattin Irmintraude Spitzmund, Kalli und sein Liebchen Marejeet, der kettenrauchende Herr Schlatt/Reihe 7, die superreiche Hypochonderin Frau Kordel, der Hüne Kay/Kongo-Otto und seine Frau Raspel-Ria, Kasino-Gunnar, der schmächtige Harry Klappspaten und seine Frau Räucherhaken, Hardy/Coco, Flor und wir, die wir allesamt im Winter in Upgrade-Suiten mit zwei großzügigen halbrunden Balkonen und weißer Holzbrüstung wohnten. Ohne Probleme, weil Direktor Carlos die Deutschen liebte. Auch Elsässer wie Jean-Luc und Lydie. Und sogar Norddeutsche, wie Agneta und Paul Pikle und seine Schwägerin Erna.

      Ein einziges Hauptrestaurant mit leicht abgewetzten Stuhlbezügen, vor dem sich elegant gekleidete Gäste gleich welcher Nation jeden Abend mit Handy und Kamera versammelten, um den sonoren Welcome-Ruf in neununddreißig Sprachen vom zweimeterzehn großen dominikanischen Garde-Bellboy, German, in seiner weißen Galauniform nicht zu versäumen. Die komplette Küchen-crew mit Kochmütze und weiß-blau-karierter Küchenkluft stand hinter ihm im Halbkreis parat, samt der mobilen Dreimann-Kombo, um nach dem Applaus der Gäste unverzüglich zum Fastliebsten eines Dominikaners, zum Bachata- und Merengue-Tanzen, überzugehen.

      Und German holte sich die dickste Köchin, hob sie fast einen Meter von sich weg, um etwas gebückt und mit Blick in die Ferne die Füße zu stampfen und die Hüften zu schwingen.

      Direktor Carlos stand leicht schwitzend mit dem ganzen Direktorium und allen Kellnern für die eintretenden Gäste Spalier und begrüßte jeden einzelnen mit Handschlag.

      Jeder Meter im Hotel atmete den Charme karibischer Freude und Großzügigkeit.

      Ein kleiner Swimmingpool mit plätschernden Fontänen aus grünen Steinnixen, eine Poolbar zum 15 Uhr Rentnertreff mit dezenter Karibikmusik, Coco-Loco-Cocktails, Kaffee mit Rum und frischgebackenem Kuchen und ein bisschen Eins-Zwei-Drei-Blobb - Bachata-Tanzkurs und Stretching-Übungen am Pool für vier, höchstens fünf Teilnehmerinnen. Alles easy und Null Lärm.