Gabriele Ried-Hertlein

Karibikstrand


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bisschen zu uns, "wir hatten gestern Nacht ziemlichen Ärger im Hotel! Chicos, Argentinier, hatten zu Neunt eine Party im Zimmer gefeiert und alles kurz und klein geschlagen. Carlos klärt das gerade, das kann keiner so wie er."

      Eine Tür mit silberner Aufschrift 'Sales' wird uns fast in den Rücken gerammt und Melissa will wie eine Sprinterin an uns vorbeirasen.

      Als Direktorin und Nachfolgerin einer der allerhübschesten Hotelchefinnen im ROY Paradiso überstand die ernsthafte, fleißige Belgierin nur wenige Monate die beiden Macho-Subdirektoren, die ihr bei jeder Gelegenheit derbe Witze über Frauen erzählten und wurde kurzerhand von der ROY-Firmenleitung zum Knochenjob der Zimmervermarktung befördert.

      "Sales, Madame Stern", erzählte uns Melissa damals, als sie ihr Büro noch in einem der niedlichen grün-gelb gestrichenen Holzhäuser mit klemmender Eingangstür und verrosteter Wendeltreppe in der Karibischen Straße neben dem ROY-Resort hatte, "Sales bedeutet in dieser Jahreszeit, Dutzende der angekommenen Hochsaisongäste innerhalb der grundsätzlich überbelegten ROY-Hotels so gut es geht anders als gebucht unterzubringen und notfalls auf andere Häuser hier am Beach aufzuteilen.

      Ein täglicher Drahtseilakt, weil jedes Hotel lieber überbelegt sein möchte als leere Zimmer zu haben, Madame Stern, und alle Reiseveranstalter zusammen vorsichtshalber ein höheres Kontingent erhalten als tatsächlich Betten vorhanden sind. Überbelegt oder eine Suite ist gebucht und nur ein Normalzimmer ist frei. Da muss dann die Rezeption sehr kreativ hin und hier verschieben."

      "Oder sie muss die ehrenwerte Mottenkugelfraktion wieder aus den Upgrade-Suiten holen."

      "Mot-ten-kugel, Madame Stern?"

      "Melissa!" Ich breite meine Arme aus. "Sie sind jetzt hier? Ihr Office ist nicht mehr in diesem malerischen Karibik-Office, durch das der Meereswind durchtanzte und die Hitze herein flirrte. Und die Ventilatoren ihr Bestes gaben?"

      „Mein Team und ich sitzen jetzt hier im Hotel in einem klimatisierten, aber fensterloses Großraumbüro",

      und Melissa presst ihre Unterlippe nach oben zum Schluss.

      "Könnten wir nächstes Jahr die ROY-Villas am Meer buchen?", fragt Leo unvermittelt.

      "Nein, Monsieur Stern. Wir verkaufen sie hier als teuerste Zimmerkategorie an fast alle Nationen, aber nicht an deutsche Agenturen. Dafür werden aber die Sansibar-Häuser angeboten, identisch gleiche Luxus-Zimmer und auch direkt neben den ROY-Villas am Meer. Nur für die deutschsprachigen Länder“, sie flüstert jetzt: „und kosten erheblich mehr!"

      Und schon kommt ihre Unterlippe wieder nach oben und sie hält schlagartig die Luft an.

      "Sie stehen so gekrümmt da, Melissa, ziemlich gekrümmt.", sorge ich mich. Sie reibt rasch die Hände ineinander, hält die Luft wieder an, deutet ein Winken an und weg ist sie.

      Schnell hinaus aus der Folterkälte wollen wir und treten durch die breite Glastür zur Meerseite, die sich automatisch vor uns öffnet. Wollen uns erwärmen an prachtvollen Palmenstraßen, tropischem Garten, karibischer Architektur, großzügig geschwungenen Pools und einladenden Strandbars. So wie karibische neue Traumhotels wenigstens draußen aussehen sollten.

      Oh mein Gott! Nichts als Beton und nüchterne Geradlinigkeit vor uns. Dreistöckige Wohnblocks, schräg hintereinander in Zweierreihe, baugleich in depressivem olive-beige, ohne bunte Geländerchen oder geschwungene Terrassen- und Fensterbögen. Sachlich, funktionell, schnörkellos. Ocean view in dieser Home-City nur für den, der ganz außen ein Zimmer erwischt hat oder sich auf die Umzugswarteliste setzen lässt. Auf jedem Langweilbalkon oder offenen Erdgeschossterrasse an der rechten Seite ein gemauerter klotziger Kasten mit Treppchen davor für die vom Badezimmer nach draußen ausgelagerte Jacuzziwanne. Gigaschräg! Zum öffentlichen Bade-Viewing.

      Zwei schnurgerade, baumlose Straßen führen zum Pool und zum Meer. Ein schmaler schwarzer Griffelkasten plätschert nüchtern wie ein Granit-Einkaufszentrumsbrunnen in Düsseldorf zwischen den beiden Straßen.

      Neu eingepflanzte, magerhungrige Palmstämmchen stehen wie Fremdkörper verlegen in der Betonkulisse. MEGA-COOL!!

      Vor dem breiten Bernstein-Traumstrand und dem türkisen Meeresstreifen ein megabreiter ROY-Quadrato-Hotelpool mit langgezogenem flachem Zugang, weitläufigen Treppen und einer überdimensionierten Swim-up Bar. "You're simply the best", röhrt aus den Poollautsprechern. Und ein paar kräftige US-Jungs strahlen auf ihren Wasserhockern in ihren Bermudashorts, die ihnen fast bis zur Wade heruntergerutscht ist, über ihre wievielte Bloody Mary, Coco Loco und Cerveza.

      Über den nagelneuen Liegen in Dreierreihen zieht sich auf nackten Holzpfählen um den gesamten Pool ein zwei Meter breites schattiges Planenband. Sonnenanbeten ohne privates Sonnenschirmchen, ohne kreatives Stühleverrücken, Grüppchenbildung oder Typisch-german-Abstand-lassen-zum-Nachbarn".

      "Leo, weißt Du, was ich denke? Supergeil für Fünftage-Holiday-Tripper and next year in another very new funny beachhotel near to US, dieses neue ROY-Hotel Quadrato, als 3. Hotel im Resort. Aber Mottenkugel-Hardliner, archaische Langzeiturlauber und Upgrade-Repeater sollten auf ihrem Langstreckenflug schon ein stoisches Gemüt im Gepäck mitbringen, um sich mit karibikfreiem Purismus und der eingeschränkten persönlichen Gestaltungsmöglichkeit Tag für Tag, Woche für Woche hier am Pool anzufreunden."

      Der Schlachter Paul Pikle

      "Anzufreunden? ER! ER hat sich angefreundet!!!"

      In zweiter Reihe. Da liegt er. Mit seinem roten Käppi auf dem Ochsenschädel und mit geschlossenen Augen. Und nur seine Frau Agneta neben sich.

      Am Hotelpool für Normalbucher! Mittendrin! Kein Sonderplatz, ganz vorn vielleicht, mit extragroßem Abstand zu Normaltouris und zu Amerikanern, Kanadiern oder Argentiniern, die er sowieso nicht versteht und sie nicht ihn!

      Und keinen seiner jahrelang hart umworbenen Clan-Mitglieder kann ich links und rechts von ihm ausmachen; keinen einzigen seiner Vasallen, die sich für die Gunst des frühen Handtuch-auf-Liegen-Reservierens und ein hoffentliches Zimmer-Up grade tagtäglich am gleichen Platz um ihn scharen sollten. Was muss da passiert sein?

      "Und dieser Rollstuhl neben seiner Liege?"

      "Gehört zu ihm", stellt Leo fest.

      Er hat uns nicht gesehen, der Schlachter Paul Pikle. Der mit seinem Schlachthaus-Unternehmen in Travemünde vergeblich nach bestem Ansehen hechelt und hier im karibischen Paradies verbissen mit kaltem Herzen und süßlich butterweicher Gesichtsmiene sich den höchst-möglichen VIP-Thron krallt und seine letzte Chance auf Ehrenstatus mit gerissener Tücke und Fäusten verteidigt. Verließ als sechzehnjähriger Smutje unbemerkt den tschechischen Heimatfrachter an der Ostseeküste und kämpfte sich in das andere Leben in Travemünde. Mehr als Nahrung, mehr als echte Freunde, mehr als Sonnenschutz unter der heißen Karibiksonne braucht er die pfauenhafte Demonstration seiner einzigartigen Wichtigkeit hier.

      Für sich, für seine abgestumpfte Agneta und für seinen devoten Anhängerclan:

      „Paul, ehm, wann sollen wir morgen früh pünktlich zu Deiner oberen Terrasse in Deiner Suite heraufkommen zum gemeinsamen Sonnenaufgang-Anschauen?" "Anschauen? Du meinst Bewundern!" "Natürlich, natürlich. Ganz wunderbar wird das sicherlich morgen. Und Dein einzigartiger Blick von dort oben! …..Ehm,.....hast Du schon Deine Fühler ausgestreckt, wann wir bald umziehen können, als Upgrade für uns, in eine schöne Suite? Weil sich absolut nichts bewegt bei Raymondo und Santi an der Rezeption?"

      "Ich bin so erleichtert, Leochen, das Drecks-Pickel-Gespenst dieses Jahr nicht in meiner Nähe zu spüren! Ich glaube, ich bin regelrecht high. Komm, lass uns hier zu Mittag essen. Wir werden sehen, ob das geht. Nur noch schnell die Hände waschen."

      Ich ziehe die lilafarbene Tür 'für Damen' auf und knalle ausgerechnet mit Agneta Pikle, die gerade hinaus möchte, zusammen. Kein Wort sagen wir beide, als wir uns überrascht gegenüberstehen. Ein Blitz läuft ihr den Rücken herunter: "Gerade angekommen? Auch im neuen Hotel, wie wir?"

      Ihr Wichtig-Pickel muss nachher sofort recherchieren, welches Up grade wir von Direktor Carlos erhalten haben.