George Tenner

Jenseits von Deutschland


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und dein Gesicht in Fäkalien tauchen. Aber ich weiß etwas Besseres.«

      Romhi ging zu einem kleinen Tisch, der an der Stirnseite des Raumes stand. Mehrere Zangen langen dort bereit.

      »Glaube mir, du wirst reden.« Er nahm eine ganz gewöhnliche Zange in die Hand, mit denen man schief eingeschlagene Nägel zu entfernen pflegte. »So ist das, Thommy, damit werde ich deine Zunge lösen. Klingt das gut genug, um dich zu überzeugen? Und wenn dich das nicht zum Reden bringt, gibt es einen Bohrer, mit dem wir dann deine Zähne bearbeiten werden.«

      »Glauben Sie, dass wir so dem von allen gewünschten Frieden näher kommen?«, warf Müntzer ein.

      »Nicht wirklich. Aber …«

      »Aber?«

      »Wir rücken auch nicht weiter von ihm ab«, sagte der Palästinenser ruhig. »Das jedenfalls haben bisher unsere Bemühungen, die zionistischen Hunde ins Meer zu jagen, gezeigt. Und weißt du was? Wir werden die Israelis so lang mit unseren handgefertigten Kassam-Raketen belegen, und sie werden ebenso lange versuchen, uns von ihren Jets aus in die Erde zu bomben, bis das Pulverfass platzt. Die armen kleinen Palästinenser mit den unbedeutenden Kassams gegen die hochgerüsteten Militärjets mit dem Magen David auf den Tragflächen. Das erzeugt Stimmung.«

      »Sie haben recht, Romhi. Es ist eine Tragödie, die sich dort abspielt. Es ist ein Unglück für die Palästinenser und für die Israeli gleichermaßen. Israel weiß gar nicht, was man sich dort antut.«

      Müntzer starrte auf eine Spinne, die sich unterhalb des kleinen Fensters angesiedelt hatte und sich nun an einer ins Netz gegangenen Fliege zu schaffen machte.

      »Wieso?«

      »Weil es ihrer gar nicht würdig ist. Sie verlieren einen Großteil ihres weltweiten Prestiges«, sagte Müntzer.

      Ahmad Romhi lächelte maliziös. »Das ist absolut beabsichtigt. Meine Leute sind auf einem winzigen Stück Land eingesperrt wie in einer Sardinenbüchse. Anderthalb Millionen Menschen vegetieren auf diesem kleinen Gebiet von 37,5 mal 9,5 Kilometern. Die Leute werden in dieser Enge verrückt. Sie haben keine Perspektiven zur Armut. Sie sind dort geboren und mit vierzig Jahren oft noch nicht einmal aus dem Gazastreifen herausgekommen.«

      »Das gibt es bei uns auch, dass in bäuerlichen Gegenden ältere Menschen ihren Lebensraum nicht verlassen haben«, warf Müntzer ein.

      »Die Besiedlung des Westjordanlandes durch die Juden geht weiter. Wo, so frage ich dich, gibt es Platz für einen Palästinenserstaat? Wo? Der Platz für diesen Staat besteht dort, wo die Juden uns das Land genommen haben.«

      »Ein Falke redet.«

      »Die es auf beiden Seiten gibt!«

      »Leider.«

      »Mein Volk hat keine andere Wahl, als sich zu wehren. Und jede Kassam, die dazu beiträgt, dass Israel einen Vergeltungsangriff fliegt, wird lobend besungen. Warum? Weil es für jeden Kämpfer, für jedes Kind, das durch eine israelische Bombe getötet wird, wenigstens vier Angehörige gibt, die aufstehen und Israel schwören, dass sie für immer Feinde bleiben werden und nicht eher ruhen, als bis die Juden ins Meer getrieben worden sind.«

      »Diese Einstellung ist perfide.«

      »Nein, sie ist real. Sie ist so real wie der Widerstand gegen das Dritte Reich bei euch Deutschen und ebenso legal, denn die Hamas ist eine legal gewählte Partei.«

      »Und dann werden eines Tages Leute wie der kleine Ahmadinedschad auf den atomaren Knopf drücken und die ganze Welt in die Luft jagen. Halten Sie das für erstrebenswert?«, fragte Müntzer.

      »Wie hoch ist die derzeitige Mannschaftsstärke in Kunduz?«

      Draußen wurden Stimmen laut. Männer schienen sich zu streiten.

      Romhi beugte sich zu dem Mann herunter. Mit der Linken hielt er dessen Hand fest, mit der Zange in der rechten Hand fasste er nach dem Nagel des kleinen Fingers. Er hob die Zange an das Gesicht Müntzers und sagte: »Du nennst mir jetzt die Sollstärke auf eurer Basis in Kunduz.«

      Als Müntzer nichts sagte, riss Romhi ihm mit einem gewaltigen Ruck den Nagel aus dem Finger. Müntzer bäumte sich auf. Sein Schrei hallte durch den Raum. Die im anschließenden Zimmer untergebrachten Wächter rissen ihre Witze darüber.

      »Ihr bezahlt einen Zuträger, der euch mit Nachrichten über die Truppenbewegungen der Taliban versorgt. Wer ist es? Nenn mir seinen Namen.«

      »Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen.«

      Romhi hielt die Zange mit dem Fingernagel hoch. »Was für ein ekeliger Anblick doch so ein blutiger Nagel ist. Und das war erst der Anfang.«

      »Das ist mittelalterliche Folter.«

      »Was glaubst du, was eure Geheimdienste mit unseren Männern machen, die sie nach Abu Ghuraib oder in eines der anderen Verhörlager bringen? Glaube mir, der Dienst der Hamas ist durchaus in der Lage, Gleiches zu leisten.«

      Müntzer dachte an die Bilder aus dem berüchtigten Gefängnis, die um die Welt gegangen waren. Eine Frau, die einen Mann an einer Leine wie einen Hund hinter sich her zog. Lynndie England mit angeleintem Gefangenen, was für ein entwürdigendes Bild. Und das Bild des mit Elektroschocks gefolterten Satar Jabar wurde zum Symbol des Skandals. An beiden Händen und am Penis waren stromführende Drähte befestigt. Ihm wurde angedroht, dass er durch Elektroschocks hingerichtet würde, falls er von der Kiste falle. Als das Foto an die Öffentlichkeit gelangte, leugneten die zuständigen US-Stellen, dass die Kabel Strom führend gewesen seien. Es gab Bilder, die unter anderem nackte Gefangene zeigen, die zu Oralsex gezwungen worden sein sollen.

      »Wenige kommen nach Abu Ghuraib. Um alle von deines-gleichen aufzunehmen, ist selbst dieses Lager zu klein«, sagte Müntzer trotz seiner Schmerzen provozierend. »Und die Verhöre gefangener Taliban-Offiziere und mutmaßlicher Al-Kaida-Kämpfer überließen die Amis dabei lange allzu gerne der Nordallianz. Die wussten eher, wie sie diese Terroristen zum Reden bringen.«

      »Du spielst auf den Mörder Massoud an?«

      »Auf den Löwen von Pandschir, Massoud.«

      »Der mehr als 3.000 Taliban-Kämpfer bei Mazar-e Sharif ermordet hat.«

      »Nun dafür haben sich die Gotteskrieger ja ausgiebig gerächt. Bei der Rückeroberung der Stadt mit ein paar Hundert »Bin-Laden-Arabern« deinesgleichen sind mehr als 6.000 mongolisch-stämmige Hazara umgebracht worden. Darüber hinaus habt ihr noch neun iranische Diplomaten getötet, weil Teheran als Hauptförderer der schiitischen Hazara und des Tadschiken Massoud galt.«

      »Dann bekommst du jetzt einen Geschmack davon, wie die Nordallianz Leute verhört, damit du vor deinem Tod noch erfährst, wovon du eigentlich sprichst.«

      Draußen vor dem Haus wurde die Unterhaltung der Männer lauter.

      »Du sagst mir jetzt den Namen eures Verbindungsmannes zu den Taliban, dann lass ich dich laufen. Das ist mehr, als ich eigentlich bereit bin für dich zu tun.« Die Stimme Romhis war wieder gefährlich leise geworden, als er mit dem Greifer der Zange den Nagel des Zeigefingers der rechten Hand fasste. »Mir ist bekannt, dass du die Verbindung zu diesem Mann pflegst. Also, wie heißt er?«

      »Sagt ihr nicht, der Islam sei eine friedfertige Religion? Allâhu akbar – Allah ist groß! – Lā ilāha illā ʻllah – Es gibt keinen Gott außer Allah!«

      »So ist es!«

      »Sagt ihr nicht auch, Allah sei ein gütiger Gott? Beginnen nicht alle eure Suren jeweils mit der Eröffnungsformel Bismillahi ̔r-Rahmani ̔r-Rahim – Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers?«

      »Alle, außer der neunten Sure, ja. Aber Allah ist nicht nur ein barmherziger, gütiger Gott. Er kann auch ein zorniger Gott sein, wenn er sieht, wie die Ungläubigen in der Welt wüten, ein sehr zorniger. Und jetzt ist Allah zornig, weil du ihm nicht helfen willst.« Mit diesen Worten begann Romhi den zweiten Fingernagel Müntzers herauszuziehen. Dabei legte er wieder eine große Brutalität an den Tag.