Tonda Knorr

Totenwache


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seinen übereifrigen Schläger ein.

      „Was soll der Quatsch? Hast du keine Ohren? Sie will nicht verprügelt werden, sie will gefickt werden.“ Hämisches Gelächter machte sich breit.

      Er wandte sich wieder an Sarah.

      „Es tut mir leid, ich muss mich für meine Leute entschuldigen.“

      Diesmal kam Haagedorn nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Eine Ladung Blut traf ihn, aus Sarahs Mund. Er schmunzelte, während er sich das Blut mit einem sauber gefalteten Taschentuch aus dem Gesicht wischte.

      „Nein, mach dir keine Hoffnung. Ich fick keine Bullen, aber meine Leute sind da nicht so wählerisch. Wie das so ist, gutes Personal findet man schwer, und bei euch hier in Deutschland ja bekannter Weise sowieso nicht.“

      Akzentfrei. Wieso sprach dieses holländische Arschloch so akzentfrei? Sarah glaubte das hämische Lachen der anderen Typen zu hören, war sich aber nicht sicher, da der ohrenbetäubende Lärm selbst durch die Klotür noch alles übertönte. Ihre Schulter schmerzte fürchterlich, ihre Hand spürte sie kaum noch. Immer noch lag eine schwere Pranke an ihrem Hals.

      „Ich denke mal nicht, dass du mir deinen Informanten verrätst, oder? Ich würde ein bisschen Zeit sparen. Helfen kannst du ihm sowieso nicht mehr, aber dir könntest du helfen.“

      Haagedorn ließ ihr etwas Zeit, aber Sarah reagierte nicht. Wenn sie könnte, würde sie ihn noch mal anspucken, aber ihr Kopf wurde mit einer solchen Kraft gegen die Wand gedrückt, dass ihr das nicht möglich war.

      „Na dann, Frau …“ Haagedorn musterte ihren Dienstausweis. „Frau Hauptkommissarin, wünsch ich Ihnen viel Spaß.“

      Er ließ sich auf einem Klodeckel nieder, zündete sich eine Zigarette an und nahm das Magazin aus ihrer Waffe. Jede einzelne Patrone ließ er aus dem Magazin schnappen. Er musterte ihren Dienstausweis.

      „Fünfunddreißig Jahre, so schön und schon Hauptkommissarin. Hättest du mich heute verhaftet, hätten sie dich bestimmt befördert, und du hättest dich nicht weiter hochvögeln müssen.“

      Endlich wurde die Umklammerung an ihrem Hals gelöst. Sie bekam wieder Luft, und bei jedem Atemzug bildeten sich Blutbläschen auf ihren Lippen. In den Spiegelresten an der Wand sah sie die widerliche Fratze des Typen, der sie bis eben so fest gegen die Wand gedrückt hatte. Sie wollte den Augenblick nutzen, um ihren Ellenbogen ihm in das Gesicht zu hauen, dass sie so abfällig angrinste. Aber bevor sie in ihrem benommenen Zustand ihre Kraft zusammennehmen konnte, wurde sie schon wieder nach unten gepresst. Der Wasserhahn drückte sich in ihr Gesicht. Sie hörte das Schnappen eines Springmessers und spürte im gleichen Moment, wie sich die kalte Klinge zwischen ihren Körper und ihre Hose schob. Mit einem Ruck gab die Hose nach. Ihr Blick hing an Haagedorns Gesicht. Der hatte sich auf dem Klo zurückgelehnt und sah ihr in die Augen. Seine Hand, mit der er seine brennende Zigarette hielt, lag auf seinem hochgestellten Bein auf. Ihn interessierte nicht, was seine Leute mit ihr vorhatten, seine Augen starrten sie an. Mit der anderen Hand schmiss er die entladene Waffe in das Waschbecken vor ihr. Von dem Weiß des Porzellans war kaum noch was zu erkennen. Das Blut aus ihrer Hand und ihrer Schulter tropfte unaufhörlich in das Becken. Sie fühlte sich so elend wie noch nie in ihrem Leben. Ihr Hass verteilte sich auf die ganze Welt. Warum hilft mir nur keiner? Sie war doch schließlich Polizistin. Sie war doch die Gute. Wo blieb nur das SEK?

      „Na…? Wenn du könntest, würdest du mich jetzt erschießen?“ Sarah nahm Haagedorns Gerede nur als Wortfetzen wahr. Sie spürte die Hände der schmierigen Typen am ganzen Körper. Eine Hand drückte ihren Kopf permanent gegen diesen beschissenen Wasserhahn, die anderen Hände hielten ihre Arme. Ihre Hose hing mittlerweile zerrissen auf Höhe ihrer Kniekehlen. Sie war so müde. Ihr war, als ob sie gleich fürchterlich kotzen müsste. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen. Das warme, brennende Gefühl des verschmierten Blutes in ihrem Gesicht und ihr eigener Stolz ließen sie daran zweifeln, dass sie bisher geweint hatte, aber in dem Augenblick, als sie nicht nur die kratzige, stopplige Haut des ekelhaft stinkenden Mannes an ihrem Hintern spürte, konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie schloss die Augen.

      „Maasji, das SEK kommt.“ Eine schrille Stimme ließ sie aufschrecken.

      Wie lange sie auf der Erde gelegen hatte, wusste sie nicht. War sie ohnmächtig, oder hatte ihr nur die Spritze in ihrem Hals jegliche Wahrnehmung genommen? Sie wusste es nicht, spürte nur die kalten Fliesen auf ihrer Haut und den Schmerz zwischen ihren Beinen. Sie sah ihr Handy neben sich liegen. „Los, raus hier! Zur Not ballern wir uns den Weg frei. Solange die wissen, dass hier einer ihrer Leute drin ist, schießen die nicht.“

      Hektik machte sich breit. Das Durchladen von schweren Maschinenpistolen war zu hören.

      „Wo ist ihre Knarre? Sucht ihr Handy.“

      „Raus hier! Raus hier!“

      „Den Koffer. Passt auf den Koffer auf.“

      „Die haben die Straße gesperrt.“

      „Raus hier. Da kommen wir durch.“

      „Wir nehmen sie mit.“

      „Zu spät, raus hier. Wo ist ihr Handy?“

      Die Stimmen wurden immer hektischer. Plötzlich spürte Sarah wieder den Griff in ihren Haaren. Ihr Kopf wurde hochgerissen. Ein Fuß stand auf ihrer von den Spiegelscherben zerschnittenen Hand.

      „Ich hoffe, es hat dir Spaß gemacht.“

      Sie sah in Haagedorns Gesicht. Seine Augen waren kalt und leer. Kein Anzeichen einer emotionalen Regung. Hässlich prangte die kleine, tätowierte Spinne unter seinem Auge.

      „Du kleine, dreckige Fotze. Beim nächsten Mal wechsle lieber die Seiten. Wie du siehst, von deinen Leuten hilft dir keiner, und für einen geilen Fick wie dich ist bei uns allemal Platz.“ Dann ließ er ihre Haare los, und ihr Kopf knallte auf die Fliesen. Sie hörte Schüsse und versuchte nur noch, mit zittriger Hand durch die Scherben auf dem Fußboden ihr Handy zu erreichen. So schwer es ihr auch fiel, danach zu greifen, noch schwerer tat sie sich dabei, es zu öffnen. Mit ihrer blutverschmierten, geschwollenen Hand konnte sie die Tasten kaum bedienen. Es gab keine Stelle an ihrem Körper, die ihr nicht wehtat. Das war das Letzte, was ihr aus dieser Nacht in Erinnerung geblieben ist. Haagedorns letzte Worte, die tätowierte Spinne und der Anblick ihres Handys in ihrer blutenden Hand.

      Kapitel 2 - Ein Jahr später

       Ein Jahr später

      „Was ist los?“

      Nur durch Zufall bemerkte Polizeidirektor Bernhard Kuntz die Hektik bei den Leuten der Polizeiwache. Eigentlich hatte Kuntz mit dem ganzen Drumherum der Fußball WM genug um die Ohren, trotzdem wollte er von seinen Gewohnheiten nicht abweichen. Ab und an machte er seine Stippvisiten in den verschiedenen Polizeiwachen von Berlin. So auch heute.

      „Ein Fahrzeug mit holländischem Kennzeichen hat eine Polizeikontrolle durchbrochen. Ein verletzter Kollege. Fahrzeug auf der Flucht.“

      „Was für eine Kontrolle war das?“

      „Eine ganz normale Fahrzeugkontrolle. Näheres wissen wir auch nicht.“

      „Wie viel Fahrzeuge sind dran?“

      „Drei sind direkt dahinter, eins davon ist ein Zivilfahrzeug. Hubschrauber ist unterwegs. Straßensperren sind teilweise aufgebaut, aber Sie wissen ja selber, bei der Menge Auf- und Abfahrten an der Autobahn ist das ein Katz-und-Maus-Spiel. Außerdem haben wir immer noch Berufsverkehr.“

      „Besonnen bleiben, Kollegen, dran bleiben und abwarten, was uns die Hubschrauberbilder bringen. Wichtig ist, dass keine Zivilisten zu Schaden kommen. Solche Verrückten sind unberechenbar.“

      Bernhard Kuntz versuchte, Ruhe in das entstehende Chaos zu bringen. Zu lange war er schon im Polizeidienst. Er hatte schon Verbrecher gejagt, als die Hälfte der Leute hier noch gar nicht auf der Welt war.

      „Sie sind lustig. Der hat in der letzten Viertelstunde