Tonda Knorr

Totenwache


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      Am Güterbahnhof angekommen, musterte er das Gelände. Schon von weitem sah er die Einsatzwagen des SEK.

      „Da will man nur mal kurz ’ne Wache inspizieren und dann das“, schimpfte er vor sich hin, während er ausstieg. Das Gelände, ein brachliegendes Industriegebiet, war unübersichtlich. Keine hundert Meter vor ihm, etwas abseits, stand der Hummer mit niederländischem Kennzeichen. Die Fahrertür stand offen, als ob jemand fluchtartig das Auto verlassen hätte. Die Beamten des SEK hatten Stellung bezogen. Zwei Mann begutachteten mit der Waffe im Anschlag den Hummer. Kommissar Wagner stand ohne Deckung neben einem in Stellung gegangenen Beamten. Langsam ging Kuntz auf ihn zu.

      „Wo ist er?“

      Ohne sich umzudrehen, antwortete Wagner:

      „Sie werden ihn gleich sehen.“

      „Was ist los?“

      „Wir hatten ihn fast, aber dann konnte er aus seinem Auto flüchten und nun das.“

      Kuntz stand jetzt neben Frank Wagner. Der SEK-Beamte, geschützt durch eine fast eingerissene Mauer, hockte neben dem Kommissar. Kuntz postierte sich genau hinter ihm.

      „Wo ist er?“

      Wagner drehte sich kurz zu Kuntz um.

      „Na da.“

      Sein Blick ging in die Richtung, die Wagner mit dem Kopf andeutete.

      „Verflucht. Wo hat er die denn her? Wie kommen hier denn Zivilisten her?“

      Wagner taxierte die Umgebung.

      „Eine Abkürzung. Die Leute benutzen das Gelände, um zur S-Bahn zu kommen.“

      Kuntz suchte weiter die Gegend ab.

      „Sonst noch welche?“

      Wagner lachte kurz auf.

      „Eine reicht ihm doch. Ist aber ne Frage der Zeit, bis hier irgendwo ein paar Schaulustige aufkreuzen. Vor allem die Kids lungern hier oft rum.“

      „Na, die sind ja wohl in der Schule.“

      „Die Kids, die hier abhängen, gehen nicht zur Schule.“

      Kuntz wandte sich an den Einsatzleiter des SEK.

      „Absperren, weiträumig absperren. Ich will hier keine Zivilisten sehen, und schon gar keine Touristen mit Fotoapparat.“

      „Schon passiert.“

      Kuntz kam aus seiner Deckung hervor und stellte sich hinter den Kommissar.

      „Wo ist eigentlich Minsky?“

      „Hat frei.“

      „Frei?“

      „Frei.“

      „Kannst du was sehen?“

      „Ne verängstigte Frau“, entgegnete Wagner trocken.

      „Warum ist der bloß wiedergekommen?“ Kuntz schien verzweifelt.

      „Na, um Ihnen den Tag zu versauen.“ Wagner schaute in das angespannte Gesicht des Polizeidirektors. „Was machen Sie überhaupt hier?“

      Kuntz erwiderte Wagners Blick.

      „Zufall. Zum falschen Zeitpunkt die falsche Polizeiwache besucht.“

      Wagner schmunzelte.

      „Sollten Sie nicht machen. Ich dachte, Sie haben mit der Fußball-WM genug zu tun?“

      „Ja, das dachte ich auch.“

      „Der liebe Gott mag Sie nicht. Woher kennen Sie den?“

      Wieder deutete Wagner in die Richtung von Haagedorn.

      „Kennen ist übertrieben. Haagedorn ist einer von der ganz üblen Sorte. An dem haben wir uns schon mächtig die Zähne ausgebissen. Letztes Jahr hatten wir ihn fast, aber dann hat er uns so richtig …“ Kuntz verschluckte wohlweislich den Rest des Satzes und beantwortete Wagners Blick mit einem Kopfschütteln.

      „Warum ist der mir noch nicht untergekommen?“

      „Weil Berlin kein Dorf ist und du nicht überall sein kannst.“

      „Wollen wir jetzt hier noch lange rumstehen, oder ziehen Sie Ihre Leute ab?“, rief Haagedorn.

      Wagner und Kuntz blickten zu Haagedorn.

      „Gibt es hier ein Megaphon?“

      Kuntz schaute sich fragend um.

      „Brauchen Sie nicht, der versteht uns schon.“

      Kuntz kam einen Schritt aus der Deckung.

      „Was verlangen Sie?“, rief er zurück.

      „Wer sind Sie?“, wollte Haagedorn wissen.

      „Nicht“, beschwichtigte Wagner seinen Vorgesetzten. Kuntz musterte ihn kurz.

      „Vielleicht bringt es ja was.“

      Kuntz postierte sich neben dem Kommissar.

      „Polizeidirektor Bernhard Kuntz.“

      Noch bevor Kuntz seinen Satz beendet hatte, peitschte eine Kugel gegen die Tür des Hummers.

      „Deckung!“, schallte es vom Einsatzleiter des SEK, und die Beamten, die das Auto noch immer musterten, folgten dem Befehl. Auch Kuntz sprang wieder hinter den Mauervorsprung. Wagner verzog keine Miene und stand noch an derselben Stelle.

      „Bist du lebensmüde?“

      „Der will uns nicht treffen.“

      „Wieso bist du dir da so sicher?“

      „Aus der Entfernung hätte er getroffen. Der kann es sich nicht leisten, einen Polizisten umzulegen. Der hat irgendwas anderes vor.“

      Hauptkommissar Wagner kniff die Augen ein wenig zusammen, und sein Blick traf den von Haagedorn.

      „Hast du ne Ahnung. Der macht keinen Halt vor Polizisten.“

      „Hat wohl nicht viel genutzt, dass Sie sich als Polizeidirektor vorgestellt haben.“

      Wagner schaute den SEK-Beamten, der einen halben Meter neben ihm kniete, prüfend an.

      „Deine Knarre!“

      „Was?“

      „Gib mir deine Knarre!“

      Fragend drehte sich der Beamte erst zu seinem Einsatzleiter und dann zu Kuntz um.

      „Na nun machen Sie schon.“

      Wagner nahm die Waffe in Anschlag.

      „Was hast du vor?“ Kuntz Stimme wurde aufgeregter.

      „Mit dem Zielfernrohr näher ranholen, oder haben sie ein Fernglas parat?“

      „Es wird nicht geschossen, Wagner.“ Die Stimme des Polizeidirektors wurde ernster.

      „Eine hässliche Spinne …“

      Kuntz war sich nunmehr ganz sicher. Maasji Haagedorn war tatsächlich zurückgekommen. Er beugte sich vor.

      „Warum sind Sie zurückgekommen?“

      Haagedorn lachte.

      „Ich habe ihn genau im Visier“, unterbrach Wagner leise das Gespräch.

      „Nein, das geht nicht. Was ist, wenn du die Geisel triffst?“, flüsterte Kuntz.

      „Ich hab hier letztes Jahr was vergessen. Musste leider weg“, erwiderte Haagedorn indessen mit einem aufgesetzten Lächeln. „Sie hätten sich ein anderes Kennzeichen ans Auto machen sollen.“

      „Das hätte ich machen sollen. Ich dachte, ihr habt mit eurer WM genug zu tun, und bis hierher bin ich ja auch ganz gut durchgekommen.“

      „Eben, bis hierher. Lassen Sie die junge Frau gehen.“