Tonda Knorr

Totenwache


Скачать книгу

      Der Wachtmeister wusste nicht, wie er reagieren sollte.

      „So ungefähr.“

      Kuntz drehte sich um, und während er sich durch die Haare strich, ging er langsam zum Fenster.

      „Was heißt, so ungefähr?“

      „Kein Panzer, ein Hummer, so ein amerikanisches Ding, womit die immer in den Krieg ziehen. “

      Kuntz zuckte innerlich zusammen. Ihm lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Er hatte das Gefühl, als würde ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ganz langsam drehte er sich um.

      „Was sagen Sie da?“

      „Ein Hummer. Von der Navy.“ Der Wachtmeister blickte erstaunt zu Kuntz.

      „Ich weiß verflucht noch mal, was ein Hummer ist. Geben Sie her.“ Kuntz riss dem Wachtmeister das Funkgerät aus der Hand.

      „Hier Polizeidirektor Kuntz. Den Flüchtenden nicht bedrängen. Nur dranbleiben.“

      Kuntz klickte das Gerät kurz aus.

      „Wann ist der Hubschrauber da?“

      „Zwei Minuten.“

      „Wir brauchen Nahaufnahmen.“

      Kuntz machte das Gerät wieder an.

      „Kollegen, nur dranbleiben. Auf keinen Fall bedrängen. Abstand halten, dann bleibt er erst mal auf der Autobahn, und wir haben eine Unbekannte weniger. Wer ist am nächsten dran?“

      „Hier Alpha 6. Wir sind direkt hinter ihm, Herr Direktor. Was für eine Unbekannte?“

      „Fußgänger. Auf der Autobahn haben wir keine Fußgänger, die er über’n Haufen fahren kann. Farbe? Welche Farbe und was für ein Kennzeichen?“

      Kuntz musste die Antwort nicht abwarten. Der Wachtmeister gab ihm einen Zettel, auf dem das Kennzeichen und die Farbe standen.

      „Scheiße, die Farbe stimmt nicht.“

      „Was ist denn los?“

      „Hubschrauber ist da. Wir kriegen gleich die Bilder!“, schallte es durch den Flur.

      Kuntz klappte eilig sein Handy auf und redete, während er die Nummer eingab, weiter mit dem Wachtmeister.

      „Fragen Sie, ob auf dem Hummer Spinnen drauf sind.“

      „Was?“

      „Mensch, ob auf den Türen Spinnen aufgemalt sind. Fragen Sie schon!“ Parallel zu seinem Dialog hielt er sich das Handy ans Ohr.

      „Hallo Theresa. Auf meinem Schreibtisch muss noch irgendwo die Akte von Sarah Fender liegen. Die Sache mit der Diskothek, letztes Jahr. Ich brauch die Farbe und das Kennzeichen von Haagedorns Auto. Schnell bitte.“

      Kuntz wartete und schaute den immer noch erstaunt blickenden Wachtmeister fragend an.

      „Nein, keine Spinnen.“

      Auf den Monitoren waren endlich die Bilder zu sehen. Die Anwesenden standen wie erstarrt vor den flackernden Szenen. „Er soll versuchen, den Fahrer ins Bild zu kriegen. Wir müssen wissen, ob er unterm Auge eine Tätowierung hat.“

      „Auch eine Spinne?“, flüsterte der Wachtmeister, ohne sich Gedanken über die Ernsthaftigkeit seiner Frage zu machen. Umso erstaunter war er, als Kuntz ihm unbeteiligt zunickte.

      „Ja Theresa.“ Kuntz verglich die Kennzeichen. „Alles klar. Sofort zwei Einheiten vom SEK alarmieren. Am liebsten wäre mir, wenn wir Wagner und Minsky hinzuziehen könnten. Sind die in der Nähe? Moment …“ Kuntz sah, dass der Wachtmeister ihm was sagen wollte.

      „Ein Kommissar Wagner ist vor Ort, der sitzt in dem zivilen Wagen.“

      „Alles klar.“ Er wandte sich wieder an Theresa

      „Theresa, Wagner ist schon dran. Wichtig fürs SEK, kein Zugriff. Ich versuche, vor Ort zu sein. Bis dahin übernimmt Wagner das Kommando.“

      „Herr Direktor, denken Sie an Ihren Termin. Die Kollegen machen das schon. Was ist denn los?“ Theresa, Bernhard Kuntz’ Sekretärin, klang besorgt.

      „Später. Ich weiß noch nicht genau. Ich glaube, er ist wieder da. Sagen Sie den Termin ab.“

      „Wer ist wieder da?“

      Kuntz klappte sein Handy zu, ohne zu antworten. Aus dem Funkgerät krächzte eine Stimme:

      „Negativ. Fahrer trägt Sonnenbrille. Keine Tätowierung sichtbar.“

      Kuntz zeigte auf den Monitor.

      „Da.“ Er ging ein Stück näher. „Er soll das ranzoomen! Ranzoomen! Die Fahrertür ranzoomen!“

      Das Bild auf dem Monitor wurde immer größer.

      „Sehen Sie die Beschädigungen an der Tür und am Kotflügel? Er soll versuchen, die Farbe zu erkennen, die da drunter ist.“

      „Grün. Dunkelgrün, vielleicht dunkelblau, aber mehr dunkelgrün!“, schrie jemand aus dem Funkgerät. „Hallo, Herr Direktor. Haben Sie nüscht zu tun, oder hat man Sie versetzt?“

      „Mensch Wagner, halt die Klappe. Bist du sicher?“

      „Na, sagen Sie’s mir. Welche Farbe hat die Sonne?“ Kuntz ließ sich auf das Spiel ein. „Gelb.“

      „Und welche Farbe hat das Auto jetzt?“

      „Beige. Typisch für die Dinger. Sandbeige. Dunkelbeige. Was soll der Quatsch?“

      „Richtig. Sind wir uns ja schon mal in zwei Farben einig. Also wenn das beige ist, dann ist die Farbe darunter dunkelgrün.“ Kuntz verstand Wagners Logik zwar nicht, aber das war nicht wichtig.

      Auf der Wache war es ruhig geworden, und auch aus dem Funkgerät war nichts zu hören. Alle verfolgten die Bilder der Hubschrauberkamera. Die Verfolgungsfahrt vollzog sich noch immer in einem Höllentempo. Kuntz konnte Wagner in dem zivilen Auto hinter dem Hummer erkennen. Er hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, das Licht auf dem Dach zu befestigen. Wagner schaute hoch zum Hubschrauber, als würde er ahnen, dass Kuntz ihn beobachtete. Er griff zu seinem Funkgerät.

      „Sehen Sie mich? Alter Bekannter?“, fragte er.

      Kuntz kniff die Augen ein bisschen zusammen und zögerte. „Mach dein Licht aufs Dach. Wie blöd muss man denn sein?“, flüsterte er vor sich hin. Wagner antwortete nicht, schaute nur verwundert in die Kamera.

      „Nicht du, entschuldige. Wenn wir Glück haben, ist das Haagedorn.“

      „Sagt mir nichts.“

      „Maasji Haagedorn. Da war mal was. Sei vorsichtig. Der ist eine ganz große Nummer. Letztes Jahr hatten wir ihn fast, und dann ist er von der Bildfläche verschwunden. Hat einer Kollegin böse mitgespielt …“ Kuntz stockte der Atem. „Der kommt hier sogar mit demselben Kennzeichen an. Das SEK ist unterwegs.“ Ihm war bei dem Gedanken an Haagedorn überhaupt nicht wohl. Die Geschichte im Iron Fist war circa ein Jahr her, aber Kuntz kam es vor, als wäre es gestern gewesen. Er schaltete das Funkgerät wieder aus und führte leise Selbstgespräche.

      „Warum ist der bloß wiedergekommen?“

      Wieder kehrte Ruhe ein. Alle beobachteten die Monitore.

      „Okay, bleiben Sie in Verbindung. Ich mach mich auf den Weg. Ich will immer wissen, wo die sind.“

      „Im Moment sieht es so aus, als ob er zu den alten Hallen am Güterbahnhof will.“

      Kuntz musterte die Bilder.

      „Das sehe ich auch so. Gut so, da sind wenig Leute, wenn überhaupt.“

      „Aber die alte Fußgängerüberführung ist lang und schwer zugänglich für uns, auch wenn da kaum Leute lang laufen.“

      „Die sollte doch schon lange abgerissen sein?“

      „Ist