Tonda Knorr

Totenwache


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an ihrem Vater so sehr hasste. Machtspielchen. Falkner drehte sich langsam zu Herbert Fender um. Er war fast einen ganzen Kopf kleiner. Sein Anzug saß etwas schief, und sein Schlips ließ Rückschlüsse auf sein letztes Mittagsmahl zu. Er öffnete seinen obersten Hemdknopf. Man wusste nicht, ob er sich jetzt für eine handfeste Auseinandersetzung bereit machte oder schon klein beigeben wollte.

      „Ich kriege gerade so einen Hals“, erwiderte er leise.

      „Na dann müssen Sie den obersten Knopf aufmachen“, setzte Sarahs Vater noch einen drauf.

      „Ihr Berliner Typen kommt hier mit euren dicken S-Tonnen aufs Land, kauft billig unsere Felder auf und verwüstet sie dann. Das ist landwirtschaftliche Nutzfläche“, wurde sein Ton zum Ende des Satzes lauter.

      Marianne blickte fragend zu Sarah, schwieg aber.

      „Mercedes, S-Klasse, schweres Auto, so werden die genannt“, flüsterte Sarah ihrer Mutter zu. Marianne machte ein Gesicht, als ob sie das schon immer einmal ihren Mann hatte fragen wollen. Aber hatte sie das überhaupt gemeint?

      „Also wenn Sie nicht wissen, wie ich dazu komme, wer dann? Außerdem ist das Bauerwartungsland“, redete Herbert Fender auf den Beamten ein. „Ich habe eine Baugenehmigung, die mir erlaubt, auf dem Grundstück zu bauen. Unterzeichnet vom Landrat.“

      Beiläufig, als ob er es eigentlich nicht müsste, zog Herbert Fender aus seiner Jacketttasche ein akribisch zusammengefaltetes Blatt, das er Falkner so dicht vors Gesicht hielt, dass der es mit der Nase hätte lesen können. Falkner blickte Herbert Fender abschätzend an und reichte es, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, weiter an seine Kollegen.

      Sarah beobachtete die Szene. Männer und ihre Machospielchen. Immer und immer wieder wurde sie mit solchem Blödsinn konfrontiert.

      „Lasst mich raten. Sondergenehmigung vom Scherzinger.“

      Ohne eine Antwort seiner Kollegen abzuwarten und ohne den Blick von Herbert zu lassen, redete Falkner weiter.

      „Aus landwirtschaftlicher Nutzfläche wird Bauerwartungsland, und aus Bauerwartungsland wird Bauland. Und das innerhalb von sechs Wochen und immer in Form von Sondergenehmigungen.“

      Falkner hatte den Disput verloren und war sich dessen nur allzu bewusst.

      „Na dann wussten Sie doch schon Bescheid“, setzte Herbert nach.

      Sarah schüttelte nur den Kopf. Wie bei den Gladiatoren. Abwarten, um dann den Todesstoß zu setzen. Ihr Vater war ihr als Geschäftsmann zuwider.

      Falkner hatte nichts mehr zu sagen, wollte sich aber nicht einfach so von dannen machen.

      „Wer sind Sie, und was wollen Sie hier in der Einöde?“

      „Herbert Fender, sagte ich doch schon. Ich will hier bauen“, waren in einem strengen Ton die Worte, die den Abschluss eines ungleichen Kampfes bildeten. Die vier Herren gaben Sarahs Vater die Baugenehmigung zurück, drehten sich wortlos um und wollten gehen. Falkner hielt nach ein paar Metern inne und wandte sich an die beiden Frauen.

      „Es tut mir leid, aber wir waren nicht das letzte Mal hier. Einen schönen Tag noch, die Damen.“

      Herbert schaute zu seiner Frau, verzog das Gesicht und blickte dann zu Sarah. Keine der beiden verzog eine Miene, Sarah schon gar nicht.

      „Lass uns fahren“, drängte Marianne ihren Mann. „Für heute soll es genug sein.“

      Herbert Fender breitete kapitulierend die Arme aus.

      „Mach Feierabend.“ Mit einem störrischen Nicken und einer Handbewegung erwiderte Gustav die Aufforderung seines Chefs.

      Herbert wollte seiner Frau hinterher gehen, wandte sich aber vorher noch mal an seine Tochter. Erwartungsvoll blickte sie ihn an. Er schaute ihr ins Gesicht, dann auf die Hände und wieder ins Gesicht.

      „Weißt du eigentlich, womit du da die ganze Zeit rumspielst?“ Sarah blickte in ihre Hand. Unbewusst hatte sie die ganze Zeit einen verwitterten Knochen in den Händen gewendet. Sie musste immer irgendetwas in der Hand haben. Die Kaffeetasse hatte sie schließlich ihrer Mutter gegeben.

      „Na irgendein Knochen von einem Vieh“, entgegnete Sarah irritiert.

      „Hach“, tönte es aus Herberts Mund. „Das Vieh zeig mir mal, das auf so dünnen Knochen stehen kann.“ Dann ging er davon.

      „Mach’s gut, Sarah“, hörte sie ihre Mutter im Weggehen noch rufen. Sie drehte sich noch kurz um und winkte.

      Sarah stand vor dem Haus, sah auf den Knochen in ihrer Hand und spürte wieder das Gefühl der Leere.

      „Wer ist eigentlich diese Frau?“, vernahm sie noch von ihrem Vater, ohne dass dieser sich ihr zuwandte.

      Sarah wusste, dass ihr Vater keine Antwort erwartete und sagte leise „Ja, ja.“

      Marianne Fender wartete gedankenverloren im Auto. Herbert ahnte, dass irgendetwas nicht stimmte. Marianne war immer still, wenn sie auf eine ungestellte Frage eine Antwort haben wollte.

      „Was?“, fauchte er sodann.

      Marianne drehte sich zur Seite und blickte ihn an.

      „Rede schon, was ist?“, wiederholte er in einem leiseren Ton.

      „Wir sind jetzt seit über dreißig Jahren verheiratet. Eigentlich weiß ich immer, was los ist. Heute nicht. Hast du dafür eine Erklärung?“, fragte sie mit ruhiger Stimme. „Hab ich …?“

      „Sesselfurzer“, unterbrach Herbert seine Frau. „Fühlen sich von Scherzinger übergangen, obwohl er ihr Boss ist“, raunte er mit der Hand vor dem Gesicht.

      „Ich dachte, Scherzinger sei nur für die neue Fabrik zuständig?“, bohrte Marianne weiter.

      „Ist er ja auch. Er hat aber mitbekommen, dass ich ein ruhiges Fleckchen auf dem Land suche und mir das Grundstück zu einem guten Preis angeboten.“

      „In diesem Kaff?“

      „Mädchen …“

      „Lass das“, fuhr sie dazwischen. Herbert wusste, dass sie es nicht leiden konnte, wenn er mit ihr wie mit einem kleinen Schulmädchen sprach.

      „Marianne, wir reden hier von vier Hektar Land, einem alten Bauernhof und einer Baugenehmigung für vier kleine Einfamilienhäuser.“

      „Aber nicht legal?“, unterbrach sie ihn. Herbert nahm die Hand vom Gesicht.

      „Definiere mir legal?“ Er machte eine kurze Pause. „Scherzinger wollte die Fabrik in seiner Region haben. Wir schaffen Arbeitsplätze. Er bot mir das Grundstück an, wie gesagt, zu einem günstigen Preis. Das steht angeblich seit der Wende leer. Schau dir das an, die Substanz ist doch intakt. Was soll daran nicht legal sein?“

      „Die Baugenehmigung“, beantwortete Marianne ihm umgehend seine Frage, die eigentlich keiner Antwort bedurfte.

      „Die Fabrik wird mitten auf einem Feld stehen. Jedes beschissene Gewerbegebiet wird irgendwo in der Walachei gebaut. Da fragt doch auch keiner, ob das mal landwirtschaftliche Nutzfläche war oder nicht. Hauptsache, die Leute haben Arbeit, und die Sesselfurzer können sich was auf die Fahne schreiben.“ Langsam begann Herbert, sich in Rage zu reden.

      „Für das Gebiet um die Fabrik gibt es einen Bebauungsplan.“ So viel wusste Marianne, war sie doch seit Jahren in die Firma involviert. Alles, was bearbeitet werden musste an Genehmigungen, Anträgen und Schreibkram, ging über ihren Tisch.

      „Na was denkst du denn, wie der so schnell zustande gekommen ist? Hier ein Anruf, da ein Anruf. Der Osten lechzt nach Investitionen. Endlich geht was voran im Land. Da wollen alle dabei sein. Politiker wollen gewählt werden. Ob das ganz oben ist oder der Scherzinger hier auf‘n Dorf. Für die zählt jeder Arbeitsplatz. Und der Maschinenbau verkauft sich besser als Landwirtschaft.“ Herbert wischte sich mit einem Taschentuch die Lippen ab. „Oder siehst du hier weit und breit einen Traktor das Feld bewirtschaften?“

      Marianne