Tonda Knorr

Totenwache


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lag ein gekünsteltes Lächeln auf Herberts Lippen.

      „Schau dir das Gehöft doch an. Die müssten sich für jeden Euro schämen, den sie dafür genommen haben.“

      „Ich denke, die Substanz ist in Ordnung, und immerhin wohnt unsere einzige Tochter darin.“

      „Sie wollte es so haben.“

      „Sie wollte auch zur Polizei, und was hat sie jetzt davon?“

      Außer einem leisen, fast verschlucktem „Hm“ wollte Herbert nichts mehr erwidern. Sie saßen noch eine Weile im Auto, ohne ein Wort zu sprechen. Jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, beobachteten sie, wie die Abenddämmerung hereinbrach. Nicht weit entfernt von ihrem Auto flackerte ein kleines Feuer auf der Straße.

      „Glaubst du, wir kriegen das hin?“, fragte Marianne leise, den Blick nicht von den kleinen Flammen am Straßenrand lassend. „Um das Haus kümmere ich mich schon, und den Rest muss sie alleine …“ Herbert hielt inne. „Du meinst gar nicht das Haus?“

      Marianne schüttelte sanft den Kopf.

      „Nein, Herbert, ich meine nicht das Haus.“

      „Hm.“

      Er ließ die Frage unbeantwortet.

      „Lass uns fahren.“

      Herbert startete das Auto. Marianne schnallte sich an und grinste vor sich hin.

      „Was?“, fauchte ihr Mann. „Was ist denn nun schon wieder?“

      „Ich weiß jetzt, was eine S-Tonne ist“, sagte Marianne schelmisch. Herbert strahlte sie an. Das liebte er so an ihr. Unstimmigkeiten wollte sie immer gleich geklärt haben. Sie fand keine Ruhe, bis die Sachen geklärt waren. Erst dann konnte sie wieder zum normalen Tagesablauf übergehen.

      „Du bist ja auch mein Mädchen. Gehen wir noch was essen?“ Sie beugte sich sanft zu ihm rüber und küsste ihn auf die Wange. Beim Losfahren sah Marianne im Scheinwerferlicht wieder das kleine, lodernde Feuer am Straßenrand.

      „Wer ist eigentlich diese alte Frau?“, fragte sie beiläufig.

      „Keine Ahnung“, antwortete Herbert in Gedanken versunken.

      *

      Sarah hatte die letzten Minuten damit verbracht, ein paar Kerzen aufzustellen. Ab und zu blickte sie aus dem Fenster, um zu schauen, ob ihre Eltern noch immer im Auto saßen, um die letzten Stunden ausdiskutieren. An dem Gesichtsausdruck ihrer Mutter konnte sie erkennen, dass sie mit dem Verlauf der Auseinandersetzung ihres Mannes mit Falkner nicht umgehen konnte. Wie immer in ihrem gemeinsamen Leben erwartete sie von ihrem Mann Antworten. Wie immer war sie mit den Antworten zufrieden, und wie immer gab es dann ein Küsschen auf die Wange. Durchschaubar. Als der Mercedes endlich wegfuhr, sah auch sie nur noch das kleine, flackernde Feuer am Straßenrand. Ihr Blick schweifte von der alten Frau hoch zum Mond, dessen silberner Schimmer sanft auf den Knochen vor ihrem Küchenfenster fiel. Sarah wollte nicht denken, nicht nachdenken. Sie drehte sich um und lehnte sich gegen den Küchenschrank. Sie fröstelte, obwohl es ein lauer Sommerabend war. Überall standen Umzugskartons. Es sah aus, als wäre Sarah in einen unaufgeräumten Dachboden gezogen. Die Schränke standen kreuz und quer. Das Bett war noch nicht zusammengebaut. Sarah suchte die Couch. Belegt mit Kisten, Schubfächern und Klamotten war sie kaum sichtbar. Mit zwei, drei Handbewegungen schmiss sie alles runter. Sie wollte eigentlich nur noch die Schuhe ausziehen, aber selbst dazu hatte sie keine Lust. Nichts trieb sie an. Sie vertröstete sich auf morgen.

      Eingekuschelt in eine Decke, machte sie es sich einigermaßen bequem. Vor ihr auf dem Fußboden lag ein gerahmtes Bild von ihr und Tim.

      „Wo bist du, wenn man dich braucht?“, seufzte sie. Ihre Augen schweiften zum Fenster. Irgendwann schlief sie ein.

      *

      Donnerndes Klopfen ließ sie aufschrecken. Sie sah nichts. Alles um sie herum war dunkel. In ihrem Kopf liefen die Bilder dieser einen Nacht im Iron Fist ab.

      „Nein!“ schrie sie. Der Geruch von alter Wolle machte sich breit. Sie strampelte wie verrückt, bis die Decke in weitem Bogen durch den Raum flog. Geblendet durch das plötzliche Sonnenlicht, registrierte sie, wo sie war. Sie sah die Decke, die eigentlich eine Möbeldecke war und die die Umzugsleute vergessen hatten. Sie verzog das Gesicht. Das Hemd hing ihr halb aus der Hose. Sie musterte sich und war mit dem, was sie sah, nicht zufrieden. Der Anblick ihrer Umgebung trug zu ihrer schlechten Laune seinen Teil bei. Die Kerzen waren fast alle heruntergebrannt. Wenigstens hatte das Klopfen aufgehört. Auf dem Weg zu dem Raum, der mal das Badezimmer werden sollte, knöpfte sie sich das Hemd auf, sah sich dabei im Spiegel an und verharrte. Langsam streifte sie den schwarzen Träger ihres BHs zur Seite. Mit der Hand fühlte sie sanft die Narben, die auf ihrer linken Schulter zu sehen waren und immer noch nicht ganz verheilt waren. Als ob jemand eine Harke über ihre Schulter gezogen hätte.

      Jemand ist gut, durchzuckte es sie. Plötzlich wieder das Klopfen.

      „Sarah!“, hörte sie ihren Vater rufen.

      „Ist offen!“

      Die Tür polterte auf, und ihr Vater stand im Zimmer.

      „Oh“, hörte sie ihn in Anbetracht des Durcheinanders sagen. „Weit gekommen gestern.“

      Es suchte Sarah und sah sie vor dem Spiegel stehen. Er wollte sich dezent umdrehen, sah aber, wie Sarah ihre Hand auf ihre Narbe gelegt hatte.

      „Alles in Ordnung? Hast du wieder Schmerzen?“, fragte er besorgt.

      „Es hat nie aufgehört“, flüsterte Sarah und zog sich das Hemd wieder über die Schulter. Sie drehte sich zu ihrem Vater um. „Ich habe Schrippen mitgebracht. Kriege ich dafür einen Kaffee?“ Er blickte Sarah fragend an. Sie wusste, dass ihr Vater mit solchen Gesten immer von seinem starren Geschäftsgebaren ablenken wollte. Es sollte seine menschliche Seite zeigen. Sie ließ ihn machen und verkniff sich am frühen Morgen den Hinweis darauf, dass es bei ihr nicht funktionierte. „Zehn Minuten. Ich will erst duschen“, sagte sie bereits halb im Bad verschwunden.

      Herbert Fender suchte einen Platz für die Schrippen. Auch der Küchentisch war zugestellt.

      „Wie denn? Du hast doch noch gar kein warmes Wasser.“

      „Mir wird schon was einfallen. Wasser ist Wasser“, tönte es aus dem Badezimmer.

      Herbert musterte mit einem Rundumblick das Zimmer. Seine Augen blickten nach oben in die offene Galerie des Raumes. „Oh Gott“, flüsterte er vor sich hin und verschwand wieder.

      *

      Sarah blickte durch das Küchenfenster und beobachtete ihren Vater. Mal wild gestikulierend, mal vertieft in seine Bauzeichnung. Der laue Frühsommerwind brachte immer wieder seine Blätter durcheinander. Manchmal hatte sie das Gefühl, er sei überfordert, was natürlich Unsinn war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann ihr Vater jemals seine Arbeit nicht im Griff gehabt hätte. Er tat ihr fast schon ein bisschen leid, wie er da knöcheltief im Sand stehend versuchte, Ordnung in seine Blätter zu bekommen. Ihre nassen Haare tropften auf den Küchentisch. Abwesend spielte sie mit ihren Fingern in den kleinen Wasserpfützen. Der Geruch von Kaffee durchzog den Raum. Obwohl es draußen schon angenehm warm war, fröstelte sie noch von der kalten Dusche. Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern. Heute nahm sie sich vor, ein wenig Ordnung in das heillose Durcheinander zu bringen. Die halbe Nacht war sie wach gelegen und hatte sich immer wieder dazu ermahnt, ihr Leben endlich wieder in die richtige Spur zu lenken. Mit fünfunddreißig lag noch zu viel vor ihr, um sich schon gehen zu lassen. Wieder blickte sie durch das Fenster. Ihr Vater stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Die Bauzeichnung war zum Teil in alle Winde verstreut und wurde von ihm und Gustav wieder eingesammelt. Sarah konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ihr Vater, der makellose Herr, rannte den Blättern hinterher wie ein kleiner Junge, der die Hühner einfangen wollte. Sarah klopfte an die Scheibe. Im selben Augenblick fiel ihr aber ein, dass er das Klopfen auf die Entfernung gar nicht hören könnte. Sie steckte sich den kleinen Finger in den Mund, und ein