Tonda Knorr

Totenwache


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wenn sie Kuntz persönlich kannte.

      „Bis dann.“

      Die beiden Frauen küssten sich auf die Wangen. Sarah drehte sich um und ging schnurstracks unter Lisas Beobachtung ins Haus.

      „Wo wollen Sie hin?“, erwartete Sarah im Foyer eine herbe, zackige Frauenstimme.

      „Polizeidirektor Kuntz, siebter Stock.“

      „Wir wissen, wo der Herr Polizeidirektor Kuntz sitzt. Sind Sie angemeldet?“

      „Vorgeladen“, triumphierte Sarah.

      „Sie sind?“

      „Fender, Sarah Fender.“

      „Dienstrang?“

      „Zivilist.“

      „Hier steht Hauptkommissarin im Ruhestand.“

      „Zivilist“, wiederholte Sarah im gereizten Ton der uniformierten Empfangsdame. „Und wenn es da steht, wissen Sie doch, wer ich bin und wer von uns den höheren Dienstrang hat. Also!“

      Die Dame am Empfang blickte Sarah an.

      „Sie sind also Sarah Fender.“

      Sarah lehnte sich gerade mit beiden Armen gegen den Empfangstresen, als eine nette Stimme hinter ihr erklang.

      „Sarah Fender?“

      „Ja?“

      „Der Herr Polizeidirektor erwartet Sie.“ Mit einem smarten Lächeln deutete eine ältere Dame auf den Fahrstuhl. „Ist schon gut“, sagte sie zu der Frau hinterm Tresen.

      „Sie müssen trotzdem durch die Sicherheitsschleuse“, wehrte sich die Empfangsdame.

      „Ist schon gut“, wiederholte die ältere Frau eindringlich.

      „Ich mach hier nur meine Arbeit“, verteidigte sich die Empfangsdame.

      „Und das ist auch gut so“, beendete die andere das Gespräch, während sie Sarah vorsichtig am Arm nahm.

      Sarah stand mit der Frau im Fahrstuhl und gemeinsam musterten sie die elektronische Anzeige der Etagen.

      „Bin ich zu spät?“, fragte Sarah leise. Wenn sie mit Lisa zusammen war, vergaß sie öfters mal die Zeit.

      „Nein, nein, alles in Ordnung. Keine Sorge“, bekam sie mütterlich zur Antwort, ohne dass die Frau ihre Augen von den Ziffern über der Fahrstuhltür ließ.

      „Ich habe da eben ziemlichen Mist von mir gegeben.“

      Fragend blickte Sarah in das Spiegelbild der Frau in der glänzenden Fahrstuhltür. Die Frau wandte sich Sarah zu.

      „Na ja, was soll ich Ihnen sagen“, lächelte sie Sarah an. Sie musste ungefähr das Alter ihrer Mutter haben. „Theoretisch haben Sie einen höheren Dienstrang, das ist schon richtig. Aber Sie können doch nicht erwarten, dass wir den Innenminister an die Pförtnerloge setzen, damit die Diskussionen mit den Diensträngen aufhören.“ Sie sah Sarah belustigt in die Augen. Ihr Gesicht strahlte Wärme aus. „Aber Sie haben schon Recht, dass wir irgendwann über unsere eigenen Vorschriften und Anordnungen stolpern werden. So ist nun mal die Zeit.“

      Während sie redete, musterte die Frau Sarah.

      „Ja, so hat man Sie beschrieben. Sie sind Sarah Fender.“ Ein wohlwollendes Nicken begleitete ihre Worte.

      „Beschrieben?“

      „Seitdem Sie bei der Polizei sind, schwärmt der Direktor von Ihnen.“

      „Oh, dann müssen Sie Theresa sein.“

      „Sie kennen mich?“, fragte Theresa überrascht.

      „Ich kenne Bernhard ganz gut. Er hat von Ihnen erzählt.“

      Mahnend blickte Theresa zu Sarah.

      „Polizeidirektor Kuntz! Bitte vergessen Sie nicht, wo wir hier sind, Frau Fender.“

      „Einverstanden, aber nennen Sie mich Sarah.“

      Der Klang des Gongs und das Rauschen der Tür beendete das Gespräch. Die Flure in der siebten Etage waren mit Auslegware versehen. Die Wände waren mit einer hässlichen Holzvertäfelung verkleidet. Daran hingen teils noch hässlichere Bilder. Je höher die Position, umso geschmackloser die Einrichtung, musste Sarah mal wieder feststellen. Da war ihr das selbst gemachte Chaos auf ihrem Schreibtisch schon lieber.

      „Warten Sie hier“, flüsterte Theresa ihr wissend noch schnell ins Ohr und verschwand durch eine Tür. Sarah fiel auf, dass sie noch nie hier oben gewesen war. Sie betrat den Flur wie ein kleines Mädchen, das in eine geheime Welt vordrang. Wie musste es dann erst beim Polizeipräsidenten oder beim Innenminister aussehen? Sie setzte sich. Schräg gegenüber stand ein durchtrainierter Wachmann in einem schwarzen Anzug, der ihr höflich zulächelte.

      Sarah lächelte zurück.

      „Hallo.“ Der Wachmann nickte sanft. Die Ruhe war für Sarah unausstehlich.

      „Immer hier?“, fragte sie und verdrehte im selben Augenblick ihre Augen wegen ihrer dummen Frage.

      „Nur heute.“ Der Wachmann überraschte Sarah tatsächlich mit einer Antwort. Sarah blickte ihn fragend an.

      „Der Innenminister ist im Haus“, versuchte er Sarahs ungestellte Frage zu beantworten.

      „Was? Wegen mir?“ Sarahs Stimme klang piepsig.

      „Nein“, schmunzelte der Wachmann und blickte aus dem Fenster. Sarah sah den hellgrauen, verkabelten Kopfhörer, der ihm im Ohr steckte. Unweigerlich musste sie an den Abend denken, wo auch sie so ein Ding im Ohr hätte gebrauchen können. Sie kam aber nicht dazu, die Erinnerungen zu vertiefen. Eine große Holztür ging auf, und Theresa bat sie höflich, ihr zu folgen.

      „Mach’s gut, Bodyguard“, raunte Sarah mit einem Augenzwinkern dem Wachmann zu und folgte Theresa. Plötzlich wurde ihr wieder bewusst, warum sie eigentlich hier war. Theresa klopfte an einer schweren, doppelflügeligen Tür und trat sofort ein.

      „Herr Polizeidirektor, Frau Sarah Fender. Bitte denken Sie an Ihren Termin mit dem Innenminister.“

      „Danke Theresa. Bitte erinnern Sie mich noch mal eine Viertelstunde vorher daran.“

      Sarah trat in ein riesengroßes Büro. Lisa würde erstmal den Konferenztisch entsorgen und ihre Badewanne mitten ins Zimmer stellen. Am anderen Ende stand der Schreibtisch von Bernhard Kuntz, dem Polizeidirektor im Polizeipräsidium Berlin, der gerade aufstand. Die Wände waren hier nur halbhoch getäfelt, sahen geschmackvoller aus, und die Wand darüber hatte einen warmen Gelbton. An der Rückseite des Zimmers stand ein Sideboard mit ein paar Bildern. Auf das Bild in der Mitte war Bernhard Kuntz wohl am meisten stolz. Er, der Innenminister und die Kanzlerin bei irgendeinem Empfang in trauter Dreisamkeit. Bernhard Kuntz drehte sich kurz um, blickte auf das Bild und kam Sarah entgegen.

      „Tja, das war was.“

      „Herr Polizeidirektor.“

      „Frau Hauptkommissarin“, entgegnete Bernhard Kuntz verwundert. „Hat Theresa wieder ganze Arbeit geleistet.“

      „Fender, Sarah, Zivilistin.“

      „Hä, was?“ Bernhard Kuntz wunderte sich noch mehr.

      „Nicht Hauptkommissarin, Zivilistin“, versuchte Sarah ihre Bemerkung zu rechtfertigen.

      Kuntz blickte Sarah ernst an.

      „Also erstmal bleibe ich weiterhin Bernhard für dich und du hoffentlich Sarah für mich.“ Er machte eine kurze Pause und nahm sie dabei väterlich rechts und links am Arm. „Zweitens bist du Hauptkommissarin im Ruhestand. Du behältst deinen Dienstgrad. Das müsstest du doch wissen, weil du schlau bist, und außerdem steht das in deinen Unterlagen, die du schon eine ganze Weile abholen solltest.“ Bernhard Kuntz hielt seine kleine Predigt für beendet. Ein Lächeln kam ihm übers Gesicht. „Komm, setz dich. Wie geht es dir?“ Er deutete mit