Tonda Knorr

Totenwache


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      „Ich kann es ihr nachfühlen“, flüsterte er.

      „Sie wissen gar nicht, wovon Sie reden“, entgegnete Theresa in ungewohnt harschem Ton.

      „Ich weiß, wie es ist, wenn man von seinen Kollegen im Stich gelassen wird.“

      Theresa schaute zur Seite. Ihr scharfer Blick traf den Polizeidirektor. Er spürte das genau, reagierte aber nicht.

      „Sarah fühlt sich nicht nur von ihren Kollegen im Stich gelassen, Herr Direktor.“

      Ganz langsam aber deutlich sprach Theresa den Satz in seine Richtung.

      „Von wem denn sonst noch?“, fragte er. Theresa schwieg.

      Er kannte die Antwort und war froh, dass Theresa ihn nicht damit konfrontierte.

      Kapitel 5

      Als Lisa die schwere Metalltür ihres Lofts aufschob, klimperte Sarahs Schlüsselbund am Türgriff. Einen Augenblick später fiel er auf die Erde und wurde durch die Tür über den Fußboden geschoben.

      „Sarah?“ Fast wie ein Echo hallte der Name durch den Raum. Lisa hatte das Gefühl einer wohligen Wärme in ihrer Wohnung. Es lief leise die Musik von Sally Oldfield. Lisa freute sich auf den Abend mit ihrer besten Freundin. Zu lange hatten sie sich nicht mehr gesehen.

      „Sarah?“, wiederholte sie. Wieder keine Antwort. Langsam trat Lisa um die spanische Wand, die vor ihrer Wohnungstür stand, um den direkten Blick in ihr Loft zu verdecken.

      Mitten in dem riesigen Zimmer stand wie ein Thron auf einem Podest ihre Badewanne. Sie konnte trotz des gedämmten Lichts der zahlreichen Kerzen Sarahs Kopf auf dem Wannenrand erkennen. Ihr Gesicht richtete sich mit geschlossenen Augen hoch zur Decke. Ihre langen, nassen Haare hingen über die Wanne. Kleine Wassertropfen fielen auf den Boden. Ihre zarten Hände ragten über den Rand. In der rechten hielt sie mit zwei Fingern ein halbvolles Weinglas. Die schon fast leere Flasche stand auf dem Fußboden. Lisa erstarrte. Ihr Herz pochte wie verrückt.

      „Sarah?“, flüsterte sie fast unverständlich. Sarah deutete mit einer kleinen Handbewegung an, dass sie noch unter den Lebenden weilte. Erleichtert flog Lisas Handtasche in die Ecke. Sie zog sich den Blazer aus, quälte sich aus ihren Pumps und schwang sich in die Badewanne. Dass sie immer noch ihre Bluse und ihre Jeans anhatte, störte sie nicht. Sie saß quer in der Wanne. Sarah hatte es gerade noch geschafft, ihre Beine beiseite zu nehmen, sodass Lisas Hintern genug Platz hatte.

      „Ich dachte schon …“, plapperte sie freudig los. Sarah lehnte sich wieder zurück und verfolgte den Wasserdampf auf dem Weg zur Zimmerdecke. Lisa hatte sich die Weinflasche geschnappt, beäugte Sarah aus den Augenwinkeln und nahm einen Schluck aus der Flasche.

      „Youuuu aaare the moorning off my liiiiife“, trällerte Sarah plötzlich zum Refrain von Sally Oldfield. „Duhu …“, versuchte Sarah sich zu artikulieren, „bist … daaas … Besssste …“ Sarah unterbrach ihren Satz und trank ihr Glas mit einem Zug leer. „…waaas mir je passssiert is.“

      Sie schaute Lisa mit riesengroßen, verdrehten Augen an. Lisa betrachtete sie wehmütig, legte ihren Kopf zur Seite und beobachtete Sarah. Sie benetzte ihre Fingerspitzen und ließ die Wassertropfen über dem Tal zwischen Sarahs Brüsten auf ihre Haut perlen.

      „Und du …“ begann sie langsam zu reden, „bist das Schönste, was ich je gesehen habe.“

      Sarah verzog ihren Mund zu einer Schnute, wie es kleine, bockige Kinder tun. Sie pustete und rutschte mit ihrem ganzen Körper unter Wasser, bis sich das Pusten aus ihrem Mund in blubbernde Wasserblasen verwandelte. Lisa verlor durch Sarahs Bewegung das Gleichgewicht und rutschte mit runter. Beide planschten und kicherten wie zwei kleine Kinder. Sie hielten inne und schauten sich an.

      „Schlüpperabend?“

      Sarah musterte Lisa von oben bis unten.

      „Na, wer von uns beiden hat denn hier seine Klamotten noch an?“

      Lisa schaute an sich runter. Mit einem Schwung hievte sie sich aus der Wanne, wodurch Sarah wieder unter Wasser rutschte. Sie pellte sich aus ihrer klatschnassen Hose und drehte sich verstohlen zu Sarah um. Mit einem Lächeln warf sie ihr ein Badetuch zu.

      Zusammengekauert saß Sarah, das Badetuch über die Schultern gezogen, auf der Couch. Lisa stellte eine neue Flasche Wein auf den Tisch und setzte sich vor den Couchtisch auf den Fußboden. Mittlerweile war sie, bis auf die Decke in die sie sich gehüllt hatte, splitterfasernackt. Sarah beobachtete das Funkeln der Kerzen in dem Metall der Kette, die Lisa schmückte. Lisa musterte Sarah. So haben sie früher oft die Abende verbracht, aber eben seit dieser einen Nacht nicht mehr.

      „Und? Wie war es bei Kuntz?“

      „Ich glaube, mein Vater steckt da schon wieder mit drin“, begann sie langsam zu erzählen. Verwundert hakte Lisa nach. „Dein Vater? Was hat der denn damit zu tun?“

      „Na, als es darum ging, mich in den Ruhestand zu versetzen, wurden bei ihm offene Türen eingerannt.“

      „Ach so?“

      „Wieso hast du dich damals eigentlich versetzen lassen?“, fragte Sarah wie aus heiterem Himmel, was Lisa sichtlich überraschte.

      „Es wurde mir nahegelegt, um eine Versetzung zu bitten.“

      „Was? Warum?“

      „Ich bin am nächsten Morgen zum diensthabenden Einsatzleiter gegangen und habe dem gleich gesagt, dass ich die ganze Heuchelei und die Ausreden, von wegen Befehle und Vorschriften, nicht mitmachen werde. Weißt du, was der gesagt hat?“ Lisa zögerte und überlegte, wie sie weiter erzählen sollte.

      „Bloß weil die kleine Misthure Scheiße gebaut hat, soll ich jetzt nicht so einen Aufstand machen. Wenn mir was nicht passt, kann ich mich gerne versetzen lassen.“

      Lisa zögerte wieder, nahm ihr Glas und stieß damit gegen Sarahs Glas, das auf dem Tisch stand.

      „Prost!“ Dann trank sie mit einem Zug das ganze Glas aus. „Was soll ich dir sagen, dann habe ich ihm seine Kaffeetasse übern Frack gehauen und ihm gesagt, dass er das größte Machobullenarschloch sei, was ich je in Uniform gesehen habe.“ Lisa musste kurz auflachen. Auch Sarah schmunzelte, weil sie sich gut vorstellen konnte, wie Lisa ausgerastet war. So mancher ihrer Verflossenen hatte das schon zu spüren bekommen, und wenn Sarah das Glück hatte, dabei sein zu dürfen, fand sie Lisa in dem Augenblick immer besonders sexy.

      „Und am Nachmittag kam dann der Anruf vom Polizeipräsidium, ob ich denn nicht Interesse hätte, dort zu arbeiten. Büroarbeit und so’n Scheiß. Polizeidirektor Kuntz hätte mich persönlich empfohlen.“ Lisa verdrehte das Gesicht, während sie weiterredete. „Der kannte mich doch gar nicht.“

      „Aber mein Vater kannte dich.“

      „Dein Vater?“

      „Mein Vater kennt Bernhard Kuntz. Hier ein Empfang, da ein Empfang. Hier ein Skatabend, da ein Golfwochenende. Die hängen doch, wenn sie Zeit haben, ständig miteinander rum. Das passt alles schön zusammen.“

      „Na ja, Kuntz hat nur gesagt, dass du sowieso nicht wieder zurückkommst.“ Lisa beobachtete, wie Sarah die Augen zusammenkniff. Sie wusste aber nicht, ob Sarah gerade überlegte, kombinierte oder ob der Wein ihre Augen müde werden ließ.

      „Die wollten uns aus der Schusslinie nehmen.“ Sarah riss plötzlich die Augen auf. „Lisa! Die wollten uns von der Bildfläche haben, uns unter Kontrolle haben. Und wo geht das besser als im Präsidium? Dich versetzen sie und mich hauen die gleich ganz raus. Und meinem Vater ist das natürlich nur recht.“

      Sarah unterbrach ihren Redefluss und sah Lisa mitleidig an. „Warum hast du mir nichts davon erzählt?“ Sie musste schlucken. Wieder wusste Lisa nicht, ob Sarah heulen wollte. „Es tut mir so leid.“

      „Hey, hey, hey, das muss dir nicht leidtun. Du bist meine beste Freundin. Sieh dich doch mal an. Meine Knochen