Tessa Koch

Liebe ist tödlich


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Rufen und Stühle Scharren mehrerer Gäste. Als er sich umwendet, sieht er Lia am Boden liegen, das Gesicht Blut überströmt, die Hände erschrocken auf die Nase gepresst. Glasscherben liegen um sie zerstreut wie abstrakter Schnee und der Boden um sie herum ist nass und klebrig von Cola, Bier und Wein. Sie sieht überrascht aus, so als könne sie sich nicht erklären, weswegen sie auf einmal auf dem Boden liegt.

      Nick lässt die drei Mädchen hinter sich sitzen und eilt auf Lia zu. Die beiden Frauen, die direkt an dem Tisch neben ihr gesessen haben, haben sich bereits neben sie gehockt und ihr geholfen sich aufrecht hinzusetzen. „Es tut mir so leid!“, hört Nick die eine geschockt sagen, als er sich ihnen nähert.

      „Schon gut“, nuschelt Lia zurück, die Hände nach wie vor auf das Gesicht gepresst.

      Nick kämpft sich einen Weg zu ihnen durch und kniet sich dann vor ihr nieder. Er ist zwar (noch) kein Arzt, doch er ist sich sicher ihre Verletzung dennoch behandeln zu können. Irgendwie. „Was ist passiert?“, fragt er, als er Lia, die ihn die ganze Zeit anblickt, vorsichtig die Hände von der Nase zieht.

      „Ich habe sie nicht gesehen!“, sagt die Frau sofort. Sie wirkt bekümmert und erschrocken zugleich. „Und dann habe ich ausgeholt, so beim Reden, wissen Sie? Um meine Worte ein bisschen besser zu unterstreichen. Da habe ich ihr das Tablett aus der Hand geschlagen.“ Sie sieht mehr als nur schuldbewusst drein.

      Nick betrachtet Lias Nase eingehend. Er tastet sie vorsichtig ab und sie zuckt mit schmerzverzerrter Miene zusammen. „Könnte gebrochen sein“, murmelt er, doch seine Worte kann man dennoch im ganzen Laden verstehen. Mit einem Mal ist es still. Das angenehme Summen ist verstummt. „Wir sollten einen Krankenwagen rufen.“ Er blickt auf zum Tresen. „Martin!“, ruft er über die Köpfe der Gäste und Kellner hinweg, „rufst du ´nen Krankenwagen?“

      „Schon erledigt!“, ruft dieser zurück.

      Zusammen mit Isa zieht Nick Lia auf die Beine und bringt sie aus dem Laden. Hinter ihnen beginnen sofort die Aufräumarbeiten und die Gäste setzen sich langsam auf ihre Plätze zurück. Die Frau, die Lia das Tablett aus der Hand geschlagen hat, bleibt mit bedrückter Miene neben ihrer Freundin zurück. Vor dem Laden lassen sie Lia sich auf eine der Stufen setzen. Sie ist blass, was Nick in erster Linie mit dem Schock in Verbindung bringt, doch ansonsten scheint ihr nicht viel zu fehlen. Natürlich nur, wenn man von ihrer noch immer stark blutenden Nase absieht.

      „Wie geht`s dir?“, fragt Nick sie besorgt und hockt sich vor ihr hin. Isa setzt sich neben sie und legt nicht minder besorgt einen Arm um ihre Schultern. Nick weiß, dass Melina und Isabelle auch privat sehr gut miteinander auskommen. Man könnte beinahe sagen sie wären Freunde.

      Lia blickt ihn an. „Tu nicht so“, sagt sie und er sieht ein vertrautes Blitzen in ihren braunen Augen. „Im Grunde wünscht du dir doch, dass es mir schlecht geht und ich sterbe, damit du meinen Magen nach meinem heutigen Frühstück untersuchen kannst.“

      Nick muss ungewollt grinsen. „Wie ich sehe, kann es dir nicht allzu schlecht gehen.“

      Sie erwidert sein Grinsen schwach. „Mir tut die Nase weh, aber es ist okay, denk ich.“

      „Schauen wir mal, was die Sanitäter sagen“, mischt Isa sich angespannt ein.

      „Wird schon.“ Nick ist sich sicher, dass Lia sie nur beruhigen will.

      Er versucht die Stimmung etwas aufzulockern. „Du hattest sogar halbwegs Recht“, sagt er daher an Lia gewandt. Sie sieht ihn fragend an. „Wir können die Gäste inzwischen aufeinander stapeln – nur dass sie uns nicht die Haare vom Kopf fressen wollen, sondern anscheinend lieber dein Blut trinken möchten.“ Es klappt und Lia fängt an zu lachen.

      Als die Sanitäter wenig später eintreffen, bestätigen diese sofort Nicks Verdacht, dass Lias Nase gebrochen ist. Mit einer Kühlkompresse, die sie sich vorsichtig auf die Nase drücken soll, um der unvermeidlichen Schwellung etwas entgegen zu wirken, nehmen sie sie mit ins Krankenhaus. Isa begleitet sie, damit sie nicht alleine ist.

      Nick sieht dem Krankenwagen hinterher, ehe er das Restaurant wieder betritt. Ihm fällt sofort wieder die Frau ins Auge, die für den Unfall verantwortlich ist, doch als ihr Blick in seine Richtung wandert, wendet er sich schnell ab. Er sieht, dass der Tisch, an dem die drei Mädchen saßen, inzwischen verlassen ist. Nur ihre leeren Gläser zeugen von ihrem Besuch. Er geht zu dem Tisch, mechanisch, beinahe benommen, wie er findet, um die leeren Gläser abzuräumen. Dabei fällt sein Blick auf eine der Servietten, auf die hastig eine Telefonnummer gekritzelt worden ist. Ruf mich an!, steht unter der Nummer.

      Nick schüttelt leicht ungläubig den Kopf, ehe er die Serviette zerknüllt.

      Kapitel 24

      Am nächsten Abend ist Lia nicht da, obwohl sie im Plan gestanden hat. Nick ist sich sicher, dass sie für ein paar Tage krankgeschrieben worden sein muss. Ansonsten würde Lia sie nicht im Stich lassen. Dafür ist sie zu hilfsbereit und gutherzig, wie er weiß.

      Isabelle bestätigt seine Vermutung, als er sie später nach Lia fragt. „Für drei Tage wurde sie krankgeschrieben“, sagt sie, „aber mach dir keine Sorgen, es geht ihr gut. Sie meinte, sie hat sich die Nase schon zweimal gebrochen, also war das alles für sie nicht besonders neu.“ Isa lacht. „Typisch Lia, wirklich!“

      Isas Optimismus beruhigt ihn.

      Er geht weiter seiner Arbeit nach, mit den Gedanken überall, mal hier mal dort, mal bei seinem Studium, mal bei Lia, mal bei der kommenden Woche, nur nicht wirklich hier. So kommt es, dass er den Mann, den er bedient, erst erkennt, als dieser ihn anspricht. „Nick?“

      Nick hält im Abräumen der Gläser der Vorgänger inne und sieht zu dem Mann auf. Die blauen Augen seines Gegenübers stechen auf eine beinahe bedrohliche Art und Weise hervor. Sein blondes Haar ist sauber gescheitelt, sein Lächeln wirkt aufgesetzt. Er kann dieses Gesicht sofort einem Namen zu ordnen, auch wenn er ihn nur unbewusst damals wahrgenommen hat. „Lennard, hey.“ Er räumt die Gläser weiter ab und erwidert das Lächeln.

      „Ich wusste gar nicht, dass du hier nebenbei arbeitest.“ Er spielt mit einem der Bierdeckel.

      „Naja, irgendwie muss man sich die Studiengebühren ja zusammen arbeiten.“ Nick grinst ihn an. „Und hier verdient man ganz gut, wenn man nur genug schleimt.“ Auch Lennard grinst. Nick vermag nicht zu sagen, ob es nur aufgesetzt ist. „Was darf ich dir denn bringen?“

      „Oh, ähm, ein Alster wäre nett.“

      „Kein Problem.“

      Nick entfernt sich von dem Tisch, geht zur Kasse und gibt die Bestellung auf. Heute Abend ist es wesentlich ruhiger, als es noch gestern gewesen ist, vermutlich weil viele Morgen wieder früh aus ihren warmen Betten müssen und den Sonntag daher lieber zu Hause ausklingen lassen als noch wegzugehen. Oder weil sie ihre Kater von gestern Nacht ausschlafen müssen. Lennards Alster ist schnell zubereitet und als Nick sich seinem Tisch wieder nähert, sieht er wie Lennard sich in dem großen Raum weit umsieht. Nein, er scheint sich nicht umzusehen. Eher etwas zu suchen. Oder jemanden.

      „Dein Alster“, sagt Nick, als er seinen Tisch erreicht, und stellt das Glas vor ihm ab.

      Lennard fährt herum, anscheinend zutiefst erschrocken. „Was? Ach, ja, klar. Danke.“

      Nick mustert ihn leicht argwöhnisch. „Ist alles okay?“

      „Ja, ja klar, ich habe mich nur gefragt … hat dieser Laden noch irgendwelche Nebenräume?“

      Die Frage irritiert Nick. „Außer der Küche, der Toiletten und dem Raucherraum? Nein. Naja, außer unsere Umkleideräume im Keller. Aber da darfst du erstens nicht rein und zweitens ist es da unten eh nicht so spektakulär. Wieso fragst du?“

      Er zuckt mit den Schultern, versucht unbekümmert zu wirken. „Nur so.“

      „Hm, okay. Wenn noch was ist, frag mich einfach.“ Lennards Gebaren verwirrt Nick und er hat nicht gerade das Bedürfnis, weiterhin an seinem Tisch zu stehen