Frank Springer

Philipps Entscheidung


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blinzelte er und schaute sie an. Mit ihren langen und dünnen Armen und Beinen wirkte sie fast zerbrechlich. Sie trug einen zweiteiligen Badeanzug, der nur aus vier kleinen dreieckigen Stoffstückchen bestand, die mit dünnen Schnüren verbunden waren.

       Er sagte knapp: „Was denn?“

       Sie fuhr fort: „Magst du mit mir Federball spielen?“

       Philipp hatte dazu keinerlei Lust, aber ihm fiel so schnell keine geeignete Ausrede ein.

       Daher antwortete er unfreundlich: „Meinetwegen.“

       Er stand auf und das Mädchen reichte ihm einen Schläger.

       Sie sagte: „Ich heiße Josephine. Wenn du magst, kannst du Josi sagen. Wer bist du?“

       Philipp entgegnete kurz: „Philipp.“

       Lustlos begann er mit dem Spiel. Sie spielten den Ball einige Male hin und her. Philipp strengte sich dabei jedoch kaum an, so dass der Ball öfters zu Boden fiel. Josephine kicherte dann jedes Mal albern.

      Isabelle half nun Mimmi und Lenni bei dem Bau ihrer Sandburg. Inzwischen hatte sie schon größere Erdmassen aufgetürmt. Philipp spielte weiter mit Josephine Federball. Als er genug davon hatte, gab er ihr den Schläger zurück und setzte sich wieder auf sein Handtuch. Damit hatte er aber längst noch keine Ruhe vor dem Mädchen.

       Josephine fragte ihn: „Darf ich mich zu dir setzen?“

       Philipp antwortete barsch: „Wenn es sein muss.“

       Sie setzte sich direkt neben ihn auf sein Handtuch. Philipp war diese unmittelbare Nähe unangenehm, zumal er das Mädchen kaum kannte.

       Sie sagte: „Du kannst sehr gut Federball spielen.“

       Philipp war verwundert, da es ihr kaum verborgen geblieben sein dürfte, dass er sich dabei keinerlei Mühe gegeben hatte.

       Er erwiderte: „Meinst Du?“

       Ja“, sagte Josephine, „es hat richtig viel Spaß mit dir gemacht.“

       Philipp entgegnete genervt: „Ach, wirklich?“

       Josephine fragte: „Ich bin im Frühjahr zwölf geworden. Wie alt bist du?“

       Philipp antwortete: „Dreizehn.“

       „Das ist schön“, sagte das Mädchen.

      Philipp fragte sich gerade, was daran schön sein sollte, als er spürte, dass Josephine seine Hand berührte. Instinktiv zog Philipp seine Hand ruckartig weg. Das Mädchen erschreckte sich sehr darüber und rückte ein wenig von dem Jungen ab. Philipp tat es zwar irgendwie etwas leid, dass er Josephine so einen großen Schrecken versetzt hatte, aber er fühlte sich dadurch wohler, dass sie nicht mehr so sehr dicht bei ihm saß.

       Um die Situation zu überspielen, zeigte Josephine auf das Buch und fragte: „Was liest du denn da?“

       Philipp antwortete: „Das ist ein Abenteuerroman.“

       Sie fragte weiter: „Ist das Buch auch romantisch?“

       Er antwortete: „Nein, nur spannend.“

       Sie sagte bedauernd: „Schade, ich mag romantische Geschichten.“

       Er entgegnete: „Ich nicht.“

      Das Gespräch war Philipp äußerst unangenehm. Er wusste nicht, was das Mädchen von ihm wollte und was er ihr sagen sollte. Ihre ständige Fragerei nervte ihn. Am liebsten wäre er jetzt einfach aufgestanden und weggegangen. Das wäre aber unhöflich von ihm gewesen und er wollte nicht unhöflich sein. Ihm fiel auch keine Ausrede ein, mit der er hätte die Unterhaltung beenden können.

       Wie eine Erlösung kam für ihn daher der Ruf seiner Mutter: „Philipp, kommst du bitte. Gleich gibt es Mittagessen.“

       Sonst mochte Philipp nie, wenn seine Eltern ihn riefen, aber jetzt war es ihm sehr recht. Endlich hatte er einen Vorwand, um das für ihn anstrengenden Gespräch mit dem Mädchen zu beenden. Er nahm seine Sachen und stand auf.

       Josephine sagte: „Bis gleich. Wir sehen uns beim Essen.“

       Ohne ihr zu antworten, ging Philipp mit seinen Eltern zum Haus. Er grübelte darüber nach, weshalb das Mädchen ihn so hartnäckig bedrängt hatte, obwohl er sich ihr gegenüber recht abweisend verhalten hatte. Ihm fiel keine Antwort ein.

      Kurz bevor sie die Pension erreichten, sah Philipp etwas, das ihn sehr erfreute und auf andere Gedanken brachte. Der weißblonde Junge von gestern war dabei, schwere Kisten und Kästen aus einem Kombiwagen zu entladen und durch die Hintertür ins Haus zu bringen. Er hatte wieder seine blaue Latzhose und den weiten Sommerpullover an.

       Bevor Philipp mit seinen Eltern und Schwestern das Haus betrat, sagte er zu ihnen: „Geht schon vor. Ich komme gleich nach.“

       Philipp ging zu dem Jungen mit den struppigen Haaren, der gerade einige Kisten aus dem Auto hob, und sagte: „Hallo, kann ich dir helfen?“

       Der Junge lachte und antwortete: „Hallo! Nein, du bist hier Gast. Du sollst nicht arbeiten.“

       Um sich bekannt zu machen und so vielleicht eine Freundschaft zu beginnen, fragte Philipp ihn: „Ich bin Philipp. Wie heißt du?“

       Der Junge erwiderte: „Ich heiße Wibke.“

      Es traf Philipp wie ein Schlag. Das hatte er nun überhaupt nicht erwartet. Der Junge war in Wirklichkeit ein Mädchen. Philipps einzige Hoffnung auf wenigstens etwas Abwechselung in diesem eintönigen Urlaub war auf ein Mal zunichte. Sein gesamter Traum von gemeinsamen, spannenden Abenteuern mit diesem Jungen zerplatzte wie eine Seifenblase.

       Philipp konnte seine Überraschung nicht verbergen und sagte: „Du bist ein Mädchen?“

       Wibke lachte: „Ja klar, bin ich das. Was dachtest du denn? Ist das ein Problem für dich?“

       Philipp beeilte sich zu sagen: „Nein, nein, überhaupt nicht.“

       Er musste immer noch sehr verwundert ausgesehen haben, denn Wibke lächelte freundlich: „Mach dir nichts draus. Es ist nicht das erste Mal, dass mich jemand für einen Jungen gehalten hat. Das ist mir schon öfters passiert.“

       Philipp war die Situation äußerst peinlich. Am liebsten wäre er jetzt sofort im Boden versunken. Zum Glück hatte niemand außer Wibke seinen Irrtum bemerkt. Sie selbst schien es gelassen zu nehmen und war höchstens leicht amüsiert darüber.

      Wibke trug vor sich einen Stapel Kisten und kam direkt auf Philipp zu.

       Sie sagte: „Wenn du mir wirklich helfen möchtest, dann geh bitte einen Schritt zur Seite, damit ich an dir vorbei komme. Du stehst mir nämlich mitten im Weg.“

       Philipp konnte nun sehen, dass in der obersten Kiste, die Wibke trug, sorgfältig aufgereiht mehrere Fische lagen. Die Fische sahen ihn mit ihren starren, toten Augen an und verströmten dabei eine unverkennbare Duftwolke.

       Philipp konnte sich nicht beherrschen und rief: „Igitt, was ist den das?“

       Wibke antwortete ruhig: „Das ist dein Abendessen. Heute gibt es frischen Fisch. Du kennst wohl nur Fischstäbchen aus dem Tiefkühlfach.“

       Dabei aß Philipp sehr gerne Fisch. Selbstverständlich kannte er aus der Fischabteilung im Kaufhaus die verschiedenen Fischarten, die appetitlich aussehend in der Auslage auf Eis präsentiert wurden. Er liebte auch den Anblick, wenn der Fisch vor wohlschmeckend zubereitet vor ihm auf seinem Teller lag. Aber so unmittelbar und unvorbereitet damit im Rohzustand konfrontiert zu werden, erschreckte ihn im ersten Moment doch etwas.

       Wibke bot ihm an: „Wenn es dich interessiert, dann kannst du mir dabei zusehen, wenn ich die Fische ausnehme.“

       Philipp entgegnete: „Nein danke, darauf verzichte ich gerne. Ich konzentriere mich nachher lieber auf das Essen. Aber jetzt gibt es erst Mittagessen. Ich gehe dann mal.“

       Wibke sagte: „Mach das und guten Appetit dabei.“

      Wibke verschwand mit den Kisten im Hintereingang, während Philipp zum Vordereingang des Hauses lief. Er war wütend und enttäuscht. Weit und breit gab es nun niemanden mehr, mit dem er in diesen Ferien etwas erleben