Alexa Keller

Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I


Скачать книгу

Kranken hier. Auch die Schwestern mochten sie, die oft ein schiefes Lächeln aufsetzte und unbewusst Haarsträhnen um die Finger ihrer Rechten wickelte.

      Eine Untersuchung hatte gezeigt, dass sie etwa 20 Jahre alt und körperlich völlig in Ordnung war, sogar sehr fit. Dem Alter nach hätte sie am Ende ihres Wehrdienstes sein müssen. Eine Anfrage bei der Legion und dem Zentralregister der Schwesternschaft in der Hauptstadt Targomua lief noch. In Telvenkeskua selbst war jedenfalls keine Krasnajal, Ashexee gemeldet, selbst der Familienname Krasnajal war unbekannt.

      Sie fuhr sich durch die verschwitzte dunkle Mähne und kletterte aus dem Bett. Der lederbespannte Steinboden war kühl. Sie genoß das Gefühl an ihren bloßen Füßen. An diesem Ort war es auch in der Nacht sehr warm. Es war Sommer, der hier sehr heiß werden sollte, hatte es geheißen. Sie sog alle Informationen gierig auf, die ihre Mitmenschen ihr, meist beiläufig, vorsetzten. Merkwürdigerweise konnte sie auch fenlorisch lesen, und Tag für Tag arbeitete sie sich durch die Werke der kleinen Bücherei des Hauses, nachdem sie zunächst die bunten Zeitschriften im Aufenthaltsraum verschlungen hatte.

      Entschlossen war sie, diese Ashexee Krasnajal, das hatten Heilmagas und Schwestern ebenfalls schon festgestellt. Sie wusste nichts mehr über ihre Welt, ihre Heimat Fenlora? Sie würde es lernen, so schnell wie möglich.

      Die Damen Magas in ihren gelben Kleidern und den eleganten Overkneestiefeln gleicher Farbe hatten Ashexee versichert, ein gut gewirkter Zauber könne ihre Erinnerung wecken, alles zurückbringen, was sie verloren. Irgendwie hatte Ashexee ihnen nicht geglaubt, gewusst, das nichts Gutes daraus erwachsen würde. Tatsächlich hatte der Zauber ihre Erinnerung nicht zurückgebracht, aber stattdessen die Albträume erweckt, die sie nun Nacht für Nacht quälten. Die Heilmagas machten nachdenkliche, gewichtige Mienen und nickten wissend.

      Ashexee aber wusste, das die Damen gar nichts wussten. Die Heilkunde, die Magie, die jede hier so selbstverständlich nahm, konnte ihr nicht helfen.

      Die blasse Dunkelhaarige schlüpfte in weiche Amshaunterwäsche und zog eine knappe, leichte Tunika in blau darüber. Die Farbe blau gefiel ihr irgendwie. Die Farbe der Frau, im Gegensatz zum Rot des Mannes, so sagte die Schwester, die ihr beim Auswählen der Kleidung geholfen hatte. Sie nahm die flachen, leichten Stoffschuhe, Tamis genannt, zur Hand und zog sie über die Füsse. Ashexee verspürte Hunger, sie schien immer Hunger zu haben. Schneller Stoffwechsel, hatte eine andere Schwester, ein mütterlicher, fülliger Typ, dazu gemeint. Was war ein Stoffwechsel? Sie hatte es nachgelesen, wie so vieles. Aber es gab noch soviel mehr zu wissen.

      Sie verließ leise das Zimmer und glitt lautlos auf den Gang. Magisches Licht erhellte diesen, aus Lampen unter der Decke. Solche Dinge, die Zauber gespeichert hielten, die jeder Mensch, auch Nichtzauberer, auslösen konnten, nannte frau Artefakte. Die selbstverständliche Art mit den geheimnisvollen Kräften der Magie umzugehen, erfüllte Ashexee mit Unbehagen, ohne den Grund dafür zu kennen.

      Weiter hinten im Gang wischte ein schmächtiger Mann in kurzer gelber Tunika den Boden. Ein Sklave des Heilungshauses. Noch so eine Sache, die sie mit Unbehagen erfüllte, sich irgendwie falsch anfühlte, sehr falsch. Alle Männer in Fenlora, diesem Land hier, waren Sklaven, rechtlos, zum Arbeiten und Lust spenden geboren oder gezähmt. Nur Frauen waren frei. Anderswo sollte es Länder geben, wo die Männer herrschten und die Frauen versklavten. Fenlora lag mit diesen Männerländern, Phallokratien genannt, in unversöhnlichem Krieg, angeblich seit Anbeginn der Zeit.

      Ashexee näherte sich dem Sklaven, der sie nicht kommen hörte. Lautlos wie ein Raptor, auch das hatte jefrau hier über sie gesagt.

      „Hallo.“

      Überrascht sah der junge Mann auf. Kurz glitt sein Blick über ihre langen, blossen Beine, hinauf zu ihrem Busen, bis zu ihrem Gesicht. Leichte Röte überzog seine Wangen und er senkte hastig den Blick, neigte tief den Kopf.

      „Herrin?“

      „Du bist Arl, nicht wahr? Wie geht es Dir?“

      „Ahh, der Sklave freut sich, dass Herrin seinen Namen behalten hat. Arl geht es gut, Herrin.“

      „Steh doch auf, wenn Du mit mir redest.“

      „Uh, wie Herrin befehlen.“

      „Meinst Du, ich bekomme in der Kantine noch etwas zu Essen?“

      „Da fragt die Schwestern im Wachzimmer, Herrin.“

      Ashexee spürte, dass der junge Kerl sich unbehaglich fühlte. Wut stieg in ihr hoch. Sklaverei war falsch, böse. Ein Mensch war frei. Nur weil er ein Mann war… sie rief sich zur Ordnung. Ihr Gesicht hatte sich verfinstert, und Arl schrumpfte unter ihrem Blick, Angst in den Augen.

      Sie lächelte schief und berührte ihn leicht am Arm.

      „Es ist gut, danke.“

      Sie wandte sich ab und ging in die andere Richtung zum Wachzimmer der Schwestern. Hinter ihr begann Arl wieder den Boden zu putzen.

      Wenn sie etwas gegessen hatte, wollte sie noch etwas lesen, drüben, im Aufenthaltsraum. Ein Geschichtsbuch, über den Genderkrieg. Warum hassten sich Männer und Frauen hier nur so?

      Die Kopfschmerzen kehrten zurück. Kleine, fallende Splitter in der Finsternis. Sie schloss die Augen und verhielt im Schritt. Plötzlich hörte sie den Sklaven atmen, roch sein Gemächt, das sich wegen ihr geregt hatte, sein Herz klopfte, schnell und hart. Er war über 12 Schritte entfernt.

      Sie blinzelte. Die sensorischen Eindrücke vergingen, wie sie gekommen waren. Nach außen zeigte sie Geduld, Annehmen des eigenen Schicksals. Es schien ihr schlicht richtig zu sein. Doch wer war sie? WAS war sie?

      X

      Batrallen-Kamm, Pogran, 2.Juli 2.325, 11.Stunde

      „Herein, herein, werter Papperlapapp. Wie schlicht eure Aufmachung. Nun, ich bin ja auch kein Ausbund an modischer Eleganz. Sagt guten Tag zu Klappel.“

      Nulbo Papperlapapp lächelte höflich und schüttelte dem dicken Mann im rosablau quergestreiften Gewand die fleischigen, beringten Finger, beugte sich zu dem blauen Fuwupp-Mupp mit den gelben Punkten herab und streckte auch dem Tier die Hand entgegen.

      Klappel schnüffelte und streckte dann sein gelbgepunktetes blaues Händchen aus, seine grünen Augen musterten den schlanken schwarzhäutigen Mann neugierig.

      Das Fuwupp-Mupp gluckste und stieß ein energisches „Mupp!“ hervor. Mit dem anderen Händchen sammelte es ein dickes Blatt Papier vom Boden auf und zeigte stolz seine Künste. In Lesagaux hätte das Tierchen mit seinen Wachsstiftgemälden sicherlich eine Ausstellung bekommen. Wie peinlich, wenn man entdeckt hätte, dass die wunderbaren Werke den Patschegriffeln eines Tieres entstammten. Eine Idee für einen neuen Sketch? Nulbo machte sich eine geistige Notiz.

      „Schönes Bild, Klappel. Du bist begabt, keine Frage.“

      Klappel warf sich in die kleine Brust.

      „Wupp, Fupp, Mupp, Mupp!“

      „Zweifellos.“

      Zufrieden wandte sich das Fuwupp-Mupp wieder seinen Wachsmalstiften zu, die Menschen ignorierend. Wären Menschen nur so unschuldig und gutartig wie Fuwupp-Mupps, dachte der Komödiant und seufzte.

      Sein Gastgeber hatte ihn lächelnd beobachtet, während er mit Klappel sprach. Jetzt machte er eine einladende Geste hinüber zum Tisch am anderen Ende des Saales.

      Zwischen Tür und Tisch hinten am Panoramafenster, das einen atemberaubenden Blick auf die Gipfel des Batrallen-Kamms gewährte, erstreckten sich Modellbäume, Berge und Flüsse auf dem Boden, dazwischen hölzerne Gebäudemodelle. Nulbo erkannte das Baxa in Targomua, den Turm der Freiheit in Taru-Vempp, den Maharani-Palast zu Adohya und andere weltberühmte Bauwerke.

      Das Hobby des Gastgebers war es, in diesem Saal ein Miniaturterklora zu bauen. Pogranische Freizeitbeschäftigungen zeichneten sich gewöhnlich durch friedliche Beschaulichkeit aus, und Braat Wild-Wechsels, des großen Streichholzmagnaten, Spielerei war da keine Ausnahme. Einem Mann mit solchem Hobby