Alexa Keller

Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I


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und stabdünne Überlandstraßen steigend, seinen Weg suchte, bemerkte er das halbfertige Modell des Lorntempels zu Zakunthi, älteste Kultstätte des phallokratischen Gottes im Lande der großen Krieger und Frauenzähmer.

      Idioten allesamt, dachte Nulbo, ohne die und die genauso verrückten Weiber aus Fenlora wären wir die größten Sorgen los.

      Braat Wild-Wechsel, das schüttere graue Haar in mehrere Richtungen stehend, hellgrüne Pantoffeln mit orangen Quasten an den Füßen, das blaurosa Gewand in den Augen schmerzend, ganz der verschrobene, gutmütige Märchenonkel, hatte bereits in einem ledernen, weißrot karierten Sessel hinter seiner Bastelstätte Platz genommen.

      Nulbo musterte den Sessel vor dem Tische, sicherlich war er bequem und aus feinsten Materialien, allein, sich auf etwas zu setzen, das quittegelb und metallicgrau quergestreift war, bereitete dem Gysanier fast körperliche Schmerzen.

      Andere Länder, andere Sitten. Die Pograner nannten nun einmal einen äußerst eigentümlichen, um nicht zu sagen, entsetzlichen Farbgeschmack ihr Eigen.

      Der Sessel war tatsächlich sehr bequem, und Nulbo lehnte sich zurück, schlug die Beine in der blauen, schlichten Jeanhose übereinander und schenkte Wild-Wechsel eines seiner berühmten, zahnintensiven Bühnenlächeln.

      „Meine Güte, ihr seht wirklich so aus wie auf den Plakaten. Meine Nichte sah Euch letzte Woche in Delmengu. Schreiend komisch sollt ihr gewesen sein. Ich hatte erwartet, Euch heute ebenfalls in der roten Haarbürste zu sehen, die ihr auf den Plakaten zur Schau stellt. Es überrascht mich, dass es nur eine Perücke ist.“

      Nulbo, den Kopf kahl wie ein Ei, ließ sein Lächeln verschwinden.

      „Privat bin ich ein zurückhaltender Mann, der seine Privatsphäre schätzt. Auf Tournee hier in Pogran ist es erträglich, daheim in Gysanien jedoch kennt jeder Nulbo Papperlapapp, den dauerschwätzenden Neger mit dem roten Bürstenhaar. Ich bleibe lieber unerkannt, wenn ich im Restaurant speisen will und dergleichen.“

      „Ich verstehe. Nun, natürlich ist es auch von Vorteil, hier unbekannt zu bleiben. Eure Verbindung zu FREIHEIT FÜR ALLE ist geheim, sagte man mir?“

      „Und so soll es bleiben.“

      „Seid unbesorgt, niemand weiß von eurem Besuch bei mir. Auch was wir besprechen, bleibt unter uns Beiden und Klappel. Er kann sehr verschwiegen sein.“

      „Mir will scheinen, ich bin nicht der einzige Komödiant im Heimeligen Haus.“

      Heimeliges Haus – Domizul Schnuddelib – nannte Wild-Wechsel sein Märchenschloss am Fuß des Batrallenkammes, nahe seiner großen Schwefelminen, die ihn zum Streichholzkönig gemacht hatten. Zumindest in den Phallokratien und egalistischen Staaten des Westens kam man – oder frau – an Streichholzschachteln mit den zwei roten Ws nicht vorbei. Ob zum entzünden von Lampen, Kochfeuern oder Zigaretten, die DoppelW-Streichhölzer mussten es sein.

      „Ihr schmeichelt mir, lieber Papperlapapp.“

      „Nennt mich doch Nulbo. Dieser andere Name bezieht sich auf den grinsenden Spaßmacher, ich bin jedoch hier als der Mann, der als Kind vom heimischen Dorf in Ovambo in gysanische Sklaverei verschleppt wurde.“

      „Ah, ich sehe, ihr kommt rasch zur Sache. Ich fürchte, wie stets steht es nicht gut um unser gemeinsames Anliegen. Das Sklavereigeschäft blüht und gedeiht, in welches Land man auch blickt. Mehr, als Demonstrationen organisieren und Spenden sammeln, um soviel Unglückliche wie möglich wieder freizukaufen, bleibt uns nicht zu tun. Auch in Eurem Land haben die Tierschützer stärkeren Zulauf als die Gegner von Sklaverei und Menschenhandel. Hier in Pogran zumindest ist das Los der Sklaven besser als in vielen anderen Gegenden. Doch kein Oplu-Grand wird die Sklaverei abschaffen, nur weil ich oder andere ihm ins Gewissen zu reden versuchen.“

      Ja, die Oplu-Grands, Großfürsten des Oplu Unido Pogran, des pogranischen Reiches, dachten, wie alle Mächtigen, lediglich an Erhaltung des Status Quo und ihrer Macht. Die sozialen und ökonomischen Verwerfungen, die eine allgemeine Abschaffung der Sklaverei mit sich gebracht hätten, wollte beim besten Willen niemand auf sich nehmen. Dabei waren Zahl und wirtschaftliche Bedeutung der Sklaven in Pogran noch relativ gering.

      Anders in Ländern wie Terkonnia oder Fenlora. Sämtliche Männer Fenloras, über 30 Millionen Menschen, waren Sklaven, und jede zweite Frau im erzphallokratischen Terkonnia hatte jedem Wort und Wink eines Maastors zu gehorchen. Die Terkonnier hatten die ganze verabscheuenswerte Institution gar mit einem religiösen Überbau versehen. Lorn, ihr großer Gott, war nicht nur mächtiger Krieger, sondern auch Sklavenherr. Seinem Willen folgend, suchten die terkonnischen Recken die Matriarchate der Welt zu bezwingen und die Bewohnerinnen in fügsame Sklavinnen zu verwandeln. Willkommen, Genderkrieg. Wenig überraschend, wollten sich das die Frauen nicht einfach gefallen lassen. Hallo, EWIGER Genderkrieg. Es schien keinen Weg zu geben, diesen Konflikt, der Terklora prägte, zu beenden. Oder nein, es gab einen Weg. Eine der beiden Seiten konnte den Krieg gewinnen und die andere auslöschen.

      Und das Schlimme war, dass die Weltlage genau darauf zusteuerte. Die Zarija Alura Maslov, Herrscherin Fenloras, bereitete ihr Land zielstrebig auf den großen Endkampf mit dem terkonnischen Erzfeind vor. Auch in Terkonnia wusste man, was die Stunde geschlagen hatte, die stolzen Herren der Schöpfung rangen lediglich noch darum, welchem ihrer Oberholzköpfe die Ehre gebührte, sie in die glorreiche Schlacht zu führen.

      Der Krieg kam, nicht eine der ständigen kleinen Metzeleien, die Hobbys von Fenloras und Terkonniern zu sein schienen, nein, der große, der entscheidende Krieg. Glaubte eine Seite im Ernst, die andere völlig besiegen und versklaven zu können? War ihnen nicht klar, dass weder stolze fenlorische Frauen noch selbstbewusste terkonnische Supermänner jemals aufgeben, sich dem anderen Geschlecht beugen würden? Lang und blutig würde es werden, und die humanitären und wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe würden die ganze Welt erschüttern.

      Schlimmer noch als die Sklaverei war dies, und deswegen war er hier, beim prominentesten Vertreter von FREIHEIT FÜR ALLE in Pogran, einem zwar phallokratischen, aber neutralem und wohltuend pazifistischen Land.

      „Die Sklaverei ist nicht das einzige Problem auf den Schultern der Welt. Der Genderkrieg und seine drohende Verschärfung beunruhigen mich persönlich zur Zeit mehr.“

      „Wohl gesprochen, lieber Nulbo. Allein, was sollen wir tun, Privatmänner nur, wenn auch Vermögende?“

      „Mir sang ein Plappatacka, ihr pflegtet gute Kontakte zum lavendrischen Geheimdienst.“

      Braats Miene zeigte Verblüffung.

      „Ich? Wie kommt ihr auf derlei verschrobene Ideen?“

      „Möchtet ihr die Streichholzproduktion an den Nagel hängen und an meinem Haus anfangen? Schauspielerisches Talent Eurer Klasse ist selbst in Lesagaux selten.“

      Nulbos zweites Standbein, und seine wahre Liebe, neben den komödiantischen

       Auftritten, die ihn reich und berühmt gemacht hatten, war ein kleines Theater, dessen Stücke er selbst schrieb und produzierte.

      „Es scheint schwer, Euch zu täuschen. Darf ich Euch umgekehrt eine Anstellung als Rechnungsprüfer in MEINEM Haus anbieten?“

      „Zurück zum lavendrischen Geheimdienst.“

      „Natürlich. Tatsächlich hält man mich von dort auf dem Laufenden. Meine Gegenleistung besteht in gewissen finanziellen Zuwendungen und anderen materiellen Elementen.“

      „Ich verstehe. Ich frage Euch nicht, was die Lavendrer von der Lage halten, denn dies ist mehr als offensichtlich.“

      Lavendra, egalistisch, also in Geschlechterfragen dem Prinzip der Gleichberechtigung folgend, lag südlich Gromiens und war Zentrum des Intergenderhandels, ermöglichte also Terkonnia und Fenlora, über den Umweg neutrales Lavendra, miteinander zu handeln. Dieser ökonomischen Rolle verdankte das kleine und militärisch schwache Land seine fortgesetzte Existenz. Der Intergenderhandel war übrigens beträchtlich, vor allem der Sklavenhandel. Obwohl der Gleichberechtigung huldigend lehnten die LavenderInnen die Sklaverei keineswegs ab, folgten lediglich auch hier rigoros der Gleichbehandlung der