Josefine Gottwald

Die Krieger des Horns - Blutmond


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wissen längst nicht alles.

      „Wir glauben nicht, dass du Traketa verraten wirst, Sophy“, erklärt Hada kühl. „Nicht einmal im Angesicht des Todes. Vielleicht ist es für dich ein Anreiz, wenn du uns auch sterben siehst. Vielleicht erhoffst du dir sogar eine Chance zu fliehen ...“

      Die Wölfe schnappen ungeduldig in die Luft, in ihrer geduckten Haltung drängen sie sich noch dichter zusammen; einige winseln vor Anspannung und freudiger Erwartung. Ihr Anführer gebietet ihnen mit einer Bewegung Einhalt, aber allmählich spüre ich auch seine Ungeduld.

      „Wir fragen dich nur noch einmal!“, droht Lucia und schlägt demonstrativ mit dem Stock gegen die Stäbe. Ein Wolf jault auf und dreht sich unruhig um sich selbst.

      Auf meine Lippen stiehlt sich ein triumphierendes Lächeln. „Ihr wisst doch nichts!“, sage ich verächtlich. Ich spüre die Verwirrung der Mädchen, aber ich lasse ihnen keine Zeit zu reagieren. Ich ziehe die Hände aus meinen Taschen und werfe eine Hand voll Silberdornen auf das Rudel. Gleichzeitig zische ich ein kurzes, grausames Wort und banne sie aus einem Kreis, der um mich herum in blauen Flammen auflodert.

      Die Wölfe winseln erschrocken und die, die ich treffe, jaulen auf, als die metallenen Spitzen sich durch ihr Fleisch fressen. Sie hören überhaupt nicht auf und obgleich sie rasend sind vor Wut, wagen sie sich nicht an das Feuer. Die ersten von ihnen brechen kraftlos zusammen, die anderen versuchen voll Panik zu fliehen.

      Sogar der Vampir weicht ein Stück zurück. „Das ist genug!“, brüllt er herrisch und zeigt endlich sein wahres Wesen.

      Ich will entgegnen, dass mich sein Befehl nicht beeindruckt, aber plötzlich schlingt sich etwas von hinten um meinen Hals, zieht sich zu und reißt meinen Körper gegen die Stäbe. Ich schreie, als das Eisen meinen Rücken berührt. Schwelend brennt es sich in meine Haut und meine Kleider. Ich rieche verkohltes Haar und halte den Kopf vor Angst ganz reglos, um der Schlinge an meinem Hals zu entgehen.

      Hadas Hand ist ebenfalls verbrannt. Voll Hass starrt sie mich an, als ich vorsichtig zur Seite blicke, um zu erfahren, was geschehen ist.

      Ihre Fäuste straffen ein Seil, das sie in einer geschickten Bewegung durch das Tor und um mich herumgeführt hat. Ein Teil ihrer Haut ist ebenso verkohlt wie meine und ich sehe, wie sie die Zähne vor Schmerz zusammenbeißt.

      „Ich glaube, du hast deine Chance verspielt!“, knurrt Lucia und stößt mit dem nackten Fuß den Stein aus dem Torspalt. Als es zuschlägt, kreische ich, aber ich weiß im selben Moment, dass es die ganze Zeit nur eine falsche Hoffnung war.

      Ich befehle meine Würde zurück, für Traketa.

      „Was glaubst du, wie lange es gedauert hätte, bis sie gemerkt hätten, dass deine Flammen kalt sind?“, flüstert Hada dicht hinter mir. „Täuschung und Maskerade, ein paar einfache Taschenspielertricks – zu mehr bist du nicht fähig?“

      Ich schnaube, noch immer beinahe regungslos. Beinahe.

      „Die Hände vor den Körper!“, befiehlt der Vampir. „Oder ich lasse sie dir sofort abreißen!“

      Ich tue, was er sagt.

      „Das Licht, Sophy! Wer hat das Licht?“, versucht es Hada noch einmal.

      Ich bekomme kaum noch Luft und krächze: „Ihr hättet mich niemals durchgelassen!“

      „Weißt du, du hast uns alles beigebracht, was wir von dir erfahren können“, erklärt Hada. „Alles, was wir brauchen, um den Plan in die Tat umzusetzen – auf unsere Art. Wozu brauchen wir dich noch?“

      „Also verbündet ihr euch mit den Blutsaugern? Unseren Erzfeinden, denen wir zu verdanken haben, dass wir so lange auf unsere Chance warten mussten, endlich an die Magie der Einhörner zu kommen? Und nun, da wir stark genug sind und gemeinsam kämpfen können, wollt ihr mich verraten und an sie ausliefern?“

      Ihre Antwort ist nur ein Schnauben. Nur der Vampir tritt demonstrativ in die kalte Asche meines Bannkreises.

      Lucia fragt höhnisch: „Wie möchtest du sterben, Sophy? Auf eine langsame Art?“

      Der Vampir grinst. „Wenn die Wölfe satt sind, kannst du noch tagelang brennen, Hexe!“

      Die Angst lähmt mich. „Aber noch viel lieber hättet ihr uns alle“, flüstere ich.

      Ich schicke ein letztes Wort zu Traketa, das sie um Verzeihung bittet. Dann sage ich ihnen, was sie wissen wollen.

      Die Mädchen nehmen sich nicht die Zeit, die Information zu kommentieren. Beinahe gleichzeitig lassen sie los und laufen um ihr Leben.

      Der Vampir brüllt wütend; die Wölfe greifen an.

      Ich reiße das Seil von meinem Hals und springe fort von den Stäben. Genau in das knurrende Rudel.

      Meine Hände suchen nach dem Amulett der Krieger. Aber es ist fort. Sie haben es mit sich genommen, genau wie Traketas Essenz, das Letzte, was von ihrem sterblichen Körper übrigblieb. Ich bin verloren, wird mir bewusst, aber ich kann nicht mehr denken vor Wut und Angst.

      Die Wölfe zerren an meinen Kleidern. Einer springt an mir hoch und wirft mich zu Boden. Ich sehe nur blitzende Zähne, wilde Augen. Der Schmerz trifft mich überall gleichzeitig. Ich flehe um Gnade. Um Hilfe. Aber meine Schreie ersticken in den Wipfeln.

      Piper

      Irgendwo hinter den Hügeln geht langsam die Sonne auf. Ein dünner Nebelschleier liegt über der Prärie, als wir hinaus in die weite Graslandschaft reiten. Um mich herum sieht alles gleich aus und ich erinnere mich selbst, dicht bei der Gruppe zu bleiben, um den Anschluss nicht zu verlieren. Danny erzählte einmal, dass sich ab und zu Cowboys verirren und nicht mehr nach Hause finden. Aber wahrscheinlich darf man darauf nicht viel geben, wenn es von ihm kommt ...

      Als ich nach Andy rufe, bilden sich kleine Atemwölkchen vor meinem Mund und ich bin froh, dass mir seine Mutter doch den Poncho einreden konnte, der mich nun wärmt. Es ist kaum zu glauben, dass die Sonne in wenigen Stunden erbarmungslos auf uns herunterbrennen wird.

      Andy hält sein Pferd an und wartet auf mich. Ich lasse Luna ein Stück traben, um zu ihm aufzuschließen.

      „Ist alles in Ordnung?“, fragt er und zieht seinen Hut tiefer in die Stirn. Bis eben hat er sich noch mit seinem Vater unterhalten, Señor Davis, der die Reiter anführt und dem die Ranch gehört, auf der ich arbeite.

      „Ich bin froh, dass ihr mir dieses wollene Ding angezogen habt!“, lache ich. „Ich wusste gar nicht, wie kalt es um diese Zeit hier draußen noch ist!“

      „Meine Mutter wird sich freuen, das zu hören“, sagt er mit einem Lächeln. Dann lenkt er Dragón dichter an mich heran und ergänzt: „Vielleicht sollten wir öfter so früh ausreiten; da ist das Land noch ruhig und niemand vermisst uns ...“ Er macht eine Pause. „Es ist natürlich logisch, dass du die Prärie im Morgengrauen nicht kennen lernen kannst, wenn wir immer nur in den Sonnenuntergang reiten.“ Er zwinkert mir zu. Dann beugt er sich zu mir herüber und versucht, mich zu küssen. Ich muss mich in die Bügel stellen, um ihn zu erreichen, und ich stoße einen kleinen Schrei aus, als unsere Pferde sich voneinander entfernen und ich beinahe das Gleichgewicht verliere. Andy hält mich mit einem Arm fest, die Zügel führt er locker in der linken Hand. Wir sehen uns an und müssen beide lachen; dann küssen wir uns noch einmal.

      Ich spüre deutlich Dannys bohrenden Blick im Rücken. Bei den vielen Vorschriften, die er mir macht, könnte man fast glauben, er hält sich für meinen Vater. Am liebsten würde er mir auch den Umgang mit Andy und Robin und die Arbeit auf der Davis Ranch verbieten. Es gibt ja auf unserer eigenen Ranch genug zu tun, hält er mir immer wieder vor – in solchen Situationen ist es tatsächlich einmal unsere Ranch … Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, für ihn die Ställe auszumisten; dafür fühle ich mich in den Monaten, die meine Mutter und ich jetzt bei ihm wohnen, viel zu wenig zu Hause. Hin und wieder erwische ich mich bei dem Gedanken, lieber zu Andy zu ziehen; und wahrscheinlich geht das an meiner Mutter nicht ganz vorbei, schließlich verbringe