Josefine Gottwald

Die Krieger des Horns - Blutmond


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ich, aber Justo antwortet: Es ist zu spät! Dann hebt er die Vorderhufe, um sich zu verteidigen; ich suche einen Moment mein Gleichgewicht und schaffe es nicht, mit dem Amulett zu zielen.

      Dann denke ich nur noch eins: Unsere Rettung. Mein ganzer Körper spannt sich, ich bewege mich nicht mehr und halte die Luft an. Dann steht die Zeit still. Mein Einhorn sinkt zurück auf den Boden, aber der Wolf ist in der Bewegung erstarrt. Es sieht aus, als ob er mir genau in die Augen sehen würde, und er hat sich zum Sprung aufgerichtet.

      Justo schnaubt und wird wieder ruhig. Das war knapp!

      Ich nicke nur – unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Das kann er laut sagen!

      Allmählich erlange ich die Kontrolle über meine Muskeln wieder und dirigiere Justo in eine scharfe Wendung.

      „Nichts wie weg hier!“

      Ich werfe noch einen letzten Blick auf die gelben Augen, und es sieht aus, als ob sie meiner Bewegung folgen würden. Ich schaudere, aber dann greife ich die Zügel fester und treibe Justo vorwärts.

      Einige Augenblicke schweigen wir uns an und hängen unseren Gedanken nach. Irgendwann murmele ich: „Bei allen Göttern, die es gibt: Ich hatte so gehofft, nie wieder einem Werwolf begegnen zu müssen!“

      Aber mein Einhorn widerspricht noch immer: Das kann keiner gewesen sein! In einer Wolfsgestalt am Vormittag? Sein Kopf pendelt hin und her und seine Ohren wippen. Ich begreife, dass er damit unterstreichen will, wie sehr er an meinem Verdacht zweifelt.

      „Aber was war es sonst? Für einen Kojoten war es zu groß und zu ... unheimlich. Viel zu aggressiv!“ Ich denke noch einmal an die hellen Augen und die Art, wie er uns anvisierte und die Verfolgung aufnahm.

      Naja, murmelt Justo nachdenklich, es war ... eben ein Wesen!

      Dina

      Und trotzdem bin ich zu spät! Wie man es dreht und wendet, keine Ausrede kann entschuldigen, dass ich schon wieder verschlafen habe! Wer kommt aber auch auf die verrückte Idee, mitten in der Nacht in die Prärie rauszureiten?

      Also gut. Ich werde geduldig das milde Lächeln über mich ergehen lassen. „Das ist typisch Dina“, werden sie sagen, „immer kommt sie zu spät! Wenn die Welt untergeht, wird sie es verschlafen!“

      Ich stoße das Tor auf; an den Anbindeplätzen stehen noch mehr Pferde als sonst. Señor Davis nickt mir nur von Weitem zu, als er mich sieht; er hat alle Hände voll zu tun damit, im Paddock seine Jährlinge von der Herde zu trennen und in verschiedenen Koppeln unterzubringen.

      Ich sehe, wie die Jungs und Piper ihm helfen, die Mustangs auseinanderzutreiben. Einige von ihnen sind an Menschen gewöhnt und lassen sich führen, aber die jungen Stuten und Hengste springen immer wieder fort und traben mit geblähten Nüstern am Zaun entlang. Die Herde ist in heller Aufregung, die sofort von mir Besitz ergreift.

      Ich überlege, zu den Anderen hineinzuklettern, aber dann lehne ich mich nur an den Zaun und beobachte fasziniert das bunte Treiben. Wunderschöne edle Pferde aller Farben drängen sich dicht aneinander, prusten aufgeregt in den Sand oder traben mit erhobenen Köpfen umher.

      Robin und Andy versuchen gemeinsam, einer sandfarbenen Stute ein Halfter anzulegen, aber sie wehrt sich mit allen Kräften, wirft den Kopf nach oben, steigt und schlägt mit den Vorderbeinen. Piper nähert sich der Stute langsam von der Seite und versucht, sie mit sanften Worten zu beruhigen. Andy schließt das Halfter mit ruhiger Hand und Robin lobt das Pferd ausgiebig. Dann wandert sein Blick zu mir und er mustert mich mit gespielter Überraschung.

      „Dina, was machst du denn hier?“ Aber sein Grinsen kehrt schnell zurück. „Hast du gut geschlafen?“

      Ich stecke ihm die Zunge raus, aber zum Glück fordert der Mustang wieder seine Aufmerksamkeit; die Stute tänzelt an seinem Strick, rempelt ihn an und springt bei der Berührung erschrocken zur Seite. Robin verliert das Gleichgewicht und kann sich geradeso abfangen, bevor er im Sand landet. Ich grinse schadenfroh, während er vor sich hin flucht: „¡Bruja! Ein sehr passender Name für dieses Pferd!“

      „Das geschieht dir ganz recht!“, rufe ich frech und kassiere einen finsteren Blick. Schnell mache ich das Zeichen gegen böse Flüche, damit er mir nicht mit seinen telekinetischen Fähigkeiten zuleibe rückt, aber Robin rollt nur mit den Augen und wendet sich ab.

      Erst jetzt entdeckt mich Piper und kommt lachend auf mich zu. Sie klettert über die Umzäunung und begrüßt mich mit einer Umarmung. Ich entschuldige mich sofort bei ihr für mein Zuspätkommen, aber sie winkt ab.

      „Bist du ohne mich klargekommen mit den Jungs?“, frage ich besorgt.

      Piper nickt beruhigend, aber als ihr Blick die Männer streift, die vor dem Stall ihre Reitpferde absatteln, sehe ich, wie sie wieder ins Grübeln gerät. Ich entdecke Danny im selben Moment und ahne nichts Gutes.

      Um sie ein wenig abzulenken, knuffe ich sie in die Seite und verlange: „Erzähl mir, wie groß die Prärie ist! Ihr seid bestimmt lange geritten; ich will alles wissen!“

      Pipers Pferdeschwanz wippt, als sie begeistert nickt. Jetzt gehört ihre Aufmerksamkeit wieder mir. „Du kannst es dir nicht vorstellen, Dina!“

      Andy öffnet neben uns das Tor für die Stute und Robin führt den Mustang am langen Strick in Richtung des Round Pens, seines Ausbildungsplatzes.

      „Und die Herde?“, frage ich weiter, während wir ihm folgen.

      „Sie sind wundervoll!“ Piper strahlt. „Ihre Hufe im Sand, der Wind in ihren Mähnen, dieser stolze Blick ...“ Sie versucht, mit Robin Schritt zu halten, und fährt der Stute langsam über das golden glänzende Fell. „Einfach wundervoll!“

      Andy, der ein Stück vorausgegangen ist, grinst über Pipers romantische Anwandlung und legt einen Arm um sie. „Du bist auch wundervoll, mein Engel!“, grinst er, und ich muss einen Schritt zur Seite gehen, um ihnen Platz zu machen.

      Piper lächelt glücklich. Als er sich von ihr löst, um seinem Bruder zu helfen, lässt sie ihn nur widerwillig gehen.

      Wir setzen uns auf eine Bank außerhalb des Zirkels und sie blickt verträumt zu den beiden hinüber, als sie das Pferd losmachen und locker im Kreis traben lassen.

      „Ach Piper, du hast so ein Glück!“, gestehe ich seufzend. Einen Moment hört sie mich gar nicht, aber dann kehrt sie in meine Welt zurück.

      „Ach, wieso denn?“, fragt sie. „Was ist denn mit dir und Leo?“

      Ich zucke mit den Schultern. Eigentlich habe ich keine Lust, mich jetzt diesen melancholischen Gedanken hinzugeben. „Ich habe das Gefühl, es ist alles anders“, beginne ich, „seit dem Wolf Forest, den Vampiren und dieser seltsamen Fähigkeit ...“

      „Er versteht dich nicht, was?“ Piper sieht mich mitfühlend an, während das Pferd vor uns seine Runden dreht und beruhigt schnaubt.

      „Er hört mir nicht einmal zu; von übernatürlichen Dingen will er nichts wissen. Wahrscheinlich hält er mich für verrückt ...“ Ich sehe Piper an, dass sie nicht weiß, was sie davon halten soll, und erkläre weiter: „Manchmal habe ich Träume ...“

      „Visionen?“, fragt sie sofort, und ich sehe die Alarmbereitschaft in ihrem Blick.

      Schnell schüttele ich den Kopf. „Ich glaube, es sind nur Träume. Mir wäre es ja auch lieber, wir könnten das alles hinter uns lassen. Aber irgendwie verfolgt es einen doch ...“

      Piper nickt gedankenversunken. Doch die Art, wie sie die Jungs beobachtet, zeigt mir, dass sie sich um sich selbst am allerwenigsten Sorgen macht.

      „Irgendwann werden wir schon davon loskommen“, murmele ich und krame nach ein bisschen Optimismus. „Im Grunde ist es ja vorbei, nicht wahr?“

      „Hoffentlich“, sagt sie leise.

      „Aber wo wir bei Leo sind ...“, lenke ich ab. „Er spielt mit seiner Band am Samstag im Black