Heike Möller

Wenn Vampire Tango tanzen


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synchron gesprochenen Worte gaben den Rhythmus des Walzers perfekt wieder. Tobias führte Hanna jetzt langsam und in kleinen Schritten über das Parkett.

      „Öffne deine Augen, Hanna.“

      Vorsichtig blinzelte sie zwischen ihren Lidern hindurch … und vergaß zu zählen.

      Ihre Füße brauchten den angesagten Rhythmus nicht mehr, denn sie machten von allein die Bewegungen und folgten dem Rhythmus. Erstaunt sah sie in Tobias´ Gesicht. Er lächelte zufrieden, seine grünbraunen Augen blickten sie warm an.

      „Fühlst du den Rhythmus immer noch, Hanna?“

      „Ja!“ Hanna konnte nur leise flüstern. Sie glaubte gerade nicht, was hier geschah. Vor elf Jahren hatte sie entnervt die Versuche, tanzen zu lernen, aufgegeben. Sie hatte einfach kein Gespür für Rhythmus entwickeln können. Zwar konnte sie einen Walzer von einem Cha-Cha-Cha und einem Tango unterscheiden, aber das war es auch schon.

      „Ein guter Anfang. Wirklich gut.“ Tobias umfasste Hanna jetzt etwas fester. „Stelle dich mit deinen Füßen auf meinen.“

      Ohne nachzufragen folgte Hanna der Aufforderung. Sie spürte, dass sie ihm vertrauen konnte, dass er wusste, was er tat. „Achte mit deinen Füßen darauf, welche Schritte ich mache. Das ist ein einfacher Walzer.“

      Tobias fing an, im Walzerschritt durch den Raum zu gehen. Dabei hielt er Hanna an Taille und Hand fest und sicher.

      „Rechtsherum, rechtsherum, dumdidum“, sang er leise mit.

      Hanna wollte etwas sagen, aber sie hatte Angst, aus der Konzentration zu fallen. Also kniff sie lächelnd ihre Lippen zusammen und klammerte sich an Tobis Schulter und Hand fest.

      >Sie fühlt sich gut an. In meinen Armen. Irgendwie … genau richtig.<

      Der Duft der wilden Pflaumen stieg wieder in seine Nase. Verwirrt schüttelte er den Geruch aus seiner Nase und die Gedanken aus seinem Gehirn.

      Die Pauke war komplett aus der Musik verschwunden. Nur Klavier und Geige war noch zu hören. Als die Musik aus war, hielt Tobias nicht sofort an, sondern machte noch ein paar kleine Drehungen. Dann hielt er an, ließ Hanna aber nicht los.

      „Wow“, sagte sie leise und strahlte ihn an.

      „Ja.“ Er räusperte sich. „Du, ähm … kannst wieder von meinen Füßen runter.“

      „Häh?“ Hanna sah nach unten. Sie stand immer noch auf dem Spann seiner Füße. „Ach herrje! Entschuldige.“ Schnell stieg sie von seinen Füßen und untersuchte umgehend, ob sie ihm auch nicht wehgetan hatte. Nicht einmal Druckstellen waren zu erkennen.

      „Du bist ziemlich kräftig.“

      Irritiert schloss Tobias kurz die Augen. „Was?“

      Verlegen löste sie sich aus seinem Griff. „Na ja. Ich bin nicht gerade ein Federgewicht.“

      Verständnislos sah Tobias in Hannas braune Augen. Waren kleine blaue Sprenkler in der Iris?

      „Warum glauben Frauen, die absolut richtig proportioniert sind, immer, dass sie zu dick sind?“

      „Liegt vielleicht daran, dass ich wirklich ein paar Kilo zu viel wiege.“

      Tobias war klug genug, mit Hanna keine Diskussion über weibliche Kurven anzufangen. „Glaube mir nur eins, Hanna: ich habe dein Gewicht nicht gespürt.“

      >Heißt das jetzt, ich habe Gewicht und er ist nur zu höflich, um es mir nicht unter die Nase zu reiben? Oder war das ein Kompliment?< Hanna hasste es, verwirrt zu werden.

      Tobias verschloss sich vor Hannas Gedankengänge. Er empfand sie als Schwindelerregend und unpassend. „Ich habe mit dem Walzertakt angefangen, weil ich ihn am einfachsten von allen Takten und Rhythmen empfinde. Wie hat man bisher versucht, dir das Tanzen beizubringen?“

      „Schritte.“

      Tobias machte eine wedelnde Handbewegung. „Bitte einen kompletten Satz, Hanna.“

      Sie grinste. „Die bisherigen Tanzlehrer haben mir von Anfang an versucht, Schritte beizubringen. Du weißt schon, aufgemalte Füße auf dem Boden, die man nachlaufen muss.“

      Tobias grunzte etwas Unverständliches. „Dilettanten!“, kam letztendlich heraus.

      Hanna lag eine sarkastische Bemerkung auf der Zunge, aber sie verkniff sie sich. „Ich gebe gern zu, dass ich positiv überrascht bin.“ Sie ging zu ihrer Wasserflasche und gönnte sich einen großen Schluck.

      „Inwiefern?“

      „Ich habe nie ein Gefühl von Rhythmus vermittelt bekommen. Okay, in der Schule wurde beim Musikunterricht ein Metronom eingeschaltet. Aber das hatte eine eher einschläfernde Wirkung auf mich. Ich habe verschiedene Instrumente ausprobiert, und jedes Mal waren die Lehrer und die Mitschüler froh, wenn ich es wieder abgegeben hatte. Singen war die gleiche Katastrophe.“

      Tobias schüttelte den Kopf und ging zu der Stereoanlage. „In jedem Menschen steckt ein Hauch von Musikalität. Es braucht den richtigen Schlüssel, um aus dem Hauch eine Brise oder einen Orkan zu machen. Du liebst doch Musik, nicht wahr?“

      Hanna nickte. „Na klar! Ich höre die ersten Sekunden eines Liedes im Radio und ich weiß, welches Lied es ist und wer es singt. Selbst die Unterschiede zu den Coverversionen habe ich schnell raus. Aber sobald ich anfange mitzusingen ….“

      Tobias grinste. „Komm. Lass uns noch mal den Walzer tanzen. Fühle dich wieder in den Rhythmus hinein.“

      Hanna schraubte die Wasserflasche zu und stellte sie wieder hin. Dann ging sie in die Mitte des Saales zurück und wartete auf Tobias, der sich ihr mit federnden Schritten näherte, nachdem er erneut die `Play´-Taste gedrückt hatte.

      „Darf ich bitten?“ Er reichte ihr die rechte Hand, die sie mit einem schiefen Lächeln ergriff. Langsam, und dieses Mal mit geöffneten Augen, ließ Hanna sich von dem Rhythmus wieder mittragen.

      Hanna saß mit dem Rücken an der Wand neben der Tür gelehnt. Auf ihren Knien hatte sie ihren Terminkalender, in der Hand einen Stift. Das Handtuch lag um ihren Nacken.

      Tobias kam aus einem Raum, der hinter der Spiegelwand lag. Er hatte zwei kleine Flaschen Mineralwasser dabei.

      „Danke.“ Hanna nahm ihm eine Flasche ab und stellte sie neben sich. Sie hatte gerade ihre Wasserflasche ausgetrunken und hatte im Moment keinen heftigen Durst mehr.

      Tobias setzte sich neben sie und überkreuzte seine Beine an den Knöcheln. Nachdenklich öffnete er die Flasche und trank mehrere Schlucke.

      „Was glaubst du, wie oft müssen wir üben?“ Hanna sah ihn von der Seite her an. Kleine Schweißperlen glänzten an seiner Schläfe und auf der Nase, ansonsten wirkte er aber nicht sehr angestrengt.

      Sie hingegen war fix und fertig. Sie freute sich schon jetzt auf den morgigen Muskelkater.

      „Wenigstens zweimal die Woche. Jeweils zwei Stunden. Und Hausaufgaben für dich.“

      Überrascht klappte ihr die Kinnlade herunter. „Hausaufgaben?“

      Tobi nickte. „Ich gebe dir ein paar CDs mit, die du dir abends, wenn Lyssa im Bett ist, anhören solltest. Lege dich dann flach auf den Boden, konzentriere dich auf die Rhythmen und atme mit den Rhythmen mit. Dabei legst du dir deine Hände auf den Bauch.“

      „Oh! Okay, das klingt … machbar.“

      „Wir könnten jeden Dienstag zusammenkommen. So wie heute. Wie sieht es da bei dir aus?“

      Hanna blätterte in ihrem Terminkalender. „Alles frei bis zur Hochzeit. Dienstag ist gut. Ich muss nur meine Mutter für diese Tage als Babysitter gewinnen.“

      „Stellt das ein Problem dar?“ Tobi winkelte seine Beine an und legte die Arme auf seine Knie. Dann blickte er Hanna von der Seite an.

      „Nö. Glaube ich nicht. Welcher Tag würde noch für dich passen?“

      Tobias