Heike Möller

Wenn Vampire Tango tanzen


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geworfen, aber Tobias nahm ihre Hand in seine und zog sie leicht zur Seite.

      Der Tanzlehrer, ein schmalhüftiger, Sonnenbank gebräunter und gestylter Mann, der irgend­wie untergewichtig wirkte, entdeckte Tobias und sah ihn fragend an. Tobias schüttelte nur lächelnd den Kopf und forderte den Mann mit einer Handbewegung auf, weiter zu machen.

      „Und noch Mal von vorn, meine Damen!“

      Hanna musste sich ein Auflachen verkneifen. Der Tanzlehrer stolzierte wie ein Pfau die Reihen der Frauen entlang, mit denen er gerade eine Choreografie einstudierte. Die Frauen, ungefähr ein Dutzend, waren zwischen 16 und 24 Jahre alt und schon total verschwitzt. Trotzdem bezogen sie tapfer erneut Stellung und begannen, sich nach dem rhythmischen Klatschen ihres Lehrers zu bewegen. Dabei bewegten sich nicht nur ihre Füße und Beine, sondern auch Hände, Arme und der Oberkörper wurde passend zum Takt geschwungen.

      Hanna verging der Anflug des Lachanfalls, als sie sah, mit welcher Eleganz und Geschmeidigkeit die Frauen sich bewegten. In absoluter Synchronität bewegten die Frauen sich zueinander, trotzdem fand der Tanzlehrer bei fast jeder seiner Schülerinnen noch etwas, was zu verbessern war.

      „Agnes, achte auf deinen Ausdruck. Maria, mehr Hüfte! Katja, du sollst deine Füße etwas mehr heben.“

      „Wow“, wisperte Hanna und hatte höllischen Respekt, sowohl vor dem Tanzlehrer als auch vor den Mädchen.

      „Die Gruppe hat am Samstag einen Auftritt bei einem lokalen Wettkampf“, flüsterte Tobias dicht an Hannas Ohr. „Siehst du das Mädchen hier vorn rechts? Die in dem roten T-Shirt?“

      Hanna nickte stumm.

      „Lea ist erst vor fünf Monaten in die Gruppe gekommen, hat vorher Standardtänze gelernt und etwas Ballett. Heute ist sie eine der Besten. Sie trainiert fleißig und hat einen gesunden Ehrgeiz.“

      Hanna nickte wieder und betrachtete das Mädchen. Es war 16, vielleicht 17 Jahre alt und etwas kräftiger in den Hüften als die anderen. Aber sie bewegte sich mit einer Eleganz und Leichtigkeit, die einen schlicht umhaute. Das Gesicht war vor Anstrengung rot, aber die Augen leuchteten vor Freude.

      Tobias zog Hanna mit sich und sie verließen den Saal. Im kleinen Flur nahm er wieder Hannas Tasche und sie betraten den Hausflur.

      „Pierre ist ein begnadeter Tänzer. Hätte er nicht vor drei Jahren einen Autounfall gehabt, bei dem sein linkes Knie stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, würde er heute an internationalen Wettkämpfen teilnehmen und ganz vorn mitmischen. Verfluchtes Schicksal.“

      Ein unangenehmer Schauer lief über Hannas Rücken. „Und jetzt ist er Tanzlehrer, arbeitet für dich.“

      Tobias nickte. „Ich konnte ihn überzeugen, dass er sein Talent nicht einfach wegwerfen soll. Schließlich kann man sich auch als Trainer in der Branche einen Namen machen. Pierre ist erst 26 Jahre alt und hat schon für einige Künstler Choreografien ausgearbeitet und mit ihnen einstudiert. National und International. Ich denke, in spätestens vier Jahren ruft New York. Als Choreograf am Broadway zu landen wäre so was wie ein Ritterschlag.“

      Hanna riss die Augen auf. „Da wünsche ich ihm wirklich von Herzen das Beste und viel Glück. Und du würdest ihn einfach so gehen lassen?“

      Tobias ging die Stufen zum ersten Stock hinauf. „Na klar! Wäre doch auch ´ne gute Reklame für meine Tanzschule. `Ehemaliger Tanzlehrer von Kerners Tanzschule jetzt Choreograf am Broadway´.“ Tobias führte seine rechte Hand in der Luft, als ob er eine Schlagzeile vor sich hätte. „Klingt doch toll, nicht wahr?“

      Hanna hatte langsam das Gefühl, dass sie sich komplett in Tobias Kerner getäuscht hatte. >Er wirkt überhaupt nicht oberflächlich. Tief in ihm steckt ein netter Mann. Mensch, Hanna, nicht Mann! <

      Tobias musste grinsen, als er Hannas Gedanke auffing. Sie konnte es nicht sehen, da er mit dem Rücken zu ihr lief.

      In der ersten Etage befanden sich wieder zwei Wohnungen. Auf der Tür zu den Räumen, die genau über dem Saal 1 lagen, stand `Saal 2´, dem Gegenüber lagen Räumlichkeiten, die mit `Umkleideräume und Duschen gekennzeichnet war.

      Aus dem Saal 2 klangen sanfte Klänge eines klassischen Walzers.

      „Wir fangen heute mit etwas leichtem an. Deshalb brauchst du dich nicht umzuziehen. Aber fürs nächste Mal: du gehst einfach hier rein, suchst dir ein freies Schließfach und ziehst dich um. Duschen sind für Männer und Frauen getrennt. Die der Frauen ist größer, weil wir erfahrungsgemäß mehr Frauen haben als Männer.“

      Hanna schluckte. „Fürs nächste Mal. Okay.“ Ihre Stimme zitterte etwas und sie räusperte sich.

      Tobias führte Hanna in die zweite Etage. Auch hier waren wieder zwei Wohnungstüren. Auf der linken Seite stand `Saal 3´ und auf der rechten Seite `Fundus und Lagerräume´.

      „Fundus?“, fragte Hanna.

      „Kostüme und Accessoires für Auftritte. Ich habe auch einen Schuhmacher, der in den Wochen vor wichtigen Auftritten die Schuhe der Tänzer überholt, gegebenenfalls neue anfertigt.“

      Erstaunt sah Hanna Tobias an. “Einen richtigen Schuster? Ich meine, jemanden, der sein Handwerk noch so richtig versteht?”

      Tobias blickte über die Schulter und lächelte Hanna sanft an. „Allerdings. Der Mann hat Zauberhände.“

      >Und ist ein Vampir!<

      Er öffnete die Tür zu Saal 3. Auch hier befand sich ein kleiner Korridor mit Kleiderhaken. „Da wären wir. Zieh einfach deine Schuhe aus. Die erste Stunde werden wir barfuß absolvieren.“

      Hanna zog eine Augenbraue hoch. „Damit ich dir mit einem Absatz keinen Fuß brechen kann, stimmt´s?“

      Einen Moment blickte Tobi sie irritiert an, dann erinnerte er sich an die Geschichte mit dem Tanzlehrer. Leise lachte er und schüttelte den Kopf.

      „Nein, Hanna. Ich möchte dir nur ein Gefühl für Musik und Rhythmus vermitteln. Und das geht barfuß am besten.“

      Hanna wurde rot. „Ach so. Na gut.“ Sie löste die Sandalen von ihren Füßen und stellte sie beiseite. Es war heute ziemlich warm gewesen, weshalb sie keine Strümpfe angezogen hatte, als sie nach der Arbeit kurz nach Hause gegangen war, sich frisch gemacht und ihre Tasche geschnappt hatte.

      Tobias stellte die Tasche ab. „Brauchst du noch etwas aus der Tasche?“

      „Nur mein Handtuch, wenn ich schwitze, meine Wasserflasche und ein Paket Taschentücher.“

      „Hast du Schnupfen?“

      „Nein. Ich möchte nur gewappnet sein, wenn ich losheulen muss.“ Sie hockte sich hin und kramte die genannten Sachen heraus. Als sie aufstand, sah sie in ein völlig verblüfftes Gesicht. „Was?“

      Tobias schüttelte sich, als ob er aus einer Trance erwachen würde. „So jemanden wie dir bin ich noch nie begegnet, Hanna“, gestand er.

      „Ist das gut oder schlecht?“

      „Verwirrend.“ Er drehte sich um, schlüpfte aus seinen Schuhen und öffnete die innere Tür, die zu dem Tanzsaal führte.

      Kapitel 5: „Lass dich einfach fallen!“

      Dieser Saal war deutlich kleiner als der Saal im Erdgeschoss. Es war lediglich eine Wand entfernt worden, aber auch hier befand sich an der gegenüberliegenden Seite eine Spiegelfläche und eine Ballettstange.

      >War so ´ne Stange auch in dem anderen Saal? <, fragte sich Hanna, die plötzlich wieder Panik bekam. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu hyperventilieren.

      Der Raum war etwas stickig und Tobi ging zu den Fenstern, die auf den Hof führten. „Was dagegen, wenn ich ein Fenster öffne?“

      „Nö!“ Hanna konnte jetzt nicht mehr verhindern, dass ihre Stimme vor Angst kiekste.

      >Scheiße!